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Koalitionsgespräche
"Für Merkel ist Jamaika alternativlos"

Mit der Nominierung Wolfgang Schäubles als Bundestagspräsident hat die Kanzlerin nach Ansicht von Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann früh einen wesentlichen Verhandlungsgegenstand der Koalitionsgespräche "in die Manege geworfen": das Finanzministerium. Das sei eine wichtige erste Geste für eine Jamaika-Koalition gewesen.

Ulrich von Alemann im Gespräch mit Dirk Müller | 18.10.2017
    Porträt von Ulrich von Alemann
    Der emeritierte Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann lehrte früher an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. (dpa / Heinrich-Heine-Universität)
    Dirk Müller: CDU und CSU, FDP und die Grünen – diese vier Parteien wollen miteinander koalieren. Am Telefon ist nun der Düsseldorfer Politikwissenschaftler Professor Ulrich von Alemann. Guten Tag!
    Ulrich von Alemann: Guten Tag, Herr Müller.
    Müller: Herr von Alemann, kann auch etwas zusammenwachsen, was gar nicht zusammen gehört?
    von Alemann: Durchaus! Das ist gerade bei Koalitionen möglich, wenn sich die Wählerschaft gar nicht überschneidet. Wenn dann keine roten Linien permanent aufgebaut werden, keine Blockade gemacht wird, und wenn man sich gegenseitig etwas gönnen kann, dann muss es um Ziele gehen, die jede der vier Parteien erreichen möchte, und nicht um Verhindern von Dingen, die der andere gerade gerne haben will. Es kommt sehr, sehr stark auf die Moderation solcher Gespräche an, und die liegt natürlich bei der stärksten Partei und der Kanzlerin, bei Frau Merkel, und wenn sie etwas kann, dann kann sie offensichtlich moderieren. Das zeigt sie auch in Europa und in der internationalen Politik.
    "Langfristige Strategen, kleine kurzfristige Taktiker"
    Müller: Und sie kann auch etwas gönnen?
    von Alemann: Ja, ich denke schon. Es gibt eine langfristige Strategie und langfristige Strategen in diesem Verhandlungsspiel. Dazu gehört sicherlich Frau Merkel. Und es gibt die kleinen kurzfristigen Taktiker. Dazu zähle ich jetzt eher die CSU, die die Taktik hat, jetzt schon Barrikaden aufzubauen, wieder an die Obergrenze zu erinnern und so weiter, statt es erst mal offenzulassen und in Verhandlungen zu geben und zu nehmen. Ich halte das für einen taktischen Fehler, aber gut. Das ist die andere Entscheidung der CSU bei diesem Verhandlungsspiel.
    Horst Seehofer zu Besuch bei den Grünen
    Müller: Jetzt haben wir, Herr von Alemann, eben unsere Kollegin Barbara Schmidt-Mattern gehört, die gesagt hat, gestern ist Horst Seehofer zu den Grünen gegangen, hat viele erstaunt. Er ist zu den Grünen gegangen und nicht umgekehrt. Hat er sich schon ein bisschen gar gewandelt, zumindest taktisch, und setzt auf Moderation?
    von Alemann: Das ist eine ganz wichtige Geste, denn es kommt auch immer in der Politik sehr stark auf die Symbolik an. Dass er zu den Grünen geht, hat aber auch einen ganz schlichten Grund: Die Grünen sind im Bundestag die stärkere Partei als die CSU und insofern ist die Kleiderordnung damit gewahrt.
    Aber Seehofer selber vermeidet wohl jetzt noch mal, wieder einen zweiten Fehler zu machen, nachdem er im Vorfeld des Wahlkampfs meiner Ansicht nach den ersten Fehler gemacht hat, zu große Hürden aufzubauen mit der Obergrenze und dann doch in der heißen Phase des Wahlkampfes unter dieser Hürde hindurchschlüpfen musste. Dobrindt und seine Parteifreunde bauen jetzt wieder Hürden auf, unter denen sie dann wieder durchschlüpfen, durchkriechen müssen, weil eine Koalition von so unterschiedlichen Partnern ist immer ein Kompromiss. Da vorher rote Linien aufzubauen, führt nur dazu, dass man danach am Ende dann als Verlierer dasteht, wenn man etwas nicht durchgesetzt hat.
    Früh den Finanzminister "in die Manege geworfen"
    Müller: Das hört sich jetzt so an, Herr Von Alemann, für Sie ist das bereits ausgemachte Sache. Das eigentliche Problem dieser gesamten Verhandlungen, das wird die CSU sein?
    von Alemann: Ja, das ist das Problem. Und in der CDU und bei anderen wird von einer 50:50-Chance gesprochen. Ich sehe das völlig anders. Es gibt keine Alternative zwischen Jamaika und Neinmaika, sondern die Kanzlerin hat das auch schon früh erkannt. Sie hat nämlich, was ganz ungewöhnlich ist, eine zentrale Personalentscheidung ganz am Anfang gefällt, indem sie Herrn Schäuble, den Finanzminister, auf den Platz des Bundestagspräsidenten gelobt hat.
