Noch im Februar, als in Wuhan längst alles stillstand, verglich RKI-Präsident Lothar Wieler COVID-19 mit einer schweren Grippe. Heute schätzen er und das RKI das Virus anders ein. Doch man macht es sich zu leicht, indem man im Nachhinein sagt, das war falsch. Das RKI hatte das Virus sehr wohl schon Mitte Januar im Blick, als es noch gar nicht SARS-CoV-2 hieß. Zu dem Zeitpunkt war aber noch nicht klar, weder in Berlin noch anderswo, dass es eine Pandemie auslösen würde. Der Ausdruck "nach derzeitigem Kenntnisstand", den man vom RKI am häufigsten hört, zeigt, dass sich diese Pandemie rasend schnell entwickelt hat. Es ist daher normal, dass Einschätzungen geändert werden müssen.
In manchen Fragen wird dem RKI ein Schlingerkurs vorgeworfen. Anfangs hat sich das RKI beispielsweise gegen die Obduktion von COVID-19-Toten ausgesprochen mit der Begründung, dass Obduktionen bei einem Erreger, der sich durch die Luft ausbreitet, gefährlich sind. Das war sozusagen die Position des Arbeitsschutzes. Genauso wichtig ist aber die Position der Wissenschaft: Einen neuen Erreger muss man schnell kennenlernen. Da sagt die Pressesprecherin des RKI, das ist nicht gut gelaufen. Auch wenn sie betont: Das RKI hat die Obduktionen ja nicht verboten, das kann es gar nicht. Und entsprechend haben sich ja auch in Deutschland Pathologen die notwendige Schutzkleidung angezogen und geforscht. Aber ganz klar, hier war die Empfehlung des RKI eher hinderlich. Später wurde sie revidiert.
Bei den Gesichtsmasken sieht das anders aus. Da gab es erst die Empfehlung des RKI: "Nützt nichts" - wieder aus der Position des Eigenschutzes heraus. Daran hat sich nichts geändert: Wenn wir heute Gesichtsmasken aufziehen, dann nicht, um uns selbst zu schützen, sondern um die anderen zu schützen vor Viren, die wir selbst vielleicht ohne es zu wissen verbreiten. Und welche Bedeutung Personen ohne Symptome für die Epidemie haben, ist erst nach und nach klar geworden.
Das RKI ist eine Behörde, formal zuständig für die Gesundheit in Deutschland. Konkret liegt die Verantwortung aber bei den Bundesländern, Kreisen und Gemeinden. Die Gesundheitsämter müssen zwar positive COVID-19 Tests melden, aber wenn sie das am Sonntag nicht machen, hat das RKI keine Handhabe. Aufgrund dieser Verzögerungen ist die Johns-Hopkins-University schneller, denn die greift zum Beispiel auch auf Medienberichte zurück.
Die Testergebnisse sind die einzigen harten Daten, die es gibt. Alles andere sind mathematische Berechnungen. Die Epidemiologen und Mathematikerinnen der verschiedene Forschungsinstitute in Deutschland und weltweit gehen da auf unterschiedliche Weise heran, doch die Ergebnisse liegen nicht so weit auseinander.
Auf einen einzigen Wert zu starren, aktuell wäre das der R-Wert, hilft nicht weiter. Da gab es ja die Kritik, dass der schon vor dem Lockdown runterging. Das sieht man aber erst im Nachhinein, weil die Zahlen immer in die Vergangenheit blicken. Vom R-Wert allein kann man auch nicht ableiten, dass die Maßnahmen alle unnötig waren. Das hat das RKI auch immer so kommuniziert, aber vielleicht nicht immer klar genug.
Auch wenn das RKI ohne Zweifel Fehler gemacht hat, ist das bei einer so dynamischen Lage unvermeidlich. Unterm Strich funktioniert das RKI. Das zeigt auch der Blick in die USA: Dort macht die Regierung den "Centers for Disease Control" die Arbeit schwer, wenn nicht unmöglich. Bei uns sind Lothar Wieler und Lars Schaade das Gesicht der Wissenschaft in der Coronavirus-Pandemie geworden. Diese Rolle haben sie sich nicht ausgesucht und sie passt auch nicht zum RKI. Denn das Institut ist eigentlich für die Fachöffentlichkeit da, für die Ärzte. Es soll eben eigentlich nicht direkt die Öffentlichkeit informieren. Die relevanten Informationen stehen jeden Tag auf den Internetseiten des RKI.