Samstag, 06. April 2024

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Kloster Weingarten
Flüchtlinge statt Mönche

Jahrelang stand das Kloster Weingarten leer. Jetzt sind die Mönchszellen wieder bewohnt, allerdings nicht von Benediktinern, sondern von Flüchtlingen. Veranlasst hat das der Bischof Gebhard Fürst der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Ein Schritt, der nicht bei allen in der Gemeinde anfangs begrüßt wurde.

Von Thomas Wagner | 15.02.2016
    Außenansicht der Basilika Weingarten (Kreis Ravensburg) mit Klosterabtei.
    Außenansicht der Basilika Weingarten (Kreis Ravensburg) mit Klosterabtei. (picture-alliance / dpa / Stefan Puchner)
    Wenn Pfarrer Eckehard Schmid die mächtige Eichentür öffnet, fällt der Blick auf ein riesiges, mit vielen Fresken ausgeschmücktes Kirchenschiff:
    "Wir sind zunächst einmal in der größten barocken Kirche nördlich der Alpen, eine große Basilika. Und wir schauen jetzt auf den Heilig-Blut-Altar und stehen jetzt unter der großen Kuppel, die, so hat man es ausgerechnet, in etwa die halbe Größe der Michelangelo-Kuppel im Petersdom von Rom hat."
    Mit sportlichen Schritten eilt Pfarrer Eckehard Schmid durch das Kirchenschiff der Basilika, auf einem kleinen Hügel oberhalb der oberschwäbischen Kleinstadt Weingarten gelegen.
    Die meisten dort sind katholisch; die Mehrheit wählt CDU. Durch die sogenannte 'Heilig-Blut-Relique', die nach alter Überlieferung einen Blutstropfen Jesu enthalten soll, ist die Barockkirche weltberühmt geworden. Doch in letzter Zeit hat sich hier viel verändert.
    "Wir kommen jetzt an eine Trennwand im Kreuzgang, der der Aufgang ist in oberen Stockwerke, wo die Zellen der Mönche waren. Und da ist nun eine Flüchtlingsunterkunft untergebracht worden."
    Leben in Mönchszellen
    Sie erzählen mal auf Arabisch, mal auf Englisch vom Bombenhagel in ihrer syrischen Heimatstadt Aleppo: Hassan, Mitte 20 und Schehem, ein Lockenkopf um die 15 Jahre alt. Die beiden leben seit ein paar Wochen in den Mönchzellen des ehemaligen Benediktinerklosters. Das stand zuvor leer – die Mönche wegen Nachwuchsmangels aufgegeben.
    Muslime und Christen sind doch Brüder und Schwestern. Nein, wir haben nicht das geringste Problem damit, als Muslime in einem christlichen Kloster zu wohnen, gibt Schehem in gebrochenem Englisch zu verstehen.
    "Er kann schon richtig Deutsch sprechen, der junge Mann: wie geht's dir denn?" - "Gut, gut."
    Über einen Hof geht es zum Nachbargebäude. Dort wohnen Flüchtlinge, die schon länger in Deutschland leben, Christen und Muslime unter einem Dach.
    "Ich heiße Ephraim. Und ich komme aus Eritrea. Seit fast zwei Jahre bin ich Deutschland." - "Und ich bin die Schwester Regina."
    Ephraim, Anfang 20, im Gespräch mit den Ordensschwestern Regina und Ines, die die Flüchtlinge betreuen.
    "Es ist super: Es ist wie in eine große Familie hier. Ich bin Christ. Aber das ist okay. Ob Christ oder Muslim – wir wollen zusammen leben."
    "Am Anfang war ja schon die Frage: Wie begegne ich denen? Dann gab es ja mit der Sprache Probleme. Dann sehen die ja alle zunächst alle gleich aus: Aber wenn man die so näher begegnet, die Namen kennt, so mit der Zeit hat sich da ein richtig geschwisterliches Verhältnis entwickelt."
    Keine einfache Aufgabe
    Schwester Regina vom Franziskanerinnenorden trägt ein graues, schmuckloses Kostüm mit Kopfhaube. Am Anfang, gibt sie zu, war ihre neue Aufgabe nicht einfach: Sprachprobleme, der Kampf mit der Bürokratie bei Behördengänge mit den Flüchtlingen, zu wenig Kenntnisse über deren Mentalität.
    Nun, nach zwei Jahren, freut sie sich über das gute Miteinander. Konflikte kamen selten vor.
    "Hier im Haus selber hatten wir einmal wirklich die Polizei da, wo ich sie geholt hab': Es ging laut her. Die haben wirklich gestritten. Aber nur verbal. Und dann haben wir die Polizei angerufen. Die waren auch da, haben mit den Kerls gesprochen. Es gab keine Handgreiflichkeiten. Von daher konnten wir früh eingreifen."
    "Guten Morgen, Schwester Regina, guten Morgen, Schwester Ines, wir haben uns ja schon heute Morgen im Gottesdienst gesehen."
    Skepsis gegenüber der bischöflichen Entscheidung
    Regelmäßig schaut Pfarrer Eckehard Schmid von der Weingartner Pfarrei St. Martin vorbei: Dass der katholische Bischof Gebhard Fürst höchstpersönlich entschied, das einstige Kloster als Flüchtlingsunterkunft zu nutzen, stieß anfangs in der Bevölkerung nicht nur auf Zustimmung. Da war die Angst vor den Fremden in der Stadt. Da war auch die Erwartung, das Gebäude für christliche Zwecke zu nutzen.
    "Der Heilige Martin sollte nicht theoretisches Programm sein, sondern auch praktisches Beispiel sein. Er wollte hier einen diakonischen Akzent setzen. Deshalb wollte er im leer stehenden Kloster Flüchtlinge haben.
    Vielleicht ist das ein gutes Beispiel dafür, dass Kirche manchmal spontan und ohne große Planung handeln muss."
    "Was machen wir? Wir spielen, lernen, lesen arabische Geschichten, mal Deutsch – Musik machen. Alle meine Entchen."
    Ein Stockwerk weiter oben: Die Kinderbetreuung. Mädchen und Jungen aus Syrien, Afghanistan und Eritrea singen gemeinsam auf Deutsch. Solche Szenen gehen auch Ordensschwester Regina nahe – und machen sie nachdenklich.
    "Von der Politik bin ich manchmal enttäuscht, weil ich denke: Alle kennen die Problematik, wieso die Menschen flüchten müssen. Das verreißt mich, weil ich aber denk, da müsste eigentlich die Politik eingreifen und dafür sorgen, dass die Menschen vor Ort bleiben können. Dass in den Ländern der Frieden wieder einkehrt."
    Doch bis es soweit ist, wird es wohl noch lange Zeit dauern. Bis dahin werden hier Erwachsene und Kinder aus den Krisenregionen der Welt, egal ob Christen oder Muslime, weiterhin willkommen sein.