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Knabe: Es geht um den "Respekt vor den Opfern und ihren Gefühlen"

Hubertus Knabe, Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, begrüßt das im neuen Stasi-Unterlagen-Gesetz festgelegte Beschäftigungsverbot für Ex-Stasi-Mitarbeiter in der Jahn-Behörde. Er hält es für "sehr vernünftig und überfällig", dass Opfer dort nicht länger auf die "ehemaligen Mitarbeitern dieser Geheimpolizei" treffen.

Hubertus Knabe im Gespräch mit Gerd Breker | 30.09.2011
    Gerd Breker: Am Telefon sind wir nun verbunden mit Hubertus Knabe. Er war von 1992 bis 2000 in der Forschungsabteilung des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen und seit 2001 ist er Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. Guten Tag, Herr Knabe.

    Hubertus Knabe: Ja, hallo! Schönen guten Tag.

    Breker: Herr Knabe, das ist alles so verwirrend. Warum hat man die Mitarbeiter der Stasi damals eigentlich übernommen? Es hieß wohl, man bräuchte sie für das komplizierte Archivsystem der Mielke-Behörde. Heute hören wir, sie seien als Fahrer angestellt. Was war denn der wirkliche Grund' Warum hat man sie eingestellt?

    Knabe: Ja das frage ich mich ehrlich gesagt auch, denn das wurde ja jahrelang geheim gehalten. Als ich dort 1992 anfing und ins Archiv ging, fiel ich aus allen Wolken, als mir da ein Stasi-Mitarbeiter entgegentrat. Und als ich dann noch erfuhr, dass die höchst delikaten Recherchen zu Herrn Gysi auch von Stasi-Mitarbeitern durchgeführt wurden, war ich doch einigermaßen verwundert. Es gab dann auch einen Brief an die Behördenleitung, dass das geändert werden möge, von verschiedenen Oppositionellen, die dort in der Behörde tätig waren.
    Erst viel später, nämlich, ich glaube, 2006 war es, hat sich herausgestellt, dass nicht nur diese "Fachleute" da in der Behörde arbeiteten, sondern dass auch der sogenannte Haussicherungsdienst, also die Leute, die die Stasi-Unterlagen bewachen und die den Opfern die Ausweise abnehmen, wenn man dort seine Akten einsehen will, dass die auch bei der Staatssicherheit tätig waren.
    Die wahren Gründe sind, glaube ich, wie folgt zu beschreiben: Bei dem niedrigen Personal, diesem Haussicherungsdienst, diesen Pförtnern, ist es offensichtlich so gelaufen, dass die nach Auflösung der Staatssicherheit im DDR-Innenministerium, nach der Wiedervereinigung, auf einmal im Bundesinnenministerium gelandet sind, dieses wollte sie los werden und hat sie dann in einem - wie soll ich sagen – bürokratischen Kurzschluss-Gedanken zur Stasi-Unterlagen-Behörde geschickt nach dem Motto, die verstehen was von Bewachung und die kann man dort am besten hin entsorgen.
    Später wurde das immer wieder hinterfragt, weil sie anfangs nur befristet beschäftigt waren, und es wurde darauf hingewiesen, wenn ihr sie jetzt noch mal verlängert, dann sind sie unkündbar. Das ist aber alles so durchgewunken worden und ich glaube, das war ein großer Fehler.

    Breker: Das heißt, wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann ist es tatsächlich vorgekommen, dass Opfer mit Tätern sozusagen Auge in Auge saßen?

    Knabe: Ja natürlich! Das ging ja bis hoch zu den Referatsleitern. Ein Referatsleiter, der eine Spionageausbildung hatte und dann im sogenannten Auskunftsbereich tätig war, aber auch die Pförtner am Eingang, die die Ausweise kontrollieren. Ich selbst habe das auch nie gewusst, wem ich da morgens meinen Ausweis zeigte, als ich dort acht Jahre gearbeitet habe.

    Breker: Aber dann, Herr Knabe, dann hat doch Roland Jahn völlig recht, das war ein Schlag ins Gesicht der Opfer?

    Knabe: Ja, ich kann ihm da nur beipflichten. Das ist, glaube ich, für jeden normalen Menschen ganz selbstverständlich, dass ausgerechnet Stasi-Mitarbeiter nicht hier die Stasi-Aufarbeitung betreiben können, oder dort die Ausweise oder die Akten bewachen können. Ich bin sehr verwundert über diese Diskussion, vor allem von Herrn Thierse angezettelt. Ich halte das auch ehrlich gesagt für unredlich, weil hier so getan wird, als würden die entlassen werden. Ich habe heute Morgen den SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann im Radio gehört, davon ist überhaupt keine Rede, das geht gar nicht, diese Leute zu entlassen. Das Einzige, was man versuchen kann, ist, sie woanders unterzubringen, und darum geht es und dem soll jetzt auch gesetzlich Nachdruck verliehen werden.

    Breker: Das heißt, Sie würden sagen, Herr Knabe, es ist absolut gerechtfertigt, dass für 47 Menschen, für ehemalige Stasi-Mitarbeiter in der Aufarbeitungsbehörde, dass da ein Bundesgesetz gemacht wird, mit dem man sie zwangsversetzen kann?

