Dienstag, 19. März 2024

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Koalitionsstreit um Familiennachzug
"Ein Signal, das wir nicht wollen"

In der Debatte um das neue Asylgesetz II streiten Union und SPD über den Familiennachzug. Nach Ansicht der CDU-Politikerin Nina Warken ist der SPD-Vorschlag einer Einzelfallregelung für minderjährige Flüchtlinge ein falsches Signal. Man dürfe jetzt für Familien keine Anreize schaffen, ihre Kinder alleine auf den Weg nach Europa zu schicken, sagte Warken im Deutschlandfunk.

Nina Warken im Gespräch mit Sandra Schulz | 09.02.2016
    Die CDU-Obfrau im NSA-Untersuchungsausschuss, Nina Warken.
    Die CDU-Politikerin Nina Warken warnt: Familien dürften keinen Anreiz erhalten, ihre Kinder alleine nach Europa zu schicken. (Imago / Sven Simon)
    Minderjährige Flüchtlinge, die alleine vorausgeschickt würden, seien einem enormen Risiko ausgesetzt, sagte die Bundestagsabgeordnete Nina Warken im DLF. Dadurch würden neue Geschäftsmodelle für Schlepper geschaffen, "die sich darauf spezialisieren künftig die Minderjährigen zu schleusen". Dem müsse man einen Riegel vorschieben.
    Das internationale Recht auf Familienzusammenführung sieht Warken durch die Anpassung des Asylgesetzes nicht in Gefahr. Allein im letzten Jahr habe Deutschland mehr als 70.000 unbegleitete Minderjährige aufgenommen.
    Dass es jetzt auf Seiten der SPD noch Verständnisfragen gebe, sei nicht nachzuvollziehen. Man habe über die Änderung des Asylgesetzes monatelang verhandelt.

