Freitag, 19. April 2024

Archiv

Koalitionsvertrag
"Umsetzung der Inklusion steht nicht zur Debatte"

Im Bereich Bildung und Forschung des Koaltionsvertrags steht kein Wort zum Thema Inklusion. Der Deutsche Lehrerverband hat die Aussetzung der Inklusion an den Schulen gefordert. Udo Beckmann von der Lehrergewerkschaft VBE sieht das anders. "Die Umsetzung steht nicht zur Debatte", sagte er im Dlf.

Udo Beckmann im Gespräch mit Kate Maleike | 05.02.2018
    Ein Lehrer betreut einen behinderten Schüler in einer Schule in der Christoph-Lichtenberg-Gesamtschule in Göttingen
    "Wir brauchen multiprofessionelle Teams und Raumkonzepte" - Udo Beckmann zum Thema Inklusion (imago / photothek)
    Kate Maleike: 160 Seiten, so hört man aus Berlin, soll der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD bereits umfassen. Die Gespräche werden sich wohl noch ziehen, aber für die Bereiche Bildung und Forschung liegen bereits Eckpunkte auf dem Tisch. Etwa 10 Milliarden Euro zusätzlich sollen investiert werden unter anderem in die Digitalisierung, den Ausbau und die Betreuung im Ganztag. Zum Beispiel wollen wir jetzt mal hören, wie diese Pläne angekommen sind von der Lehrergewerkschaft VBE. Fragen wir doch den Bundesvorsitzenden Udo Beckmann. Guten Tag!
    Udo Beckmann: Guten Tag!
    "Länder und Kommunen müssen an einem Strang ziehen"
    Maleike: Also, bislang sind das nur Pläne, noch haben wir die Koalition nicht, trotzdem: wie bewerten Sie diese Investitionsoffensive, wie sie schon verkauft wird seitens des VBE?
    Beckmann: Ich finde das ja erst mal gut, dass man sich auch nach der Wahl noch daran erinnert, dass auch im Wahlkampf der Bildungsbereich hohe Priorität hatte und das jetzt nicht in den Schubladen verschwindet, also positiv, dass Bildung ein Schwerpunkt ist, und die Milliardenbeträge, die wir hören, klingen natürlich gut, aber klar ist auch, dass man die großen Herausforderungen, vor denen wir stehen, Länder und Kommunen gemeinsam an einem Strang ziehen müssen.
    Wir haben alleine einen Investitionsstau in den Schulen von 32 Milliarden Euro. Das macht schon deutlich, wenn man die Milliardenbeträge hört, die wir jetzt im Koalitionsvertrag haben, welch riesige Herausforderungen eigentlich insgesamt zu stemmen sind, und vor allen Dingen, wenn man über Geld redet, ist es wichtig, dass man eben nicht nur kurzfristig bestimmte Anschubfinanzierungen macht, sondern nachhaltige Strategien erarbeitet, die dann auch längerfristig tragen.
    "Kooperationsverbot zu lockern ist das richtige Signal"
    Maleike: Dafür soll ja das Kooperationsverbot im Grundgesetz weiter gelockert werden, um auch eben die Schulen in allen Kommunen finanziell dauerhaft zu unterstützen. Für Sie der richtige Schritt?
    Beckmann: Das ist auf jeden Fall der richtige Schritt, ein gutes Signal. Der VBE hat seit Langem gefordert, dass das Kooperationsverbot fallen muss beziehungsweise aufgeweicht werden muss, damit Bund, Länder und Kommunen gemeinsam die großen Herausforderungen angehen können.
    Maleike: In dem Papier, das zu Bildung und Forschung jetzt vorliegt, steht aber kein Wort zum Thema Inklusion, und heute hat der Vorsitzende des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, die Aussetzung der Inklusion an den Schulen gefordert. Wie beurteilen Sie das?
    Beckmann: Also die Umsetzung der Inklusion steht nicht zur Debatte, denke ich. Die UN-Behindertenrechtskonvention kann nicht einfach ausgesetzt werden, und im Gegensatz zum Deutschen Lehrerverband brauchen wir eigentlich keine Bedenkzeit, um herauszufinden, wo der Schuh drückt, denn eins ist klar, die Themen, welche Unterstützung die Schulen gerade beim Thema Inklusion brauchen, liegen auf der Hand. Das ist einmal, dass wir zusätzliche Unterstützung brauchen in den Klassenzimmern durch eine Doppelbesetzung aus Lehrkraft und Sonderpädagoge oder durch Unterstützung durch zusätzliche andere Professionen, sogenannte multiprofessionelle Teams.
