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Koalition aus CDU und SPD
Warum plötzlich alle die GroKo wollen

Mit der GroKo ist es wie mit Lebertran: Eigentlich ekelt uns allein der Gedanke daran an. Doch jetzt schallt es von allen Seiten: Die GroKo ist die gesündeste Lösung für das Land! Und schon sind wir bereit, das widerliche Zeug zu schlucken. Eine Glosse über den menschlichen Willen.

Von Ulrich Deuter | 27.11.2017
    Stimmzettel mit Wahlkreuz bei GroKo. Fotomontage/Symbolbild.
    Nach der Wahl wollten die Wähler Jamaika. Jetzt wollen alle die GroKo. Der menschliche Wille gibt Rätsel auf. (imago stock&people)
    Was will der Wille? Ist er unser innerer Diener oder beherrscht er uns? Wenn er da ist, wenn wir also etwas wollen: Wer oder was hat dann dieses Wollen gewollt?
    Wir handeln, finden deutliche Worte, treffen Entscheidungen. Sinken abends aufs Sofa und spüren den Zweifel aufsteigen: Haben wir das wirklich, also eigentlich gewollt? Und am nächsten Tag stellt sich erneut die Frage: Was willst du heute? Was willst du überhaupt?
    Früher wollte ich keinen Lebertran mehr. Schon um 18:05 Uhr sagte ich zu meiner Mutter: Für einen weiteren Löffel Lebertran stehe ich nicht zur Verfügung. Dafür bekam ich viel Beifall von den anderen Geschwistern. Das war am 24. September. Mittlerweile aber zeigen die mahnenden Worte der Erwachsenen über die stabilisierende Bedeutung des Tran-Schluckens erste Wirkung. Und dann gibt es ja auch noch das Versprechen eines Bonbons danach.
    Ich habe es nicht gewollt. Aber es war das Beste so
    Ich schwanke. Ich spüre zwei Willen in mir. Mit widerwilligen Beinen nähere ich mich dem ausgestreckten Löffel mit dem ölig schimmernden Fischfett. Wahrscheinlich werde ich das widerliche Zeug in wenigen Tagen doch wieder im Mund haben; und dann eilig hinunterschlucken. Danach werde ich in die Kameras lächeln und verkünden: Ich habe es nicht gewollt. Aber es war das Beste so. Für unser Land.
    Kann man aber etwas tun, was man nicht wollte? Braucht man nicht für jedes Tun einen Willen? Anders gefragt: Wie kann man etwas wollen, was man nicht will?
    Nach der Wahl wollten die meisten Wähler Jamaika. Mittlerweile wollen die meisten die Große Koalition. Da es beide Male die meisten sind, muss es sich um dieselben Menschen handeln. Dabei mag niemand die GroKos. Sie trocknen die politische Mitte aus und stärken die Ränder. Sie bewerkstelligen wenig, die wichtigsten Entwicklungen in der Geschichte unseres Landes sind von kleinen Koalitionen auf den Weg gebracht worden. Kleinkoalitionen, die aber dennoch die Mehrheit darstellten.
    Der Wille, der will, was er nicht will
    Es ist sonderbar, dass in Zeiten, in denen die Mehrheit in lauter Minderheiten zerfallen ist, in der noch die kleinste Minorität vollen Respekt und Schutz gewährt bekommt – dass in solchen Zeiten eine solche Angst vor einer Minderheit an der Staatsspitze existiert, vor einer Regierung, die sich die Mehrheit im Parlament durch Argumente jeweils erarbeiten muss. Argumente, was für eine Vorstellung! Und was für ein Problem, wenn man sich die weitgehende programmatische Deckungsgleichheit der Parteien im Bundestag, AfD ausgenommen, vor Augen führt.
    Aber vorbei, wir wollen ja jetzt das, was wir eigentlich nicht wollen. Noch widerstreben wir, noch rufen wir: Nicht um jeden Preis! Doch sichtbar für alle nähert sich der Mund dem Löffel, verzieht sich die eine Gesichtshälfte vor Ekel vor dem Lebertran, die andere vor Vorfreude auf das Bonbon danach. Während sich die Stirn staatstragend in Falten legt.
    Des Menschen Wille ist sein Himmelreich, so heißt es. Wie himmlisch ist es um ein Land bestellt, das mehr als nur einen Willen, das einen Meta-Willen hat: den Willen, der will, was er nicht will.

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