Dienstag, 19. März 2024

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Kölner Keupstraße im Kino
"Die Wunden sind nach wie vor sehr tief"

Die Terrororganisation NSU ließ 2004 vor dem Friseursalon von Özcan Yildirim in der Kölner Keupstraße eine Nagelbombe explodieren. 22 Menschen wurden dabei verletzt. Jahrelang wird kein rechtsextremistischer Hintergrund in Betracht gezogen – im Gegenteil: Die Opfer selbst werden als potentielle Täter gesehen. Regisseur Andreas Maus hat einen Dokumentarfilm über den Anschlag gedreht.

Der Filmemacher Andreas Maus im Gespräch mit Anja Buchmann | 18.02.2016
    Die Keupstraße fotografiert am 02.06.2014 in Köln (Nordrhein-Westfalen). Am Pfingstmontag ist es genau zehn Jahre her, dass vor dem Friseursalon in der Kölner Keupstraße eine Bombe explodierte.
    2004 explodierte in der Keupstraße in Köln eine Nagelbombe. (picture alliance / dpa / Oliver Berg)
    "Der Kuaför aus der Keupstraße" stellt die Anwohner und Geschäftsleute in den Vordergrund - vor allem den Besitzer des Friseurladens und seinen Bruder: Özcan und Hasan Yildirim.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Das Interview in voller Länge:
    Anja Buchmann: 9. Juni 2004, Köln-Mülheim, Keupstraße. Ein Nagelbombenattentat vor dem Friseursalon von Özcan Yildirim. Ein Hartschalenkoffer mit Schwarzpulver und langen Tischlernägeln, auf einem abgestellten Fahrrad befestigt, explodiert. 22 Verletzte, vier davon schwer. Der Friseursalon verwüstet und weitere Ladenlokale erheblich beschädigt.
    Ein Anschlag in einer stark türkisch-kurdisch geprägten Straße Kölns, auch die Opfer sind großenteils türkischer Herkunft. Trotzdem wird jahrelang kein rechtsextremistischer Hintergrund in Betracht gezogen, im Gegenteil: Die Opfer selbst werden als potenzielle Täter gesehen und es wird gegen sie ermittelt. Sieben Jahre lang. Bis 2011 endlich herauskommt, dass die Terrororganisation NSU auch für diesen Anschlag verantwortlich war.
    Nachdem bereits ein Theaterstück zu dem Thema am Schauspiel Köln inszeniert wurde, hat nun der Regisseur Andreas Maus einen Dokumentarfilm über den Anschlag in der Keupstraße gedreht: "Der Kuaför aus der Keupstraße" – ein Film, der die Anwohner und Geschäftsleute in den Vordergrund stellt, vor allem den Besitzer des Friseurladens und seinen Bruder, Özcan und Hasan Yildirim. Willkommen im Deutschlandfunk-Studio, Andreas Maus!
    Andreas Maus: Ja, hallo!
    Buchmann: Herr Maus, zunächst: Wie haben Sie selbst – falls Sie sich noch erinnern – den 9. Juni 2004 erlebt, wie haben Sie von diesem Anschlag erfahren? Wissen Sie das noch?
    Maus: Ich habe es versucht, hinterher zu rekonstruieren. Ich glaube, ich bin an dem Tag gerade laufen gewesen, und habe es dann eigentlich aus der Presse erfahren. Und ich muss sagen, meine Reaktion war, glaube ich, wie die vieler in Köln, nämlich, als dann so die ersten Meldungen kamen und es wurde dann eben davon gesprochen, na ja, das ist irgendwas in der Keupstraße, ein krimineller Hintergrund, ein Mafia-Konflikt ... Das war auch das Erste, was bei mir so im Kopf war, und jetzt in der Minute habe ich mich auch nicht wirklich dann sehr viel tiefer damit beschäftigt zu der Zeit.
    Buchmann: Was gab dann den Ausschlag für Sie zu überlegen, darüber einen Film zu machen?
