Dienstag, 23. April 2024

Archiv

Köln
Erster Freilandversuch mit gentechnisch manipulierten Pflanzen

Seit mittlerweile 25 Jahren sorgt die Gentechnik vor allem in Deutschland für kontroverse Diskussionen und heftige Proteste. Der erste Freilandversuch in Deutschland begann am 14. Mai 1990 in Köln. Das Max-Planck-Institut in Köln säte 60.000 genmanipulierte Petunien aus. Das Ergebnis des Experiments sorgte dann für eine Überraschung.

Von Michael Lange | 14.05.2015
    Die weiße Blüte einer Petunie mit violetten Streifen.
    Der Versuch wurde mit Petunien durchgeführt (dpa / picture alliance / Wolfgang Moucha)
    Am Kölner Stadtrand, wo sonst nur die Autobahn rauscht, versammelten sich am Morgen des 14. Mai 1990 vor dem Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung etwa 200 Gentechnik-Gegner. Das Bündnis "Kölner Bürgerinnen beobachten Petunien" hatte zum Protest aufgerufen. Hinter dem verschlossenen Tor des Instituts wurden an diesem Tag erstmals in Deutschland genmanipulierte Pflanzen freigesetzt: kleine, blühfreudige Petunien. Viele Demonstranten waren aufgebracht.
    "Also keiner kann sagen, was eigentlich wirklich passiert eben mit diesem genmanipulierten Material, was dann irgendwann in den Boden hereinkommt, und aufgenommen wird von anderen Organismen. Da gibt es überhaupt keine Abschätzung drüber."
    Der Biologe Joachim Spangenberg befürchtete hinter den Aktivitäten der Forscher mehr als nur wissenschaftliche Ziele.
    "Dieses Experiment – auch nach Aussage der Fachleute vom MPI – hat eine doppelte Funktion: Einmal die wissenschaftliche Funktion, die beschrieben worden ist. Zum zweiten soll es der Türöffner sein, die Lokomotive und der Startschuss für Freisetzungen überhaupt. Das heißt: Dieses Experiment ist insofern eine Besonderheit, als es die Absicht der Wissenschaftler war, Türen zu öffnen für andere kommerzielle Freisetzungen."
    Der damalige Versuchsleiter und Direktor des Max-Planck-Instituts Heinz Saedler stand an jenem Frühlingstag am Tor seiner Forschungseinrichtung und versuchte, mit den Demonstranten ins Gespräch zu kommen.
    "Das war hier vor Ort schon aufgeheizt. Das ist keine Frage. Aber es war nicht so, dass es den Betrieb gestört hätte. So weit ging es nicht. Die Polizei wollte viel drastischere Maßnahmen ergreifen. Die haben wir unterbunden und gesagt: Das wollen wir nicht. Wir wollen keinen Krieg daraus machen."
    Die Forscher wollten in einem Experiment mit Hilfe von Petunien springende Gene im Erbgut der Pflanzen nachweisen. Das sind Erbanlagen, die ihre Position im Erbmolekül DNA verlassen und sich an anderer Stelle wieder in das Erbgut einbauen.
    Um das natürliche Springen der Gene sichtbar zu machen, hatten die Forscher ein Farb-Gen aus dem Mais in weiße Petunien eingeschleust, sodass diese lachsrot leuchteten. Sobald aber zufällig ein Gen in das fremde Mais-Gen hinein springt und so dessen Funktion stört, sollte die lachsrote Farbe verschwinden.
    "Es waren so ungefähr 60.000 Petunien, die wir da ausgebracht hatten. Die produzieren jeder im Laufe ihres Lebens so 50 Blüten. 60.000 mal 50 sind drei Millionen Blüten. Und da hätten wir eine Handvoll Mutanten sozusagen erwartet. Also eine Handvoll gesprenkelte."
    Forscher waren vom Ergebnis überrascht
    Die natürlichen springenden Gene sollten also die künstlich eingeschleusten Mais-Gene wieder ausschalten. Als Ergebnis des Experiments erwarteten die Forscher wenige weiß gesprenkelte Blüten in einem lachsroten Petunienmeer. Aber es kam anders, erinnert sich Heinz Saedler.
    "Das war die große Überraschung. Es waren nicht wenige, sondern es waren bis zu sechzig Prozent. Da haben wir gesagt: Da stimmt ja was nicht."
    Die Forscher waren ratlos. Die Gentechnik-Gegner sahen sich bestätigt: Die Natur lasse sich eben nicht so einfach ins Handwerk pfuschen.
    Heinz Saedler jedoch sieht in dem unerwarteten Ergebnis keinen Misserfolg. Die Ursache – so erklärt er - war die damals noch weitgehend unbekannte Epigenetik, die biochemische Steuerung der Gene.
    "Wissenschaft ist so, dass man eigentlich immer hofft, dass man etwas sieht, was man nicht vermutet hat. Nur dann kommt man ja irgendwie weiter, wenn man das dann analysiert. Also insofern stoßen da zwei Welten aufeinander."
    Freilandversuche gibt es seit 2013 nicht mehr
    Gensoja auf einem Feld in Brasilien.
    Gensoja auf einem Feld in Brasilien. (picture alliance / EPA / Weimer Carvalho)
    Bis heute sind sich Gentechnik-Gegner und Befürworter nicht näher gekommen. Falls die Kölner Wissenschaftler tatsächlich die sogenannte grüne Gentechnik in Deutschland etablieren wollten, so ist ihnen dies nicht gelungen. Seit 2013 werden in Deutschland keine Freilandversuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen mehr durchgeführt.
    In einer Umfrage des Bundesamtes für Naturschutz 2014 lehnten 84 Prozent der befragten Deutschen den Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft ab. Und auch in anderen Staaten wächst der Widerstand. Heinz Saedler muss zugeben, dass er die Bevölkerung nicht überzeugen konnte.
    "Als reiche Nation kann man sich natürlich leisten, was man will. Man kann sagen, ok, dass akzeptiere ich, und deswegen findet bei uns keine Gentechnik statt. Aber sie erreicht uns natürlich durch die Hintertür."
    Produkte aus gentechnisch veränderten Pflanzen werden zunehmend nach Europa importiert. Dazu gehören Futtermittel, Baumwolle für Kleidung und genmanipulierte Schnittblumen.