Donnerstag, 18. April 2024

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KNM campus days in Berlin
"Neue Musik für alle"

"Coma": Hinter diesem Kürzel verbirgt sich die Initiative "Contemporary Music for All". Dort spielen Laienmusiker zeitgenössische Werke auf hohem Niveau. Die aus Großbritannien stammende Initiative hat seit einiger Zeit auch einen Ableger in Berlin. Hier trafen sich jetzt Teilnehmer aus ganz Europa zu einem Workshop-Festival.

Von Julia Kaiser | 18.10.2016
    Gregory Rose dirigiert das Orchester der KNM Campus Days
    Neugierig auf neue Klänge: das Orchester der KNM bei den Campus Days (KNM Campus Days)
    Die schwere Tür des Kulturhauses Podewil in Berlin öffnet sich. Herein kommt der Geiger Gavin McGabe, unterm Arm trägt er aber nicht sein Instrument, sondern eine Baumwolltasche und sein Mobiltelefon. Herbstblätter habe er gesammelt und Geräusche aufgenommen, erklärt der Brite.
    "Ich bin im Workshop "Playing Places”. Wir sammeln Klänge aus der Umgebung und lassen uns dadurch zu einer Komposition für das Abschlusskonzert morgen Abend inspirieren. Ich habe ein Motorengeräusch mitgebracht. Mich interessiert, welche Tempi und Klangfrequenzen sich darin finden und wie wir es vielleicht mit Instrumenten nachempfinden können. In der Gruppe diskutieren wir gleich, welche Sounds wir einfach abspielen und welche wir transformieren. Dazu kommen die visuellen Aspekte unserer Aufnahmen, wir bringen also Klänge und Bilder aus der näheren Umgebung in den Konzertraum."
    Gavin gehört zur Initiative "Contemporary Music for All", Zeitgenössische Musik für alle, kurz "Coma".
    "Ich bin schon eine ganze Weile beim London Coma-Ensemble, bestimmt 15 Jahre. Bei uns spielen Leute mit unterschiedlicher Kompetenz und Spielfertigkeit mit. Aber das gehört zu Coma, denn es will inklusiv sein. Jeder darf mitspielen, der sich für moderne Musik interessiert. Auch unter Amateuren und Anfängern gibt es ja viele Leute, die sehr musikalisch sind – nur haben sie vielleicht für lange Zeit nicht die Möglichkeit gehabt, ein Instrument zu lernen. Was wir gemeinsam haben, ist das Interesse an neuer Musik und neuen Klangmöglichkeiten.
    Initiative aus Großbritannien
    14 Coma-Ensembles gibt es in ganz Großbritannien. Einmal im Jahr treffen sich die einzelnen Gruppen zum Coma-Festival in London. Das Ensemble KNM Campus ist im vergangenen März hingefahren, erzählt die Flötistin Kerstin Schilling.
    "In Großbritannien ist die Bewegung viel größer, da gibt es sehr viel mehr Ensembles und da gibt es sehr viel mehr Amateurensembles, die sich Zeitgenössischer Musik widmen. Und wir dachten: Ja, dann fahren wir hin und dann kommen die Engländer zu uns. Und plötzlich wurde aus dieser Idee ein großes Festival! Der Impuls war einfach, sich international zu vernetzen und auszutauschen, denn wir sind schon sehr einzigartig in Berlin und auch in Deutschland. Das ist unser Alleinstellungsmarkmal; wir sind ein Ensemble erwachsener Amateure, die Zeitgenössische Musik machen, das gibt es sonst gar nicht. Und da jetzt andere kennenzulernen, aus den Niederlanden, aus Großbritannien, das ist toll! Und das zweite ist natürlich, in diesem Netzwerk Stücke auszutauschen. Es gibt diese große Sammlung, Coma in England, wo renommierte Komponisten wie Naomi Pinnock oder Michael Nyman für Amateure schreiben, und dort Stücke kennen zu lernen oder hier auch zu hören, das ist großartig!"