    Maus: Das war natürlich sehr viel später. Das hatte damit zu tun, als der NSU aufflog und dann auch irgendwann klar war, dass der Nagelbombenanschlag auch auf die Rechnung des NSU geht, hatte ich im Zuge von Recherchen und Berichterstattung für "Monitor", das Politmagazin eben auch zum NSU mit dem Kollegen Maik Baumgärtner berichtet. Und im Zuge der Recherche haben wir eben sehr viel Material bekommen. Und daraus ergab sich für uns dann recht schnell die Idee oder der Gedanke, daraus etwas erzählerisch und auch visuell anders zu machen, als jetzt einfach nur einen Fernsehbeitrag.
    "Die Leute waren medienmüde"
    Buchmann: Wie leicht oder wie schwer war es dann, an die Protagonisten Ihres Films heranzukommen, zum Beispiel an die beiden Brüder Yildirim?
    Maus: Das war eigentlich die größte Hürde, wenn ich jetzt den ganzen Filmprozess so Revue passieren lasse. Weil, als ich dann in die Keupstraße kam und ich auch mit einer türkischen Kollegin, die viel fürs Radio auch berichtet hat, die auch sozusagen der Türöffner da war...
    Wir kamen an und eigentlich waren die Menschen wieder sehr zurückhaltend und auch müde von diesem ganzen NSU-Thema, weil nach dem Auffliegen des NSU natürlich eine große Hoffnung da war, dass da jetzt was passiert, dass die Wahrheit ans Licht kommt und dass auch eine Form von Gerechtigkeit passiert. Es kamen Heerscharen von Journalisten, Heerscharen von Politikern in die Straße, es gab viele Versprechungen und dann passierte erst mal nichts. Das heißt, die Leute waren schon medien- und versprechensmüde.
    Da kommt nun plötzlich einer und sagt, ich will jetzt einen langen Film machen, und da war die Skepsis natürlich groß. Und es bedurfte einer gewissen Überzeugungskraft beziehungsweise auch, ja, einer kontinuierlichen Anwesenheit, um mit den Leuten ins Gespräch zu kommen, ihnen zu erklären, was der Unterschied ist zwischen dem, was wir machen, und zwischen dem, was eben sonst vielleicht Nachrichten, O-Töne-Sammler gemacht haben, die meistens aber nur kurze Betroffenheits-O-Töne wollten.
    "Die Menschen haben gesehen, dass ihre Geschichte auf Augenhöhe erzählt wird"
    Buchmann: Und entsprechend dann eben nur mal kurz vor Ort waren und auch überhaupt kein Verhältnis zu den Leuten aufbauen konnten.
    Maus: Genau, im Sinne von Nachrichten und so weiter. Das ist alles okay, das ist deren Job. Aber die Geschichte in einem viel breiteren Rahmen aufzuarbeiten, dann auch in Verbindung mit der Art, wie die Polizei ermittelt hat, wie sie die Leute in die Mangel genommen hat, gedemütigt hat. Und ich glaube, das war auch für die Menschen noch mal ein ganz neuer Aspekt, wo sie auch gemerkt haben und gesehen haben, dass ihre Geschichte doch auf Augenhöhe erzählt wird und vor allen Dingen auch Raum eingeräumt wird.
    Buchmann: Es gab großenteils durch die Anschuldigungen über Jahre hinweg und dem Denken, dass die eigentlichen Opfer die Täter seien, gab es letztlich psychische Probleme und Verletzungen und auch familiäre Zerrüttungen zum Teil. Wie geht es den Menschen jetzt? Was haben Sie für einen Eindruck, haben sie sich einigermaßen davon erholt oder sitzt das immer noch tief und wird eigentlich nie wieder gut sein?
    Maus: Das ist ein paralleler Prozess, den ich so beobachten konnte auch in den letzten, zwei, drei Jahren. Das heißt, die Wunden sind nach wie vor sehr tief. Jeder geht damit anders um, ich glaube, der eine kann sich mehr oder anders davon emanzipieren oder etwas verarbeiten. Dass sie damit leben müssen und dass sie es auch nicht mehr losbekommen, gerade wenn man sieht, in welchen Zeiten wir heute leben, welche Spannungen auch wieder sich in der Gesellschaft aufbauen, welche Fragen aufgeworfen werden, da steht natürlich immer auch die Angst und auch die Frage im Vordergrund: Kann so was noch mal passieren? Werden wir vielleicht noch mal da reingeraten, auch durch die Teilnahme an einem solchen Film.