    Knabe: Es geht ja nicht nur um die 47, sondern es geht darum, dass bestimmte Institutionen auch gesetzlich frei gehalten werden von belasteten Mitarbeitern. So etwas Ähnliches gibt es auch in vielen Gedenkstätten-Gesetzen, wo ausdrücklich vermerkt ist, dass dort keine Stasi- oder anderweitig belasteten Leute arbeiten können. Man muss sich nur mal vorstellen: Bei den Gedenkstätten-Stiftungen, die beide Diktaturen zu verwalten haben, wenn da plötzlich irgendwelche ehemaligen Nazis tätig würden, da wäre ein Aufschrei in Deutschland zu hören, und ich finde zurecht. Und deswegen gibt es diese Gesetze in vielen anderen Einrichtungen. Nur bei der Stasi-Unterlagen-Behörde gab es das bisher nicht.

    Breker: Nun wird mit diesem Gesetz natürlich auch die Überprüfung verlängert um acht Jahre. Ist das vielleicht Gelegenheit für uns, Herr Knabe, so eine kleine Zwischenbilanz zu ziehen? Ist das aufgrund der Erfahrungen, die man bislang gemacht hat, gerechtfertigt und sinnvoll?

    Knabe: Ja man muss zunächst mal wissen, dass die Überprüfungen in Deutschland, anders als in vielen anderen Staaten Europas, selbst in Bulgarien, was nicht gerade als Vorreiter der Aufarbeitung gilt, dass diese Überprüfungen in Deutschland nicht obligatorisch sind, sondern das ist nur eine Möglichkeit, die dort im Gesetz geschaffen wird. Und aus meiner Sicht war es ein großer Fehler, diese Möglichkeit im Jahr 2006 durch die damalige Große Koalition praktisch abzuschaffen. Seitdem können ja in Deutschland nur noch Behördenchefs überprüft werden, und die Folgen haben Leute wie der brandenburgische Innenminister auszubaden, die jetzt ständig damit konfrontiert sind, dass irgendwelche Polizeiwachenleiter früher für die Stasi gearbeitet haben, dass das von der Presse bekannt gemacht wird. Deswegen ist es wichtig, dass in diesen Fällen die Möglichkeit besteht zu überprüfen, und das soll das neue Gesetz jetzt bewirken. Da sind die Möglichkeiten eben wieder etwas ausgeweitet worden.

    Breker: Herr Knabe, Sie erwähnten gerade den brandenburgischen Innenminister. Der gehört der SPD an und Wolfgang Thierse, der ebenfalls der SPD angehört, hat heute Morgen gesagt, man bräuchte einen Verdachtsgrund, einen begründeten Verdacht, um zu überprüfen. Das heißt, die beiden Herren sind sich nicht einig'

    Knabe: Ja, so ist es. Herr Thierse hat sich da nach meinem Eindruck ziemlich verrannt und kommt jetzt von der Position nicht mehr herunter. Der brandenburgische Innenminister Dietmar Woidke hat sich ja noch mal an den Fraktionschef der SPD im Bundestag Steinmeier gewandt und auf sein Problem hingewiesen, dass er nicht immer Feuerwehr spielen will, wenn in der Bildzeitung steht, Polizeichef Soundso war bei der Staatssicherheit, sondern dass er das bitte schön vorher wissen möchte. Und es ist ja sogar so, dass nach jetziger Rechtslage - selbst wenn es in der Zeitung steht - der Minister nicht eine offizielle Anfrage starten darf, und das ist einfach unvertretbar.

    Breker: In diesem Zusammenhang, Herr Knabe, erinnert man sich an den Satz von Bärbel Bohley: "Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat." Wenn Roland Jahn jetzt so sehr darauf pocht, dass in seiner Behörde keine ehemaligen Stasi-Mitarbeiter mehr tätig sind, fordert er dann Gerechtigkeit, oder ist das in einem Rechtsstaat eine zwingend erforderliche Angelegenheit, dass Opfer und Täter sich nicht begegnen dürfen?

    Knabe: Also der Rechtsstaat legt ja nur Regeln fest, dass man zum Beispiel, wenn man eben von einem bestimmten Posten entfernt werden soll, dass man Rechtsmittel dagegen einlegen kann, und eben die ganzen Instrumente des Rechtsstaates hat, um die Position des Einzelnen zu schützen. Hier geht es, glaube ich, eher um eine Frage der Hygiene, wenn man so will, und auch eben des Respekts vor den Opfern und ihren Gefühlen, die ja viel zu wenig eigentlich überhaupt auch gewürdigt werden. Es gibt keine Straßen, die an ehemalige Widerstandskämpfer der DDR erinnern, es gibt keine Schulen, die nach ihnen benannt sind, sie sind materiell bis heute schlechtergestellt als die Täter und vieles andere mehr. Und dass man wenigstens jetzt in diesem Punkt, wo sie ihre eigenen Verfolgungsakten sehen, darauf Wert legt, viel zu spät aus meiner Sicht, dass sie da nicht ehemaligen Mitarbeitern dieser Geheimpolizei persönlich begegnen, das finde ich schon sehr vernünftig und überfällig.

    Breker: 21 Jahre nach der deutschen Einheit – ein Gespräch mit Hubertus Knabe war das. Er ist Historiker und hat von 1992 bis 2000 in der Forschungsabteilung des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen gearbeitet. Heute ist er Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. Herr Knabe, ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch.

    Knabe: Gerne! Auf Wiederhören!

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