    Wir brauchen Schulgebäude, die auch auf die Inklusion ausgerichtet sind. Das heißt, wir brauchen Barrierefreiheit. Auch hier gibt es eine Menge zu tun. Wir brauchen Raumkonzepte, die individuelle Förderung überhaupt zulassen, und vor allen Dingen, wir brauchen auch Fortbildungen für die Kolleginnen und Kollegen, damit sie wissen, wie sie mit den großen Herausforderungen umgehen können. Wir haben dazu repräsentative Lehrerbefragungen über Forsa gemacht, und das sind genau die Punkte, die die Lehrkräfte uns benannt haben.
    "Länder sind in der Pflicht, etwas zu tun"
    Maleike: Sie haben das ja jetzt gerade noch mal sehr eindrücklich beschrieben, wie die aktuelle Lage bei der Inklusion ist. Wie erklären Sie sich dann, dass in diesem Papier zumindest noch kein Wort dazu drin steht?
    Beckmann: Gut, verschiedene Aspekte spielen natürlich auch in dem Bereich Inklusion rein. Wenn ich zum Beispiel das Thema Digitalisierung nehme, dann erwarten sich die Lehrerinnen und Lehrer natürlich auch, dass sie über zunehmend neue Medien in den Schulen die Möglichkeit haben, den Unterricht besser zu individualisieren, also auch besser auf Kinder mit Beeinträchtigungen einzugehen.
    Wenn wir über Investitionen im Bereich Räume, Schule, Schulbausanierung reden, dann hat das auch ein Stück weit was mit Inklusion zu tun, dass wir eben ein anderes Raumkonzept haben, aber die Länder sind eben, so wie ich es gerade schon gesagt habe, natürlich auch in der Pflicht, was zu tun und nicht nur zu warten, dass vom Bund Geld kommt, sondern ihre Aufgaben dann auch wahrnehmen, und das ist vor allem die personelle Ausstattung mit Lehrern, die Unterstützung der Lehrkräfte durch entsprechende Fort- und Weiterbildung.
    Maleike: Ich hatte es ja schon gesagt: Der Ganztagsschulbereich ist genannt im Papier, und es soll ja sozusagen auch den Rechtsanspruch geben für Ganztagsbetreuung im Grundschulalter. Wir haben aber jetzt schon zu wenig Grundschullehrer. Wie soll das denn funktionieren?
    Beckmann: Ja, das ist genau der Punkt. Also es reicht eben nicht aus, jetzt zu sagen, wir schaffen einen Rechtsanspruch, wenn man von vornherein weiß, dass man das Personal dafür nicht hat. Hier ist es erforderlich, dass man konzertiert arbeitet, dass man auf der einen Seite dafür sorgt, dass wir entsprechend Fachkräftemängel ausgebildet bekommen und auf der anderen Seite dafür sorgt, dass die finanzielle Unterstützung dann auch da ist, bis hin wieder zum Raumprogramm in den Kitas, in den Grundschulen, in denen der Ganztag ausgebaut werden soll.
    Bildungsrat mit Befugnissen ausstatten
    Maleike: Aber die Gefahr ist doch jetzt, dass man was verspricht, was man gar nicht halten kann.
    Beckmann: Ja, aber es ist wichtig, dass ein solches Signal gesetzt wird, aber die Politik muss jetzt natürlich auch beweisen, dass sie nicht nur Signale setzen kann, sondern diese Signale dann auch unterfüttert mit dem, was dafür benötigt wird.
    Maleike: Ganz kurz noch zum Schluss: Wenn es denn wieder zu einer Großen Koalition käme, würde auch – so ist zumindest die Absicht – ein nationaler Bildungsrat geschaffen. Finden Sie das hilfreich?
    Beckmann: Im Grundsatz würde ich eine solche Einrichtung begrüßen. Erforderlich ist natürlich, dass dieser Bildungsrat dann auch Empfehlungen aussprechen kann, die dann staatsvertraglich zwischen Bund und Ländern auszugestalten und umzusetzen sind.
    Maleike: Und wie, stellen Sie sich vor, soll dieser Bildungsrat aussehen, wer soll da drin sitzen?
    Beckmann: Das muss sicherlich eine Mischung aus Menschen aus der Wissenschaft, aus der Praxis, aber auch aus dem Bereich Kommunen, Länder und Bund.
    "Empfehlungen müssen auch staatsvertraglich umgesetzt werden"
    Maleike: Und wie soll dieser Rat mit der Kultusministerkonferenz zusammenarbeiten, die haben wir ja schon?
    Beckmann: Das wird die schwierige Frage sein, die zu klären ist, wie diese beiden Gremien miteinander agieren. Deswegen ist die Kultusministerkonferenz ja auch nicht amused, dass ein solches Gremium eingerichtet werden soll, aber ich denke, es schadet nicht, wenn wir einen Bildungsrat haben, der Empfehlungen gibt. Wichtig ist eben, dass diese Empfehlungen dann auch staatsvertraglich umgesetzt werden.
    Maleike: Udo Beckmann, der Bundesvorsitzende der Lehrergewerkschaft VBE, mit Einschätzungen zu den Bildungsplänen von Union und SPD im Bund. Danke für das Gespräch!
    Beckmann: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.