    Das Interview in voller Länge:
    Mit Nina Warken, für die CDU Mitglied im Innenausschuss des Bundestags und dort unter anderem zuständig für Asylrecht. Guten Morgen!
    Nina Warken: Guten Morgen!
    Schulz: Frau Warken, minderjährige Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutz, die sollen ihre Eltern künftig nicht nachholen dürfen. Ist das ernst gemeint?
    Warken: Das ist ein Ergebnis monatelanger Verhandlungen über das Asylpaket II und auch explizit über den Familiennachzug, und darauf hat man sich zuletzt Ende Januar mit den Parteivorsitzenden nochmals geeinigt. Bei uns kommt es vor allem darauf an, dass man hier keine Ausnahme schafft, kein Signal sendet, das dann dazu führt, dass vor allem und gerade minderjährige Flüchtlinge auf den Weg geschickt werden allein nach Europa mit dem Ausblick dann, die Eltern nachholen zu können.
    "Es wird dann schnell auch neue Geschäftsmodelle von Schleusern geben"
    Schulz: Frau Warken, ich zitiere das Grundgesetz: "Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft." Verstehe ich es richtig, die Parteien mit dem C im Namen, die finden das nicht ganz so wichtig, wenn es um Flüchtlinge geht?
    Warken: Natürlich finden wir das wichtig, und das eine schließt das andere ja auch nicht aus, aber ich denke, es ist gerade auch dann eine Pflicht von uns, zu schauen, dass keine zusätzlichen Anreize geschaffen werden, die minderjährigen Flüchtlinge vorauszuschicken mit dem Ausblick eben, die Eltern nachholen zu können. Ich glaube, es wird dann schnell auch neue Geschäftsmodelle von Schleusern geben, die sich dann gerade darauf spezialisieren, künftig die Minderjährigen zu schleusen, denen dann versprochen wird, die Eltern nachholen zu können. Ich glaube, da müssen wir ansetzen, dem müssen wir von vornherein schon einen Riegel vorschieben. Ich glaube, das ist auch ein Gebot von Menschlichkeit und von Fürsorge den Minderjährigen gegenüber.
    Schulz: Ja, und dieses Gebot der Menschlichkeit, wie Sie sagen, das ist Ihnen so wichtig, dass Sie dafür auch internationales Recht brechen wollen – Fragezeichen? Ich komme jetzt noch mit der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen: Auch da ist ein Recht auf Familienzusammenführung vorgesehen, und jetzt lese ich noch mal Artikel 24, Absatz 3 der Europäischen Grundrechtecharta vor: "Jedes Kind hat Anspruch auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen, es sei denn, dies steht seinem Wohl entgegen." Wie passt das zusammen mit Ihrem Beschluss, dass Sie Minderjährigen es künftig nicht mehr ermöglichen wollen, ihre Eltern nachzuholen?
    Warken: Wir sind ja nicht diejenigen, die zunächst die Kinder von ihren Eltern trennen. Das vielleicht mal vorausgeschickt. Dann ist es so, dass es europaweit kein anderes Land gibt, das so den Familiennachzug für die subsidiär Schutzbedürftigen regelt, wie wir es in Deutschland tun, wie wir es aber auch erst seit August letzten Jahres tun. Ich glaube nicht, dass diese Regelungen, wie sie in ganz Europa bestehen, dem internationalen Recht zuwider laufen.
    "Dem müssen wir Einhalt gebieten"
    Schulz: Alle diese Minderjährigen, die sollen trotzdem, obwohl sie minderjährig sind, obwohl Minderjährige nach unserer Rechtsordnung ja eine der allerschutzbedürftigsten Gruppen überhaupt sind, deren Rechte sind egal.
    Warken: Deren Rechte sind nicht egal. Wir haben im vergangenen Jahr knapp 70.000 Minderjährige, die unbekleidet zu uns gekommen sind, aufgenommen, die werden hier sehr gut versorgt. Wir haben dort auch gesetzliche Maßnahmen vorgenommen, um die Versorgung und die Verteilung noch zu verbessern, um die Chancen dieser jungen Menschen auch zu erhöhen. Ich glaube nicht, dass wir uns vorwerfen lassen können, uns um diese Gruppe nicht zu kümmern, aber ich glaube, es wäre ein viel verheerenderes Zeichen beziehungsweise hätte viel verheerendere Auswirkungen, wenn wir in Zukunft die Situation hätten, dass gerade die am Schutzbedürftigsten, nämlich die Minderjährigen, alleine vorausgeschickt werden würden, indem wir eine Ausnahme nur für diese Personengruppe im Gesetz schaffen würden. Das ist vorauszusehen, und dem müssen wir Einhalt gebieten.
    Schulz: Frau Warken, wir sprechen ja jetzt über Fälle, die sich in der Größenordnung von wenigen Hundert in den vergangenen zwei Jahren abspielen bei ja wohl mehr als einer Million Flüchtlinge, die insgesamt im letzten Jahr gekommen ist. Ist es das richtige Signal, sich jetzt an dieser Fallgruppe im Koalitionsstreit so zu verheddern?
    Warken: Ich möchte es gerade unbedingt an Zahlen festmachen. Wir haben jetzt die Zahlen für das vergangene Jahr, es sind dort auch noch nicht alle Anträge abgearbeitet. Wir haben Zahlen, die im kommenden Jahr wieder auf uns zukommen werden, aber ich glaube, der Dreh- und Angelpunkt dieser Frage ist doch, senden wir durch diese Ausnahmeregelung das Signal, es gibt keinen Familiennachzug mehr, außer für die unbegleiteten Minderjährigen, und schaffen wir dadurch die Voraussetzung, dass diese gerade auf den Weg geschickt werden.
    Schulz: Also wenn einige hundert Minderjährige ihre Eltern nachziehen, dann ist das wieder das so viel beschworene Willkommenssignal, das Sie auf keinen Fall aussenden wollen?
    Warken: Nein, es geht ja nicht um ein Willkommenssignal, sondern es geht um das Risiko, dem die Jugendlichen ausgesetzt werden, indem sie alleine vorausgeschickt werden.
    Schulz: Frau Warken, es gibt ja diesen Koalitionsstreit jetzt. Die SPD will das neu verhandeln. Sind diese wenigen hundert Fälle es wirklich wert, dass dieses Thema jetzt noch weiter aufgeschoben wird und es noch weitere Verzögerungen gibt, nachdem das ja eigentlich schon im November mal beschlossen war?
    "Wir wollen jetzt schnell zu einem Abschluss kommen"
    Warken: Dazu ist, glaube ich, zu sagen, dass monatelang darüber jetzt verhandelt worden ist, eigentlich allen Beteiligten klar sein müsste, worüber man verhandelt hat, und dass es für mich nicht nachvollziehbar ist, warum es jetzt diese Verständnisfragen bei der SPD gibt. Wir wollen da jetzt schnell zu einem Abschluss kommen. Das Kabinett hat den Gesetzentwurf auch schon verabschiedet. Wenn da noch Klärungsbedarf besteht, ist es auch richtig, innerhalb der Koalition da noch mal drüber zu sprechen, aber noch mal, es geht nicht um ein paar Hundert, über die wir sprechen oder um vielleicht eine zu geringe Menge, die es nicht wert ist, da noch mal weiter drüber zu sprechen, sondern es geht um die Signalwirkung einer Ausnahmeregelung, die wir einfach auch im Interesse und gerade im Interesse der Jugendlichen nicht senden wollen.
    Schulz: Und wenn Sie jetzt eine schnelle Lösung wollen, dann heißt das, dass Sie den Kompromissvorschlag, den SPD-Chef Sigmar Gabriel jetzt macht, die Einzelfallprüfung, das heißt, dass Sie den akzeptieren?
    Warken: Ich bin nicht in der Rolle, da irgendwas zu akzeptieren. Ich habe den Vorschlag gehört. Das wird sicherlich auch zwischen den beiden Ministern, die noch mal die Sache besprechen, auch Gegenstand sein. Aus meiner Sicht würde auch eine solche Einzelfallregelung ein Signal senden, das wir nicht wollen, aber dass wir noch mal über die ganze Sache sprechen und dass da Gesprächsbereitschaft besteht, haben wir signalisiert. Wobei man schon klar sagen muss, dass eigentlich die Vereinbarungen getroffen sind und man lange darüber verhandelt hat und auch das Kabinett das beschlossen hat und man jetzt diesen Gesetzentwurf eigentlich so, wie er ist, auch weiter im Bundestag beraten sollte.
    Schulz: Aber die SPD hatte in den Verhandlungen schon mal durchgesetzt, dass der Familiennachzug zwar eingeschränkt wird, aber dass der Elternnachzug, über den wir ja die ganze Zeit sprechen, dass der so bleibt, wie bisher. Dieser Passus ist dann aus dem Gesetzentwurf verschwunden. Wie kam es denn dazu eigentlich?
    Warken: Meines Erachtens hat man in der erneuten Einigung Ende Januar sich dann darüber auch ins Benehmen gesetzt, und diese Einigung wurde dann auch in Gesetzesform gegossen.
    Schulz: Die CDU-Bundestagsabgeordnete Nina Warken, von der CDU im Innenausschuss zuständig für Asylrecht, heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Ganz herzlichen Dank!
    Warken: Danke auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.