    Müller: Warum ist das gut?
    von Alemann: Damit hat sie einen wesentlichen Verhandlungsgegenstand – der Finanzminister ist der wichtigste Minister nach der Kanzlerin – schon in die Manege geworfen, um den sich jetzt die anderen Teilnehmer der Koalition streiten können und verhandeln können. Sie hat bereits damit deutlich gemacht, dass für sie Jamaika alternativlos ist.
    Müller: Das heißt, die Kanzlerin opfert egal wen, Hauptsache sie bleibt Kanzlerin?
    von Alemann: Ja, das kann man so formulieren. Das kann man aber auch so formulieren: Sie hat eine langfristige politische Strategie und möchte die damit optimal durchsetzen. Jedenfalls ist die Alternative etwa Neuwahlen überhaupt nicht gegeben, erst recht nicht nach den beiden Wahlen, die wir gerade gehabt haben. In Niedersachsen haben alle drei Jamaika-Partner kräftig, insgesamt zusammen ungefähr zehn Prozent verloren. Und in Österreich: Das Ende der Großen Koalition und die jetzige rechtskonservative Regierung ist auch kein großes Vorbild. Falls Neuwahlen im Frühjahr kommen müssten, dann wäre das eine ganz schlechte Ausgangsposition für alle Parteien im Grunde in Deutschland im Bundestag, außer der AfD.
    Die FDP und das Amt des Finanzministers
    Müller: Schauen wir, Herr von Alemann, noch einmal ganz kurz auf dieses Finanzminister-Argument. Sie haben gesagt, kluger Schachzug der Kanzlerin, Wolfgang Schäuble in Richtung Bundestagspräsidium zu versenden, zu verschicken, wie immer man das auch betiteln möchte. Das heißt, sie geht fest davon aus, das ist ein ganz klares Angebot, dass keiner aus der Union Finanzminister wird?
    von Alemann: Das sehe ich auch so. Praktisch hat sie damit dieses wichtige Amt angeboten als eine wichtige erste Geste für eine solche Koalition. Gut, die Übrigen fangen schon an, sich zu streiten. Die FDP weiß nicht so recht, will das Amt vielleicht gar nicht haben. Die Grünen schweigen beredt und wollen es wohl ganz offensichtlich haben.
    Müller: Müsste nicht die FDP das naturgemäß, auch wenn das vielleicht nicht das richtige Wort ist, wollen und antreten wollen, diese Verantwortung übernehmen müssen?
    von Alemann: Ja, das wäre eigentlich völlig konsequent. Aber das hat sie auch in Nordrhein-Westfalen ausgeschlagen, dieses Amt, bei der wichtigen schwarz-gelben Koalition, die wir hier im Frühjahr gebildet haben. Das ist offensichtlich für die FDP kein erstes Ziel, weil sie möglicherweise Furcht hat, auch in diesem Amt zerrieben zu werden.
    Müller: Würden Sie das denn so formulieren, die Liberalen sind feige?
    von Alemann: Nein. Das sind sicherlich wieder taktisch-strategische Überlegungen, die vielleicht falsch sind. Aber Feigheit ist, glaube ich, da keine Kategorie.
    Müller: Die Liberalen drücken sich vor der Verantwortung?
    von Alemann: Ja, sie wollen an anderer Stelle Verantwortung tragen. Das kann schon sein.
    "Geld ist nicht das Hauptproblem, eher ideologische Positionen"
    Müller: Wo denn?
    von Alemann: Vielleicht beim Wirtschaftsministerium zum Beispiel, obwohl das traditionellerweise lange nicht so mächtig ist wie das Finanzministerium. Aber beim Wirtschaftsministerium kann man Wohltaten gegenüber der Wirtschaft austeilen. Insofern ist das auch ganz attraktiv.
    Müller: Finanzminister ist sehr schwierig und kompliziert. Kann man da fast nur verlieren? Wolfgang Schäuble ist doch ein Beispiel, dass man auch ein bisschen gewinnen kann als Finanzminister.
    von Alemann: Ja, ein seltenes Beispiel. Viele Finanzminister in der Geschichte der Bundesrepublik haben eher eine schlechte Bilanz am Ende gehabt und Wolfgang Schäuble ist einer der wenigen, der sich so lange im Amt halten konnte und der so eine hohe Anerkennung sich erarbeitet hat.
    Müller: Das heißt, wenn wir jetzt die Taktik außen vor lassen würden, hätte man auch sagen können, lasst ihn das zwei Jahre weitermachen, weil wir dann auch eine gewisse Kontinuität haben?
    von Alemann: Ja. Die Chance ist eigentlich da, sich im Finanzministerium heutzutage durchaus zu profilieren, weil eine Grundvoraussetzung heute sehr günstig ist, denn es ist viel Geld da. Die Steuereinnahmen sprudeln immer kräftiger und insofern erleichtert das auch die Koalitionsverhandlungen. Geld ist nicht das Hauptproblem, eher ideologische Positionen siehe Obergrenze, Migration, Zukunft des Verbrennungsmotors. Da wird es wirklich krachen, weniger an Fragen der Renten-, Sozialpolitik, Subventionen. Da wird man sich viel schneller einigen können.
    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk der Düsseldorfer Politikwissenschaftler und Parteienforscher Ulrich von Alemann. Danke, dass Sie für uns Zeit gefunden haben. Ihnen noch einen schönen Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.