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Klingbeil: Merkel muss Internetüberwachung mit Obama klären

Nach Berichten über ein weitreichendes Internet-Überwachungsprogramm der US-Geheimdienste fordert der SPD-Internetexperte Lars Klingbeil Bundeskanzlerin Merkel zum Handeln auf. Sie müsse das Thema beim bevorstehenden Deutschlandbesuch von US-Präsident Obama ansprechen.

Lars Klingbeil im Gespräch mit Dirk Müller | 08.06.2013
    Dirk Müller: Die USA und der nächste Datenskandal – darüber sprechen wollen wir nun mit Lars Klingbeil, netzpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Tag!

    Lars Klingbeil: Schönen guten Tag!

    Müller: Herr Klingbeil, haben Sie es schon immer irgendwie geahnt?

    Klingbeil: Na ja, also es gibt schon länger Diskussionen darüber, dass natürlich auch amerikanische Sicherheitsbehörden auf Daten zugreifen, aber ich sage Ihnen, man kann da schon zigmal drüber diskutiert haben, aber wenn man es das erste Mal schwarz auf weiß liest, dann ist man doch geschockt und hat natürlich auch einen großen Bedarf, jetzt da Aufklärung zu haben und Informationen zu bekommen.

    Müller: Sie sind ja da immer in Habachtstellung gewesen, Sie haben viel auch mit Koalitionspolitikern diskutiert, gegebenenfalls auch mit den Staatssekretären, mit den Innenministern und mit den Länderinnenministern. Ist dieses Problembewusstsein immer da gewesen bei uns?

    Klingbeil: Wir haben Hinweise darauf gehabt, dass es das Verarbeiten und das Anfordern und das Überwachen von Daten in den USA gibt, aber die Bundesregierung hat an dieser Stelle wenig getan. Wir haben zum Beispiel im Rahmen der Europäischen Datenschutzverordnung ursprünglich einen Paragrafen gehabt, den Paragrafen 42, der auch klar gesagt hat, dass europäische Bürger geschützt werden sollen vorm Zugriff auf ihre Daten durch Drittstaaten. Dieser Paragraf ist dann im Laufe der Verhandlungen verschwunden, und es ist jetzt Zeit nachzufragen, wie das kommen konnte und was die Bundesregierung an dieser Stelle auch gedenkt zu tun.

    Müller: Wissen Sie, Herr Klingbeil, ob es politisch in irgendeiner Form da Austauschkommunikation gegeben hat zwischen Berlin und Washington, zwischen dem Parlament, also zwischen dem Bundestag und dem Kongress beispielsweise?

    Klingbeil: Also zwischen dem Bundestag und dem Kongress zumindest nicht bei den Netzpolitikern. Natürlich gibt es immer wieder auch Diskussionen, aber es hat … wenn, dann findet so was ja aufseiten auch der Regierung statt, und das wird ein spannender Punkt sein. Wir haben gestern als SPD-Bundestagsfraktion eine Anfrage eingereicht, da muss jetzt innerhalb von sieben Tagen geantwortet werden, weil es für uns natürlich schon wichtig ist zu erfahren, ob die Bundesregierung Bescheid wusste über das Programm, ob sie Bescheid wusste, dass dort auf Daten deutscher Bürger auch zugegriffen wird. Und vor allem ist die Frage, was die Bundesregierung jetzt gedenkt zu tun, um die Daten deutscher Bürger auch zu schützen.

    Müller: Ist dieses Themenfeld ein sensibles Themenfeld, was politisch-operativ brach liegt?

    Klingbeil: Es ist ein Feld, das, glaube ich, nicht im Problembewusstsein vieler Politiker auch verhaftet ist. Also das merke ich immer wieder sozusagen, dass manche sich vielleicht gar nicht vorstellen können, was im Bereich der Daten auch passiert, und hier muss Aufklärung betrieben werden. Die Enquetekommission Internet und digitale Gesellschaft, die es ja im Bundestag gegeben hat, hat sich ausführlich mit beschäftigt, aber es müssen noch mehr Politiker sich mit diesem hoch sensiblen Thema auseinandersetzen, in der Tat.

    Müller: Ist das für Sie, Herr Klingbeil, ausgemachte Sache, dass das auch eben in Deutschland operativ umgesetzt wurde, dass es über die großen Unternehmen, über die großen Konzerne – Google, Facebook, wer auch immer – dann de facto gelaufen sein muss?

