Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Kneipendebatten
Seelsorge am Biertisch

Der neue Verein "Wissenskneipe e.V." lädt in hippen Hamburger Lokalen zur Debatte ein. Von Angesicht zu Angesicht geführt, nehmen die Gespräche unvorhersehbare Wendungen. Irgendwann reden Pastoren über Zweifel und Atheisten über den Wert der Religion. Beim Bier werden die Grenzen zwischen Disput und Seelsorge fließend.

Von Mechthild Klein | 06.12.2016
    Ein Kiosk am Rathaus wirbt am 01.05.2013 in Hamburg mit einem "Grüß Gott" um Gäste.
    Ein Hamburger Kiosk wirbt mit einem "Grüß Gott". (dpa/ picture alliance / Angelika Warmuth)
    Wochende, 22 Uhr, Raureif auf den Straßen. Trotz klirrender Kälte ist das Brauhaus (Hopper Bräu) am Rande von Hamburg-Altona gut besucht. Ulrich – Alt-68er mit schwarzer Lederjacke hat sich schon ein Bier bestellt. Die meisten Gäste sind deutlich jünger als er.
    "Ich finde das spannend, mal zu erfahren, dass man anders als Stammtischmäßig dröhnend rumsitzt und auch neue Ideen wahrnimmt und vielleicht auch mit leichterem Kopf und vielleicht noch Musik im Hintergrund – warum nicht? Vielleicht klappt es, vielleicht klappt es nicht."
    Nun heißt es, sich einen Platz zu sichern. Dem kurzem Auftakt Stunden zuvor im Hamburger Schanzenviertel mit der Gründerin der Hamburger Modern Life School Pia Schaf folgte eine eher maue Runde mit dem "Titanic"-Autor und taz-Kolumnisten Jörg Schneider im Nachtasyl des Thalia Theaters. Dann zog die Wissenskneipe am späten Abend in diese angesagte Brauerei. Zwischen Stahltanks, Bierkästen und anderen lautstark palavernden Gästen gab's noch einen großen freien Tisch.
    Wiederbelebung der Streitkultur
    "Herzlich Willkommen zur dritten Wissenskneipe-Veranstaltung heute. Wir wollen uns auf eine möglichst lustvolle Art und Weise über alle möglichen Sachen unterhalten, weil wir festgestellt haben, dass diese Art von Streitkultur und Unterhaltung so'n bisschen aus unserem Leben verschwunden ist", sagt Tom Vargen. Er ist der erste Vorsitzende des Hamburger Vereins "Wissenskneipe".
    Der 47-Jährige will mit seinem Verein die Debattenkultur wiederbeleben. Mit einer Finanzspritze vom Verein "Andere Zeiten", der auch den Kalender "Der andere Advent" herausgibt. Zum Thema "Gott und die Welt" hat er 10 Referenten in 10 angesagten Kneipen zwischen St. Pauli und Hamburg-Altona eingeladen – ziemlich viele Termine an einem Wochenende. Nach einem Interview über die Religionen, Glauben und Unglauben kann man ins Gespräch kommen - mit dem Gast natürlich. Der heißt zu dieser späten Stunde Michael Schirmer und ist Pastor in dem Stadtteil. Fast ein Heimspiel also, zumal es um den Glauben geht.
    Wissenskneipe im Hopper Bräu in Hamburg Altona
    Wissenskneipe im Hopper Bräu in Hamburg Altona (Mechthild Klein)
    "Ich glaube, dass der Glaube das Ungewöhnliche ist. Oder Navid Kermani sagt, dass der Glaube heute der eigentliche Skandal ist, weil es so ungewöhnlich geworden ist, dass Menschen einer transzendentalen Kraft vertrauen."
    Und damit holt der ausgebildete Prediger seine Zuhörer ab. Ach ja: auf dem Kiez dutzt man sich und Michael wählt ein Luther-Zitat als Dreh- und Angelpunkt:
    "Einen Gott haben, heißt, etwas haben, worauf das Herz gänzlich vertraut. Ich hab die Erfahrung gemacht, dass das geht. Dass es hilft, dass es einen gründet, dass es das Leben möglicher, ich will gar nicht sagen, einfacher macht."
    Zweifel schließt der Pastor dabei explizit ein:
    "Ich glaube, es gibt an jedem Tag und in jeder Woche irgendeine Form von Zweifel."
    Seelsorge am Biertisch
    Und schon ist die Wissenskneipe mitten in einem seelsorglichen Gespräch. Das funktioniert sogar am Biertisch. Offenbar schätzen es auch einige Atheisten, dass Kirchengemeinden gute Dinge anschieben und Hilfe für Obdachlose oder andere Bedürftige organisieren. Einwände formuliert der Satiriker Jörg Schneider an die Adresse von Michael Schirmer:
    "Eines meiner Dilemmata ist, dass ich dich, Michael, sensationell sympathisch finde. Ich sehe viele Dinge natürlich ganz ganz ganz anders und ich finde auch, dass es keinen klerikalen Dachverband braucht, um gute Dinge zu tun."
    Wortreich wird hervorgekramt, dass die Dogmen der Kirchen überflüssig seien. Da docken auch andere Gäste an. Auch die Struktur der Institution erscheine fraglich.
    "Ich habe einfach das Problem, dass im 21. Jahrhundert noch auf archaische Hirtenstrukturen aus dem ersten Jahrhundert zurückgegangen wird. Das finde ich persönlich ein bisschen problematisch."
    Trotz unterschiedlicher Positionen gelingt in den zwei Stunden ein Austausch auf Augenhöhe. Die Zuhörer erzählen sogar über ihren persönlichen Glauben oder auch Unglauben, was sie stört oder begeistert. Am Ende zeigen sich viele Besucher ganz bewegt von dieser Form des Gesprächs. Förderlich war wohl auch das ein oder andere Bier.
    "Mich hat das sehr inspiriert und es hätte stundenlang so weitergehen können."
    "Ich find's schwierig zu sagen, was man glauben soll. Da habe ich mit allem Pastoralen schon immer Schwierigkeiten gehabt. Weil: ich lass mir das nicht vorgeben."
    "Supernett. Es sollte mehr passieren, dass wir wieder eine offene Diskussionskultur haben und nicht nur über Facebook und andere Medien sprechen, sondern miteinander sprechen, auch kontrovers diskutieren und uns freuen, dass andere Menschen auch andere Meinungen haben."
    Da klingt ein Überdruss über die Sozialen Medien an mit ihren gesichtslosen Stänker-Kommentaren. Offenbar stößt die Wissenskneipe hier in eine Lücke. Sie bringt Menschen zusammen, denen man in der eigenen Internet-Blase nicht begegnen würde, sie macht Austausch möglich von Angesicht zu Angesicht. Historiker mögen sich an die Salons des 19. Jahrhunderts erinnern. Die Wissenskneipen-Macher wollen in andere Städte expandieren. Dafür müssten aber alle Veranstaltungen besser besucht sein.