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Köln
Alltag nach Silvester

Silvester ist jetzt zwei Wochen her. An jenem Abend wurden am Kölner Hauptbahnhof hunderte Frauen massiv sexuell belästigt. Was denken die Menschen an diesem Ort zwei Wochen später? Susann El Kassar war für den DLF am Hauptbahnhof. Sie wollte erfahren, was sich seither geändert hat und wie die Menschen mit der Situation umgehen.

Von Susann El Kassar | 14.01.2016
    Zu sehen ist der Kölner Hauptbahnhof abends im Regen.
    Der Kölner Hauptbahnhof abends im Regen. (picture-alliance / dpa / Oliver Berg)
    Auf der großen Treppe vor dem Kölner Dom liegen etwa 15 Blumen und Plakate. Überbleibsel von den Demos am Wochenende. "Ich will mich frei bewegen – ohne Angst und ohne Vorurteile" kann man lesen. Oder in Anspielung auf die Aussage der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker "Das nächste Mal sicher eine Armlänge voraus", darunter eine geballte Faust.
    "Sind ein paar mehr Sträußchen geworden als letzte Woche. [...] Sonst machen sie immer 'ne Lichterkette, zig Kilometer lang, wenn irgendwas ist, aber wenn's um unsere Mädchen geht, dann legen sie nur eine Blume dahin."
    Immer wieder kommen Menschen zu dieser kleinen Gedenkstelle und machen ein Foto. Es ist der einzige Ort am Hauptbahnhof, der an die Ereignisse von der Silvesternacht erinnert. Viele sind noch immer bewegt von den Übergriffen auf Frauen.
    "Das ist eine Blamage für Deutschland, was hier passiert ist"
    "Ganz furchtbar, ich hätte mir das nie in so einem Ausmaß vorstellen können."
    Schauen, wo Polizisten stehen
    Die Frau mit kinnlangen braunen Haaren ist nur für einen Tag auf Dienstreise in Köln.
    "Also mein Mann wollte eigentlich, dass ich nicht komme, er hat Angst um mich und ich muss ihm ständig Bericht erstatten, wo ich bin."
    Sie ist heute Morgen in Köln angekommen, da sei ihr nichts Besonderes aufgefallen. Sie habe aber geschaut, wo Polizisten stehen, für den Fall, dass irgendjemand gewalttätig werden würde.
    "Also alles wunderbar, aber man schaut mit einem anderen Auge drauf, was ich eigentlich sehr traurig finde, aber ich erwische mich selber auch dabei."
    "Wenn ihr euch nicht auf eine freie Welt einlassen könnt..."
    Ein einseitiger Brief liegt bei der Gedenkstelle. Die Autorin, eine Unterstützerin von "Refugees Welcome", beschreibt ihre Enttäuschung über das missbrauchte Vertrauen. Insbesondere der letzte Satz ihres Briefes trifft auf Zustimmung bei einigen Passanten.
    Eine junge dunkelhäutige Frau liest sich den letzten Satz durch. Er lautet: "Wenn ihr euch nicht auf eine freie Welt einlassen könnt, dann geht bitte wieder zurück in eure Heimat, wohin ihr dann auch besser passt. Dann habt ihr unsere Gastfreundschaft und Menschenliebe nicht verdient."
    "Es ist auf alle Fälle nicht gut, was da passiert ist, aber ich finde nicht, dass man das alles auf die Flüchtlinge beziehen muss, dass man die alle als schlecht sehen muss."
    Man sieht den Kölner Hauptbahnhof tagsüber, im Vordergrund ein Polizeiauto.
    Der Kölner Hauptbahnhof tagsüber, im Vordergrund ein Polizeiauto. (picture-alliance / dpa / Oliver Berg)
    Das Gefühl, dass es sicherer geworden ist
    Im Bahnhofsgebäude ist vordergründig alles beim Alten. Menschen eilen zielstrebig von A nach B, andere streunen nur umher. Zwei Polizisten bewegen sich durch das Gebäude, sie fordern zwei Männer auf, sich auszuweisen; sie stammen aus Nordafrika. Außerdem sieht man mehr private Sicherheitsleute in blauen Uniformen als üblicherweise im Bahnhof. Fühlen sich die Menschen trotzdem noch unsicher?
    "Im Moment nicht [...] aber wenn ich überlegen würde, dass ich nachts wiederkomme, dann schon."
    "Wir haben eine viel größere Präsenz von Polizei und Ordnungsamt momentan [...] Wenn ich dann auch noch lese, dass die Stadt Köln sich bereit erklärt hat, das zu unterstützen mit zusätzlich Personal und zusätzlichen Kameras die aufgebaut werden sollen, dann hab ich schon das Gefühl, dass es sicherer geworden ist, in der letzten Woche."
    "Ich komm aus Berlin und bin Anderes gewöhnt, das hat mich nicht so geschockt."
    Ein junger Mann mit schwarzen Haaren und kurzem Bart blickt anders auf die aktuelle Situation.
    "Ich hab halt schlechte Erfahrungen von früher, und das kommt bisschen hoch. [...] 98' bin ich in den Osten gekommen, und da haben sich einige Sachen ereignet, von denen ich mir vorstellen kann, dass sie nun auch hier in Köln vorkommen werden."
    "Ich muss hier immer durch"
    Bei den meisten überwiegt ein pragmatischer Blick, der Bahnhof ist nun mal ein zweckmäßiger Ort, viele kommen da einfach nicht drumherum. Und gefährlicher als anderswo ist es hier gerade auch nicht.
    "Es bringt nichts, ich muss immer hier durch und dann muss man das irgendwie anders sehen."
    "Ich bin gezwungen beruflich hin und her zu fahren, ich komm nicht dran vorbei, umso angenehmer ist das Gefühl, wenn man merkt, es wird was getan für einen."
    "Wir sind bemüht, uns gut zu verhalten"
    Vor dem Eingang zur U-Bahn wartet ein syrischer Flüchtling aus Damaskus auf einen Freund. Hat für ihn sich etwas seit Neujahr geändert?
    "Ich komme nicht so oft in die Innenstadt, aber ich bekomme natürlich durch die Nachrichten und meine Freunde was mit. Viele meiner Freunde versuchen sich nun zu verteidigen, weil wir beschämt sind, wenn wir hören, dass sich möglicherweise jemand aus unserem Land so schlecht verhalten hat. Wir sind darum bemüht, uns gut zu verhalten, ein gutes Image zu haben. Und ohne dass ich hier jemanden beschuldigen möchte, aber bevor ich hier hergekommen bin, wurde ich vor Menschen aus Nordafrika gewarnt."
    Viele Menschen meinen, dass der Kölner Hauptbahnhof nicht so voll ist wie sonst. Und die Ladenbesitzer und Verkäufer in der Bahnhofshalle haben das Gefühl, dass die Kunden ausbleiben. Ins Mikrofon sagen wollen sie das aber nicht, sie sind genervt von Journalisten. Schon zu viele Reporter waren da. Auch das ist eine Folge der Silvesternacht – der Wunsch, dass endlich Ruhe einkehrt.