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Knöpfchen drücken für Fruchtsaft

Tierschutz. - Tierversuche an Affen sind heftig umstritten. Gestern hat das EU-Parlament die neue Tierversuchs-Richtlinie verabschiedet. Menschenaffen dürfen in Europa in Zukunft nicht mehr als Versuchstiere eingesetzt werden. Doch wie wird die Forschung mit anderen Primaten in Zukunft aussehen?

Von Marieke Degen | 09.09.2010
    Ein Labor im Deutschen Primatenzentrum in Göttingen. Stefan Treue sitzt vor einer Wand aus Bildschirmen, über die alle möglichen Signale flackern. Auf einem ist, in schwarzweiß, ein Affe zu sehen.

    "Also, das Ziel unserer Forschung ist, hier an Rhesusaffen, also nahen Verwandten des Menschen, zu untersuchen, wie grundlegende Hirnfunktionen funktionieren."

    Der Neurowissenschaftler will herausfinden, wie Aufmerksamkeit entsteht. Dafür hat er die Affen extra trainiert.

    "Die bekommen eine Videospielaufgabe, so kann man das am einfachsten ausdrücken, die sitzen also vor einem Computerbildschirm, auf dem Computerbildschirm werden Bilder, Reize, Signale gezeigt, und der Affe lernt, auf bestimmte Signale zu reagieren, wenn er eine Taste drückt oder durch das Loslassen einer Taste."

    Der Affe hockt in einem Raum direkt neben dem Labor, auf einem so genannten Affenstuhl. Sein Kopf ist fixiert, er schaut direkt auf den Bildschirm. Blitzschnell drückt er die Taste vor sich. Wenn er richtig reagiert hat, bekommt er etwas Saft zur Belohnung. Im Gehirn des Affen stecken Elektroden, mit denen die Forscher die Aktivität von einzelnen Nervenzellen messen können. Die Versuche werden nach den höchsten Tierschutzstandards durchgeführt, versichert Stefan Treue.

    "Das Klacken, was Sie hören ist die Gehirnaktivität des Tieres. Das Gehirn kommuniziert ja mit kleinen Stromimpulsen, winzigen Spannungen natürlich nur, aber jeder dieser Stromimpulse wird von dem Computer in ein kleines Klacken verwandelt. Und das, was Sie da hören, ist die Aktivität von Nervenzellen im Gehirn des Tieres. Und die ist natürlich abhängig davon, was tut das Tier, was sieht das Tier, wie wird die Aufgabe gelöst, die das Tier gerade macht, und ist im Grunde das, was wir messen bei den Versuchen."

    Die Forscher gehen davon aus, dass die Prozesse im menschlichen Gehirn ganz ähnlich ablaufen. Wenn man versteht, wie ein gesundes Hirn funktioniert, sagen sie, dann könnte das eines Tages dabei helfen, ein krankes Hirn zu heilen. Diese Art der Grundlagenforschung ist unter Tierschützern extrem umstritten, doch sie wird auch in Zukunft möglich sein. Daran wird die neue europäische Tierversuchs-Richtlinie nichts ändern. Treue:

    "Also für einen konkreten Versuch in Deutschland ändert sich zum Beispiel etwas in der genauen Zusammensetzung der Genehmigungsbehörden, in den administrativen Abläufen, aber in der Frage, welche Versuche genehmigungsfähig sind und welche nicht, geh ich eigentlich davon aus, dass sich kaum wesentliches ändern wird."

    In der neuen Tierversuchs-Richtlinie werden diese neuowissenschaftlichen Versuche als nicht belastend eingestuft, der Affe hat keine Schmerzen und keinen Stress. Stefan Treues Versuche werden also auch in Zukunft nicht sonderlich eingeschränkt. In der Krebsforschung könnte das aber schon ganz anders aussehen. Wenn Forscher schwere menschliche Krankheiten untersuchen, müssen sie auch die Versuchstiere schwer belasten. Die Tierversuchs-Richtlinie schreibt jetzt vor: Versuche, bei denen die Tiere extrem leiden, dürfen nur einmal mit dem Versuchstier gemacht werden. Das gilt nicht nur für Primaten, sondern auch für Hunde oder Ratten. Treue:

    "Wenn Sie Schmerz als eigenes Forschungsgebiet untersuchen, dann können Sie natürlich nicht mit kompletter Anästhesie arbeiten, auch wenn das für die Tiere besser wäre, weil sie letztendlich das abbilden müssen, was im Menschen passiert. Schmerz, der nicht gelindert werden kann, zum Beispiel, schwere orthopädische Veränderungen. In all solchen Tiermodellen kann es natürlich auch zu schweren Belastungen der Tiere kommen."

    Trotzdem müsse man das Leid der Tiere immer auch gegen das Leid der kranken Menschen abwägen. Manchmal müssen Forscher ein Versuchstier mehrfach einsetzen, um an brauchbare Ergebnisse heranzukommen. Es wäre besser, von Studie zu Studie zu entscheiden, was man den Tieren zumuten kann und was nicht, sagt Stefan Treue. Doch genau das sei in der jetzt verabschiedeten EU-Richtlinie nicht vorgesehen. Außerdem macht die Richtlinie einen Unterschied zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung. Einige Versuche sind künftig nur noch in der angewandten Forschung erlaubt. Dabei könne man bei den meisten Studien überhaupt nicht sagen, ob es sich um angewandte Forschung oder Grundlagenforschung handelt.

    "Stellen Sie sich vor, Sie untersuchen die Immunschwächekrankheit Aids. Dann würde jeder sagen, Sie sind in der angewandten Forschung, es geht direkt um ein menschliches Krankheitsmodell. Aber um das zu machen, müssen Sie aber grundsätzliche zelluläre Prozesse der Zellen verstehen. Grundsätzliche Prozesse des Immunsystems. Also Grundlagenforschung. Also nicht auf die Anwendung hin. Sie können diese beiden Dinge nicht voneinander trennen."

    Doch welche Veränderungen sich tatsächlich für die Forscher ergeben werden, ist jetzt noch nicht absehbar. Es kommt darauf an, wie die neue Richtlinie in das nationale Recht übertragen wird, also ins deutsche Tierschutzgesetz.

    "Erst dann kann man konkret sagen, dieser Versuch wird noch möglich sein, dieser Versuch wird nicht mehr möglich sein."

    Die Behörden haben dafür jetzt erst einmal zwei Jahre Zeit.