    Klingbeil: Ob es in Deutschland gelaufen sein muss? Also ich würde sagen, natürlich ist es richtig, wenn wir eine Strafermittlung haben, dass man dann auch guckt, ob man auf Daten zugreifen kann, aber das, was wir in den USA erleben, ist ja eine anlasslose Sammlung von Daten, auf die dann später zugegriffen wird, und das gibt es in Deutschland nicht, da bin ich mir ziemlich sicher, das würde die Rechtslage auch verbieten an dieser Stelle. Aber natürlich müssen wir in Deutschland auch über die richtige Balance zwischen Sicherheit und Freiheit diskutieren.

    Müller: Wir haben das aber, Herr Klingbeil, ja zum Teil so verstanden, dass der amerikanische Geheimdienst also durchaus auch eben ausländische Daten, dann auch deutsche, europäische Daten, von wo auch immer her, genutzt hat beziehungsweise jetzt zunächst einmal abgegriffen und gespeichert hat.

    Klingbeil: Genau, also das ist der Punkt, der sozusagen auch mir durch die Berichterstattung der letzten beiden Tage dann bekannt ist, dass die großen, neuen Internetkonzerne der USA – Facebook, Google und weitere –, dass die ihre Daten sogar freiwillig zur Verfügung gestellt haben, den Zugriff auf Server ermöglicht haben, und da sind natürlich deutsche Daten dann auch betroffen.

    Müller: Also jemand aus Augsburg hat also seine Daten jetzt inzwischen in der entsprechenden Geheimdienstzentrale in den USA?

    Klingbeil: Ich kann das heute noch nicht mit hundertprozentiger Gewissheit sagen, aber die Berichterstattung und die veröffentlichten Papiere der letzten Tage deuten darauf hin, und es gilt genau das jetzt zu klären und dann auch nach der politischen Verantwortung der Bundesregierung zu fragen. Und ich hoffe natürlich auch, dass das ein Thema ist, was zum Beispiel die Kanzlerin anspricht, wenn der amerikanische Präsident in der übernächsten Woche hier in Deutschland sein wird.

    Müller: Jetzt haben wir, Herr Klingbeil, auch heute Morgen in der Redaktion bereits schon E-Mails bekommen, teilweise mit heftigen Kommentaren, mit Empörung, aber auch mit der Frage: Können sich die User, können sich die Verbraucher, die Internetnutzer schützen?

    Klingbeil: Wenn man Facebook nutzt an dieser Stelle, glaube ich, dann geht man ja auf die Nutzungsbedingungen von Facebook ein, und ich bin erschrocken über die Freiwilligkeit auch, mit der große Internetkonzerne hier Zugriff auf ihre Server gewährt haben. Und da wird auch eine heftige Debatte meines Erachtens noch bevorstehen, da müssen sich die großen Internetkonzerne erklären. Das eine ist die Frage der Staaten, das Politische, aber es gibt natürlich auch ein gewisses Vertrauen von Nutzern bei Facebook, bei Google, bei Apple. Wenn man dort agiert mit Daten, und wenn jetzt die Nutzer mitbekommen, dass dort freiwillig sozusagen die Server geöffnet werden, dass man freiwillig Daten weitergibt, dann kann das zu einem großen Vertrauensverlust führen.

    Müller: Herr Klingbeil, Entschuldigung, ich muss hier noch … Kann man nicht … Ich muss hier aber noch mal einhaken, weil Sie sagen freiwillig. Das ist bei uns bis jetzt noch nicht so angekommen, jedenfalls nicht laut der Internetkonzerne, die da betroffen sind, die beschuldigt werden. Die räumen nicht ein, das freiwillig gemacht zu haben.

    Klingbeil: Das ist die große Unstimmigkeit an dieser Stelle. Es gibt Äußerungen der amerikanischen Regierung und auch der Papiere, die aufgetaucht sind, die sagen, es ist freiwillig, die Konzerne selbst bestreiten das – das muss geklärt werden in den nächsten Tagen.

    Müller: Bei uns heute Mittag live im Deutschlandfunk: Lars Klingbeil, netzpolitischer Sprecher der SPD im Bundestag. Vielen Dank für das Gespräch, Ihnen noch einen schönen Tag!

    Klingbeil: Danke schön!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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