    Man rückt plötzlich doch irgendwie prominent nach vorne. Das ist das eine. Das andere ist aber, dass die Menschen auch gerade durch die Enttäuschung, die sie erlebt haben seitens nicht gehaltener Versprechen durch die Politik oder psychotherapeutische Beratung, dass die Menschen anfangen, sich ...
    Buchmann: Entschuldigung, die ihnen versprochen wurde, aber die nicht eingelöst wurde?
    Maus: Dass immer wieder gesagt wurde, ja, ihr bekommt das, wir werden uns zur Verfügung stellen. Sie wurden ja x-mal nach Berlin eingeladen, immer wieder wurde gefragt, was braucht ihr, dann wurde das schön mitgeschrieben, aha, okay. Aber es passierte dann nichts. Sodass also jetzt die Erkenntnis da ist bei vielen: Die Hilfe kann nicht vom Staat kommen, wir müssen uns auch selber helfen. Wir müssen uns selber emanzipieren und ein neues Selbstbewusstsein aufbauen.
    Das heißt, ich erlebe die türkische Gemeinschaft oder die Community jetzt da schon durchaus selbstbewusster als noch vor zwei Jahren. Das hat auch damit zu tun, dass es viele Initiativen gibt auch von Gruppen vor Ort wie die Initiative "Keupstraße ist überall", die sich aktiv mit den Menschen auch auseinandersetzt, sie zum Prozess begleitet zum Beispiel, auch Hilfe bietet. Also, da findet vor Ort einfach sehr viel statt, was ich als eine Form von Emanzipation auch sehe.
    Buchmann: Sie haben auch Archivmaterial miteingebunden in Ihren Dokumentarfilm, zum Beispiel auch von Birlikte-Fest zum zehnjährigen Jahrestag des Anschlags, 2014 war das Birlikte-Fest, das heißt auf Deutsch "zusammenstehen".
    Was empfinden Sie bei so Szenen? Zum Beispiel haben Sie den Bundespräsidenten Joachim Gauck gefilmt, der auch den Friseursalon besucht hat und unter anderem so ein bisschen flapsig gesagt hat: Und beim nächsten Mal sprechen Sie aber Deutsch mit mir!
    Maus: Ja, sehr ambivalent. Zum einen, es war jetzt kein Archivmaterial gewesen, sondern wir haben selber gedreht und das war natürlich das Ereignis, was eben von der Presse auch sehr breit berichtet worden ist. Dass dieses Birlikte stattfinden wird, war zu Beginn des Films... Davon war noch keine Rede. Das heißt, als es dann kam, mussten wir uns natürlich auch damit auseinandersetzen und fragen, welche Perspektive nehmen wir auf das Fest? Und wir haben dann eine sehr distanzierte, beobachtende genommen, dazu gehörte eben auch der Besuch des Bundespräsidenten, den wir ja eben auch dann via Überwachungskameras, also auch im Laden gefilmt haben.
    Ja, das ist einfach dieses Ambivalente. Das ist dieses große Politik-Spektakel. Ich möchte da gar nicht sagen, dass das alles nur der Show oder nur vordergründig da dem Präsidenten und dem Händeschütteln diente, aber: Ich glaube, der Film erzählt ganz gut, dass einfach ein Beigeschmack bleibt: Wie so eine Heuschreckenplage kommt die Solidarität plötzlich über die Straße und dann, schwups, verschwindet sie wieder. Und ich meine, das sind ja Prozesse. Man hat gesehen, Jahre vorher gab es null Solidarität mit der Keupstraße, dann, als klar war, ah, die waren es ja nicht, die sind ja unschuldig, eine große gesellschaftliche Umarmung, die kann aber ganz schnell wieder in die Gegenrichtung umschlagen, nach der Willkommenskultur plötzlich wieder die Ausgrenzungskultur.
