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Koalitionsverhandlungen
Große Runde beginnt verstimmt

Nach Pkw-Maut, Homo-Ehe und doppelte Staatsbürgerschaft haben SPD und Union ein neues Streitthema: die Gesundheitspolitik. Der Konflikt ist so groß, dass ihn die Parteichefs lösen sollen.

19.11.2013
    Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Weg ins Willy-Brandt-Haus in Berlin
    Bundeskanzlerin Merkel auf dem Weg ins Willy-Brandt-Haus in Berlin. (picture-alliance / dpa / Maurizio Gambarini)
    Trotz der zahlreichen offenen Streitpunkte rechnen Unionspolitiker mit einer Einigung auf eine große Koalition. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt wies die Möglichkeit neuer Sondierungen mit den Grünen zurück. "Wir verhandeln jetzt erst mit der SPD", sagte er kurz vor dem neuen Treffen in großer Runde. Die CSU wolle zu einer großen Koalition mit CDU und SPD kommen, aber der Koalitionsvertrag dürfe "kein sozialdemokratischer Vertrag sein".
    CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe sieht die Verhandlungen mit der SPD "auf der Zielgeraden", auch wenn sie sich schwer gestalteten. Zu den von der CSU-Spitze zuvor für den Fall des Scheiterns der Koalitionsverhandlungen ins Gespräch gebrachten Neuwahlen sagte er, diese seien "nicht leicht herbeizuführen in Deutschland". CSU-Chef Horst Seehofer hatte gesagt, keinen Koalitionsvertrag um jeden Preis unterschreiben zu wollen. Ähnlich äußerte sich der bayerische Finanzminister Markus Söder (CSU). Man werde keinen Regierungsvertrag mittragen, "nur um die SPD-Basis glücklich zu machen", sagte Söder im Deutschlandfunk.
    SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles relativierte die Äußerungen der CSU. Im ARD-Fernsehen sagte sie, die Wortmeldungen von CSU-Chef Seehofer seien auch vor dem Hintergrund des Parteitags der Christsozialen am Wochenende zu sehen. Dass es in der entscheidenden Phase der Koalitionsverhandlungen zu Konflikten kommen würde, sei absehbar gewesen.
    Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) zeigte sich zuversichtlich, dass die SPD-Basis in ihrem Mitgliederentscheid einem Koalitionsvertrag zustimmen würde. Er erwartet, dass es in der SPD eine Mehrheit geben werde, "die ihre Führung nicht einfach im Regen stehen lässt".
    Die große Runde aus mehr als 70 Teilnehmern von CDU, CSU und SPD berät heute über Arbeit und Soziales, Familie und Frauen. Sie wollen Entscheidungen zur Arbeitsmarktpolitik und für eine Frauenquote ab 2016 treffen. Aufsichtsräte von mitbestimmungspflichtigen und börsennotierten Unternehmen, die ab 2016 neu besetzt werden, sollen eine Frauenquote von mindestens 30 Prozent aufweisen. Im Bereich Arbeit soll über den von der SPD gewünschten bundesweiten Mindestlohn von 8,50 Euro erst am Ende der Koalitionsverhandlungen entschieden werden.
    Stillstand bei der Gesundheitspolitik
    Die Gesundheitspolitik stellt eine ernste Belastungsprobe dar. Die SPD beharrt darauf, die Arbeitgeber wieder stärker an der Finanzierung des Gesundheitssystems zu beteiligen. "Es kann nicht sein, dass in Deutschland die steigenden Gesundheitskosten allein von den Arbeitnehmern bezahlt werden", sagte SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach im ARD-"Morgenmagazin". Außerdem müssten sich Zusatzbeiträge der Krankenkassen künftig nach dem Einkommen der Versicherten richten.
    In diesen Punkten gelten die Gespräche als festgefahren. Die Arbeitsgruppe hatte sich in ihrer letzten Sitzung am Montagabend in Berlin nicht einigen können. Die Frage, wer absehbare Kostensteigerungen im Gesundheitswesen zahlen muss, sollen nun die Parteivorsitzenden von Union und SPD lösen. Strittig ist, ob es weiter pauschale Zusatzbeiträge allein zulasten der Krankenversicherten geben soll. Solche Beiträge können Kassen in Not von ihren Mitgliedern verlangen.
    Der Paritätische Wohlfahrtsverband forderte eine grundlegende Reform des Gesundheitswesens. Der größte Kostenfaktor seien nicht teure Operationen, sondern die Behandlung chronisch kranker Menschen, sagte Verbandschef Rolf Rosenbrock im Deutschlandradio Kultur. Hier gebe es ein Nebeneinander von Unterversorgung, Überversorgung und Fehlversorgung. Bei der Großen Koalition sehe er in diesen Punkten kaum Einigungschancen, so Rosenbrock.