    Chris Shurety ist der künstlerische Leiter und einer der Gründer von "Contemporary Music for All". Tatsächlich sind bei der Initiative nicht nur auf hohem Niveau musizierende Laien willkommen, sondern auch solche, die ihr Instrument gerade erst erlernen. Damit die neue Musikszene belebt wird, lässt Coma ständig neue Werke komponieren. In Open Score, also für freie Besetzung, erklärt Chris Shurety.
    "Es ist im Grunde eine Sopran-Alt-Tenor-Bass-Stimmenverteilung für Instrumente. Oder hohe Stimme, mittelhohe, mitteltiefe und tiefe Stimme. Die Komponisten müssen beim Schreiben berücksichtigen, dass man zum Beispiel die hohe Stimme sowohl mit Geigen als auch mit Flöten, Klarinetten oder auch einer Oboe oder auch einer Zusammensetzung verschiedener Instrumente besetzen kann. Und so geht es durch die Stimmen bis zu den Kontrabässen oder Fagotti in der Tiefe. Es ist vielleicht mit Bachs Musik zu vergleichen, der ja auch nicht immer die Besetzung festgelegt hat. Man kann seine Werke mit einem Tasteninstrument spielen, aber auch mit Streichern oder einem Sängerensemble – sie klingen immer interessant und ganz verschieden. Zwar haben wir keine Improvisationselemente, aber doch viel gestalterischen Freiraum."
    Inspirierende Idee
    Durch diese Idee fühlt sich auch die Flötistin Rebecca Lenton von KNM Berlin inspiriert. Nach einem Projekt mit Laien haben auch sie und ihre Kollegen ein Ensemble für Zeitgenössische Musik mit Nicht-Profis gegründet. Im Gegensatz zu Coma arbeitet KNM Campus jedoch viel mehr mit Improvisation und neuen Notationstechniken. Im März haben die Gruppen gemeinsam in London Open Score-Werke einstudiert, bei den KNM Campus Days kommen neue Ansätze hinzu.
    "Nach unserer Erfahrung in England haben wir einen Eindruck bekommen, was sie dort machen und es war mein Traum, einen Eindruck vom Berliner Musikleben zu geben, von der Neue Musik-Szene hier in Berlin. Und einige Sachen, die meine KNM-Kollegen und ich mit den Campus-Leuten schon gemacht haben, machen wir hier in Workshopform. Mein Workshop heißt "Playing Places" und die Idee ist, dass wir ein Stück von diesem Ort machen."
    Während Rebekka Lentons Gruppe in der Umgebung des Berliner Kulturhauses Podewil in Berlin Mitte auf Inspirationssuche geht, arbeiten die anderen Teilnehmer mit anderen Lehrern aus dem Ensemble KNM Berlin. Es gibt Experimente mit nur durch die Spielhaltung notierten Duos von Michael Pisaro und Improvisation. Auf einander zu hören, zu reagieren, Ideen weiterzuführen und neue Stücke zu kreieren, das zeigen die Gruppen beim Abschlusskonzert. Und zum großen Finale stehen alle 50 Teilnehmer gemeinsam auf der Bühne.
    Andere Neue-Musik-Begeisterte kennen zu lernen, das war für die meisten Teilnehmer das Wichtigste. Auch für die britische Geigerin Sue Watts.
    "Es war toll! Mit so vielen Leuten aus anderen Ländern zusammen zu spielen, die alle den Enthusiasmus für Neue Musik teilen. Ich spiele ja schon seit Langem Zeitgenössische Musik, es ist also nicht die Art von Kompositionen, die für mich neu ist. Aber sie jetzt mit so vielen verschiedenen Instrumenten und neuen Spieltechniken zu gestalten. Raus aus der eigenen Spielgewohnheit!"
    Musik: Hannah Kendall, "Into Pieces for mixed Ensemble"