    Also, es sind sehr starke Extreme, das erzählt der Film, glaube ich, auch ganz gut.
    "Ich wollte eine Distanz schaffen"
    Buchmann: Ein zentrales Stilmittel im Film ist auch die Tatsache, dass Sie die Ermittlungen aus den Protokollen szenisch nachstellen durch Schauspieler. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?
    Maus: Die Idee war eigentlich von Anfang an Teil des Konzepts, weil für mich klar war: Die Protagonisten, also die Opfer von einst selber praktisch ihre eigenen Verhöre nachspielen zu lassen, das war mir sehr fremd von Anfang an, zumal gar nicht klar war: Würden sie es überhaupt wollen oder auch können? Aber viel wichtiger war mir einfach, ich wollte eine Distanz schaffen. Ich wollte nicht dadurch, dass ich vielleicht die Menschen in die Situation bringe von einst, mehr Emotionalisierung noch mal schaffen, sondern ich wollte eigentlich sehr, sehr klar dieses Protokoll-Verhör-Gerüst haben, als Sprache. Wie fragt ein Polizist, wie bohren sie, welche Taktik haben sie, wie bringen sie sie in eine Ecke und nehmen sie in die Mangel?
    Das reichte mir eigentlich schon im Sound der Akten, da musste nicht noch sozusagen eine überemotionale Ebene durch die Betroffenen reinkommen.
    "Ich finde die Arbeit der Medien sehr beachtenswert"
    Buchmann: Wie sehen Sie die mediale Aufarbeitung allgemein der NSU-Attentate? Da gibt es ja einiges, es gab ein Dokudrama über Beate Zschäpe, es gab oder gibt das NSU-Dreierpack in der ARD, es gab sogar einen Krimi von Wolfgang Schorlau, der auch im Hintergrund die NSU-Attentat-Geschichten hatte. Wie sehen Sie das?
    Maus: Also, im Ganzen muss ich sagen, dass viele Journalisten sehr hartnäckig und sehr intensiv und auch über einen langen Zeitraum versucht haben, da Aufklärung zu schaffen. Gerade weil eben aus den Behörden, aus den Sicherheitsdiensten überhaupt keine Aufklärung kam, fand ich schon so, dass es viele Kollegen von vielen unterschiedlichen Medien waren, die sich da über Wochen und Monate und Jahre wirklich dahintergeklemmt haben und versucht haben, da irgendwie Licht ins Dunkel zu bringen.
    Da gab es ja dann die Untersuchungsausschüsse, den Bundesausschuss, den es auch jetzt wieder gibt in NRW, aber man merkte oder hatte oft den Eindruck, dass die Untersuchungsausschüsse oftmals schnell an Grenzen geraten und auch angewiesen waren im Prinzip auf den Input, der eigentlich aus den Recherchen von Journalisten gekommen ist, weil eben auch der Untersuchungsausschuss letztendlich oft in der Luft hing, weil blockiert worden ist, keine Akten zugestellt worden sind oder unvollständig. Ich fand die Arbeit der Medien und finde die Arbeit der Medien und der Kollegen sehr beachtenswert.
    Buchmann: Am 25. Februar kommt der Film offiziell in die Kinos. Es gab aber auch schon Vorführungen im Rahmen von Festivals. Waren Sie zugegen und können Sie was über die Reaktionen der Menschen sagen?
    Maus: Die Reaktionen sind sehr intensiv, es gibt immer sehr viele Nachfragen, weil vielleicht die Menschen das eine oder andere irgendwo schon wussten, zu sagen, na ja, da wurden Opfer zu Tätern gemacht. Aber dann im Film zu sehen, wie diese Mechanismen sind, wie tatsächlich über Jahre das auch passierte, ich glaube, das hat die Menschen noch mal sehr stark berührt und beschäftigt. Und die Reaktionen sind durchweg so, dass es einen sehr intensiven Gesprächsbedarf immer auch gibt nach dem Film.
    Buchmann: Herzlichen Dank, Andreas Maus, Regisseur des Films "Der Kuaför aus der Keupstraße". Der Kinostart, wie schon erwähnt, ist am 25. Februar.
    Maus: Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.