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Kampf gegen Doping
Wegweisendes Urteil im Fall Felix Sturm

Doping kann Körperverletzung sein. Immer dann, wenn ein gedopter Sportler physischen Kontakt mit einem Gegner hat, sind die Regeln des Sports gebrochen. Und damit können Leberhaken und Blutgrätschen auch zum Fall für den Staatsanwalt werden.

Von Tom Mustroph | 10.05.2020
Der Boxer Felix Sturm
Der Boxer Felix Sturm (imago Sportfoto)
Es ist ein neues Kapitel im Anti-Dopingrecht: Die 12. Große Strafkammer des Landgerichts Köln verurteilt Ende April den früheren Box-Champion Felix Sturm wegen Steuerdelikten, Doping und Körperverletzung zu drei Jahren Haft. Interessant ist dabei der Zusammenhang von Doping und Körperverletzung. Denn erst eine positive Dopingprobe, genommen nach Sturms WM-Kampf vom April 2016, hat zum Tatvorwurf der Körperverletzung geführt. Die Argumentation des Gerichts: Durch das Doping werden die Fairness-Regeln des Boxens verletzt. Faustschläge im Ring gelten deshalb nicht mehr als Wettkampfsport, sondern als ganz gewöhnliche Körperverletzung. Für den Antidopingkampf eröffnen sich damit neue Horizonte. Lars Mortsiefer, Justiziar und Vorstandsvorsitzender der Nationalen Antidopingagentur Deutschlands:
"Wir haben jetzt das erstinstanzliche Urteil von einem Landgericht, das sich intensiv nicht nur mit Steuerstrafrecht beschäftigt hat, sondern auch mit Doping und dann auch mit der Frage, ob im Boxen Doping dann auch Körperverletzung sein kann. Und es kommt zu dem Ergebnis: Ja, das ist es."
Felix Sturm (l) boxt gegen den Russen Fjodor Tschudnow und gewinnt den Weltmeistertitel der WBA im Supermittelgewicht am 20.02.2016 in Oberhausen zurück.
Dopingforscher: "Stanozolol verbessert Ausdauer und Schnellkraft"
Der Boxer Felix Sturm ist positiv auf das anabole Steroid Stanozolol getestet worden. Sturm selbst will seine Unschuld beweisen. Eine Andeutung aus dem Verband, dass die Substanz im Boxen nicht von Vorteil sei, wies Dopingforscher Perikles Simon zurück.
Nicht nur die staatlichen Dopingjäger stimmen der Argumentation des Landgerichts zu. Auch Michael Lehner, Deutschlands wohl bekanntester Anwalt in Dopingsachen, findet die Herleitung völlig korrekt. "Gut, das ist eine messerscharfe juristische Überlegung, die natürlich auch so zutrifft. Denn beim Boxen, bei diesen Kampfsportarten, wird ja nur eingewilligt in Körperverletzungen, wenn regelgerecht geboxt wird." Und werden die Regeln nicht eingehalten, durch Doping zum Beispiel, stellen die Hiebe im Boxen plötzlich Körperverletzungen dar. Lehner sieht auch Anwendungsmöglichkeiten in anderen Sportarten, auch im Fußball. "Überall, wo es Vollkontakt Mann gegen Mann oder Frau gegen Frau gibt. Die Blutgrätsche ist ja eine Körperverletzung, in die eingewilligt wird, als eine nicht zu vermeidende Verletzung im normalen Zweikampf, der Regel gerecht ist. Und da kann man das ausweiten."
Sogar ein ganz neues Arbeitsgebiet für Juristen könnte sich auftun: Klagen auf Schadensersatz. "Man muss gucken, wenn tatsächlich so eine Verletzung in einem Spiel war, dann könnte der Sportler, der verletzt wurde, und sonst keinen Schadensersatz kriegt, der könnte jetzt auch Schadensersatz bekommen." Neue Fälle also? Lehner beschreibt ein mögliches Szenario: "Du hast mich hier gefoult, du warst gedopt, deshalb liegt für das Foul meine wirksame Einwilligung nicht vor. Ich verlange Schadensersatz. Das ist eine Ausweitung des Risikos."
Abschließend ist das Urteil noch nicht
Allerdings dürften solche Fälle in der Praxis eher selten auftreten. Denn zeitlich müssten Doping und harter physischer Kontakt zusammenfallen. Unwahrscheinlich ist auch, dass ein Sportler, der verletzt aus der Arena gebracht wird, schnell noch einen Dopingtest für den Rivalen in Auftrag gibt. Realistischer ist, dass Staatsanwälte bei bekannt gewordenen Dopingvergehen in Zukunft auch einen Verdacht auf Körperverletzung abprüfen. NADA-Vorstand Mortsiefer hofft auch, dass Staatsanwälte, die sich bislang nicht in erster Linie mit Doping beschäftigt haben, aber mit dem Tatbestand der Körperverletzung vertraut sind, auf dieser Grundlage neue Verfahren eröffnen. Kai Gräber, Leiter der Münchner Schwerpunktstaatsanwaltschaft Doping, ist in seiner Beurteilung allerdings vorsichtiger. Er wolle erst die schriftliche Urteilsbegründung abwarten, teilt er Deutschlandfunk mit. Die erfolgt in einigen Wochen.
Abschließend ist das Urteil noch nicht. Die Verteidigung hat am Mittwoch Revision eingelegt, informiert Sturms Anwalt Nils Kröber den Deutschlandfunk. Er sieht es nicht als bewiesen an, dass sein Mandant die Dopingsubstanz bewusst zu sich nahm. Im Sportrecht führt bereits der Nachweis einer verbotenen Substanz zur Sanktion. Außer, der Athlet kann nachweisen, dass sie versehentlich eingenommen hat, zum Beispiel über Fleisch. Für eine strafrechtliche Verurteilung fordert Kröber den Beweis, dass Sturm das Muskelmittel Stanozolol mit voller Dopingabsicht zu sich genommen hat.
Eher laxe Dopingkontrollen im Profiboxen
Die Argumentation, dass Doping im Zweikampfsport zum Tatbestand der Körperverletzung führen kann, hält allerdings auch der Verteidiger für grundsätzlich korrekt. Trotz dieser Einigkeit der Rechtsexperten ist Felix Sturm der erste Doper, der wegen Körperverletzung verurteilt wurde. Das liegt zum einen daran, dass Doping erst seit Dezember 2015 Straftatbestand in Deutschland ist. Ein zweiter Grund sind die eher laxen Dopingkontrollen im Profiboxen. "Der Berufsboxport ist da sehr dilettantisch unterwegs, das muss man schon sagen. Über Jahre hinweg wurden unsere Hinweise auf die Umsetzung eines ordnungsgemäßen Antidopingregelwerks, auch die Anbindung an das Regelwerk der Weltantidopingagentur, missachtet."
Der Bund Deutscher Berufsboxer hat auf Anfragen von Deutschlandfunk nicht reagiert, ebenso wenig die WBA, unter deren Aufsicht der WM-Kampf und auch die Dopingkontrolle stattfanden. Ihr Sport könnte jetzt vor allem durch Anwälte mit Spezialgebiet Schadensersatz schwer unter Druck geraten.