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Knieknorpel aus der Retorte

Medizin. - Fünf Millimeter dick, elastisch und sehr glatt ist die weiße Knorpelschicht, die die Knochen unserer Kniegelenke überzieht. Schwindet sie, schmirgeln die Gelenkknochen aufeinander. Es kommt zu Entzündungen und Arthrose. Um das zu verhindern, erproben Mediziner seit einigen Jahren im Reagenzglas gezüchtete Zelltransplantate.

Von Ralf Krauter | 26.05.2009
    Wenn alles gut geht, hält der Knorpel im Kniegelenk ein Leben lang. Sportunfälle oder ständige Fehlbelastung können aber lokale Defekte verursachen, die Arthrose Vorschub leisten. Damit es nicht so weit kommt, glätten Ärzte raue Knorpelstellen heute in der Regel und füllen kleine Lücken mit Knorpelstückchen, die sie zuvor aus weniger belasteten Zonen des Gelenks heraus gestanzt haben. Mangels ausreichendem Spendermaterial funktioniert das aber nur bei kleinen Defekten.

    Auf der Suche nach Alternativen begann der schwedische Orthopäde Lars Peterson 1984, menschliche Knorpelzellen im Labor zu züchten. 1994 transplantierte er den Knieknorpel aus der Petrischale erstmals Patienten. In München zog man zwei Jahre später nach, sagt Professor Andreas Imhoff, der Leiter der Abteilung für Sportorthopädie am Klinikum rechts der Isar.

    "Wir haben 1996 dann hier in München begonnen. Haben solche Knorpelzellen entnommen, aus dem Kniegelenk, die dann in einem Labor zum Züchten angeregt, in einem entsprechenden Medium. Und die dann in einer zweiten Phase wieder eingesetzt, um diesen Knorpeldefekt, also diese zerstörte Zone, wieder mit neuem körpereigenen Knorpel zu ersetzen."

    Anfangs injizierten Mediziner die in einer Flüssigkeit schwimmenden Knorpelzellen per Spritze. Ein angenähtes Stück Knochenlappen sorgte dafür, dass sie an Ort und Stelle anwuchsen. Die Operation war langwierig, die Erfolgsquote durchwachsen. Weshalb deutsche Krankenkassen bis heute keinen Anlass sehen, die 4000 bis 5000 Euro zu bezahlen, die die Knorpelzucht im Labor kostet.

    "Die ersten Verfahren, da gibt’s tatsächlich Langzeit-Resultate. Und die waren natürlich noch nicht so gut. Jetzt wird das Verfahren weiter entwickelt – so dass wir natürlich hoffen, diese ersten Resultate weiter zu verbessern. Ich denke, das braucht noch ein, zwei Jahre, dann sind wir soweit."

    Anstelle von Zell-Suspensionen verwenden die Mediziner heute bevorzugt gelartige Transplantate, die einfacher zu handhaben sind. Sie bestehen aus einem Fasergerüst, das im Labor mit Knorpelzellen geimpft wird, die dem Patienten bei einer ersten Operation entnommen wurden. Innerhalb von ein bis zwei Wochen wachsen die Knorpelzellen zu einer räumlichen Struktur heran. Ein passendes Stück davon bekommt der Patienten bei einer zweiten Operation implantiert. Bei kleinen Knorpeldefekten von maximal ein bis zwei Quadratzentimetern liege die Erfolgsquote heute bei über 80 Prozent, sagt Andreas Imhoff. Allerdings macht die Behandlung nur bei jungen Patienten Sinn, bei denen der umgebende Knorpel noch elastisch und regenerationsfähig ist.

    "Die Weiterentwicklung hat nun dazu geführt, dass man gesehen hat, dass man vielleicht das Ganze beschleunigen kann, diese Züchtungszeit von mehreren Wochen reduzieren kann, wenn man entsprechende Wachstumsfaktoren dazu gibt. Jetzt sind wir mittlerweile so weit, dass wir das in der gleichen Operation machen können. Also wir nehmen ein Vliessystem, geben die eigenen Zellen da hinein, die werden entsprechend präpariert im Operationssaal – um dann in der gleichen Operation wieder ins Gelenk eingebracht zu werden."

    Eine Operation anstelle von zweien – für die Betroffenen ist das deutlich angenehmer. Statt in der Petrischale wächst ihr Knorpelersatz direkt im eigenen Knie heran. In einer klinischen Multicenter-Studie testen die Münchner Mediziner das neue Verfahren seit zwei Jahren. Weltweit wurden bislang allerdings nur etwa 100 Patienten so behandelt. Für konkrete Aussagen zu den Heilungschancen ist es zu früh.

    "Leider brauchen wir für das Erfassen der Resultate sehr viel Zeit, eigentlich fast zehn Jahre, damit man sehen kann, dass der Knorpelschaden nicht größer wird, dass die Arthrose nicht zugenommen hat. Letztlich geht’s ja darum, langfristig die Arthrose zu bremsen. Und das sieht man leider nicht nach einem Jahr."

    Zumal der gewachsene Knorpelersatz frühestens nach einem Jahr wieder normal belastet werden darf. Leistungssportlern raten die Ärzte derzeit sogar zu zwei Jahren Zwangspause.

    "Belastungsstabilität, Elastizität, das sind Dinge, die wir erst nach zwei Jahren erhalten. Also eigentlich eine sehr lange Zeit, die kaum jemand heute noch hat, vor allem nicht sich solange schonen will. Das sind Dinge an denen wir arbeiten und ich glaube, dass wir da in den nächsten Jahren weitere Fortschritte haben werden. Dass wir diese Zeit reduzieren können, dass man sagen kann, vielleicht nach 6 bis 8 Wochen sind wir wieder so weit. Das wäre das Ziel."

    Andreas Imhoff ist zuversichtlich, dass sich mit Zelltransplantaten künftig auch größere Knorpeldefekte behandeln lassen. Wem das gelingt, der hätte eine Lizenz zum Geld drucken, weil er Arthrose wirkungsvoll bekämpfen könnte. Kein Wunder, dass allein in Deutschland rund zehn Firmen versuchen, im Geschäft mit der Gewebezucht Fuß zu fassen.

    Weblinks:

    http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2005/0930/wissenschaft/0003/index.html

    http://www.aerztekammer-bw.de/25/10praxis/47sportmedizin/0704.pdf

    http://www.fraunhofer.de/Images/mag3-2004-16_tcm5-10554.pdf

    http://www.fz-juelich.de/ptj/datapool/page/494/Tissue.pdf