Dienstag, 16. April 2024

Kölner Kongress
Sendung im Deutschlandfunk

Mit zwei Live-Sendungen aus dem Deutschlandfunk Kammermusiksaal während des Kölner Kongresses geben Hörspiel und Feature ein Debut. Dabei arbeiten wir mit Sound, Text, Videos, Schauspielern, Musikern, Tonmeistern, mit Hörerbeteiligung und Publikum im Saal. Drei Essays zu Erzähltheorie und zwei Reportagen vom Kölner Kongress machen das Veranstaltungsgeschehen auch für alle Radiohörer zum Erlebnis.

19.02.2017
    Freitag 10. März 2017
    // 19.15 Uhr - 20.00 Uhr
    Das Kulturgespräch: Serial - das Erfolgsmodell
    Über 80 Millionen Mal wurden die Folgen von "Serial" heruntergeladen. Das amerikanische Podcast bekam ein Publikum, das ansonsten nur Fernsehserien oder Filme erreichen. Die Idee von Sarah Koenig, die wahre Geschichte eines 1999er-Mordfalls im Highschool-Umfeld aus Baltimore über mehrere Wochen zu erzählen, mit den erzählerischen Mitteln, wie man sie aus erfolgreichen HBO- oder Netflix-Serien kennt, wurde zum Welterfolg. Und inspirierte weltweit Radiomacher - auch hierzulande.

    Auf dem Kölner Kongress 2017 haben wir drei Macher der ersten deutschen Serien nach "Serial" zum Kulturgespräch eingeladen. Anouk Schollähn, die für die NDR-2-Serie "Täter unbekannt" zusammen mit Thomas Ziegler den bis heute ungeklärten Fall einer jungen Frau erzählt, die 2000 spurlos in Hannover verschwunden ist. Philip Meinhold macht sich in der fünfteiligen Podcast- und Radioserie "Bilals Weg in den Terror" für den RBB und den NDR seit Ende Januar 2017 auf die Suche nach den Ursachen der Radikalisierung des 14-jährigen Hamburger Schülers Florent, der im Alter von 17 Jahren als IS-Kämpfer namens Bilal stirbt. Bereits 2015 hatte Meinhold in einer neunteiligen Podcastserie des RBB versucht herauszufinden: "Wer hat Burak erschossen?" Sein Ansatz: Die Polizei hat zu lange im persönlichen Umfeld des Opfers gesucht und einen möglichen rechtsradikalen Hintergrund der Tat, ähnlich wie bei den NSU-Morden, nicht ausreichend geprüft. Sven Preger und Stephan Beuting erzählen in "Der Anhalter" (WDR) die Geschichte eines Mannes, der als Kind und Jugendlicher in einer psychiatrischen Anstalt schwer misshandelt wurde und sich seit seiner Entlassung durchs Leben schwindelt.

    Moderation: Marietta Schwarz
    Freitag 10. März 2017
    // 20.10 Uhr - 21.00 Uhr
    Das Feature "Freitagabend um zehn nach acht"
    Von Tina Klopp und Johannes Nichelmann

    Wie klingt der Freitagabend? Ein Live-Feature aus dem Deutschlandfunk Kammermusiksaal vertauscht die Rollen und stellt für 50 Minuten alle Kanäle auf Empfang: Nicht wir senden - Sie senden! Das Feature verwandelt sich in ein akustisches Forschungsvorhaben: Der Freitagabend dient als klangsoziologische Hörstudie, mit Hörerinnen und Hörern als Reportern, mit Geschichten aus dem wahren Leben, mit zufälligen Passanten als OTon-Gebern und dem Nachbarshund als Geräuschemacher. Die Reporter haben die Aufgabe um 20.10 Uhr eine Tür zu öffnen und uns daran teilhaben zu lassen, was sie dort hören. Das kann ein Familienabend vor der Glotze sein oder ein klandestines Treffen einer schlagenden Verbindung, die Schauspielerin bei der Theater-Premiere oder das nachbarschaftliche Treffen im eigenen Wohnblock. Die akustischen Fäden dieser Live-Berichte laufen im Kammermusiksaal zusammen - die Bühne wird zum offenen Studio. Die Hörerreportagen aus ganz Deutschland kompilieren einen Soundmix des deutschen Freitagabends. Mit Publikum, mit einer Band, mit einer Moderatorin, die das Geschehen kommentiert.

    Moderatorin on stage: Diane Hielscher
    Musik on stage: Kiki Bohemia & Sicker Man
    Außenreporter: Paartherapeutin Ann-Marlene Henning, Musiker und Regisseur Schorsch Kamerun, Fernsehmoderatorin Johanna Maria Knothe, Theatermacher Milo Rau und Schauspielerin Jelena Kuljić
    Regieassistenz: Hanna Steger
    Ton und Technik live: Christoph Rieseberg und Daniel Dietmann
    Regie: Matthias Kapohl
    Redaktion: Tina Klopp und Barbara Schäfer


    Samstag 11. März 2017
    // 20.05 Uhr - ca. 21.15 Uhr
    Hörspiel am Samstag "In darkness let me dwell – Lieder aus der Finsternis"
    Von Merzouga

    "22. Juli. Nachts einen Orca-Angriff im Weddellmeer gehört. Seeleoparden, Krabbenfresserrobbe und die absteigenden 'Chirps' der Weddellrobbe. Plötzlich von fern das leise, hohe Klicken mehrerer Orcas, die mit Echoortung jagen. Irgendwann peilt ein Orca eines unserer Mikrophone an. Hellwach."

    Wir befinden uns in der Antarktis. Vier Unterwassermikrofone des Alfred Wegener-Instituts zeichnen hier rund um die Uhr die Unterwasserwelt des Weddellmeers auf. Unweit des Observatoriums PALAOA ist vor einhundert Jahren Sir-Ernest-Shackletons Trans-Antarktis-Expedition gescheitert. Auf einem Schlitten wollte er den antarktischen Kontinent durchqueren. Sein Schiff "Endurance" wurde vom Packeis zerstört, bevor er überhaupt landen konnte. Im Winter 2016 bricht das Forschungsschiff Polarstern erneut in die Antarktis auf. Ausgehend von den Unterwasseraufnahmen verbindet das Duo Merzouga die Fiktion einer modernen Expedition und Shackletons Geschichte mit einer elektro-akustischen Komposition. Hörspiel und Klangkunst, Geschichte und Gegenwart, Wissenschaft und zeitgenössische Musik kommen mit Wasser, Eis und Luft in Berührung. Und die Hörer tauchen ein in die unerhörte Klangwelt unter Wasser, die in der tiefen Finsternis unter dem Eis verborgen ist.

    Mit Christian Brückner und Ulrike Schwab
    Gesang: Tobias Christl
    Schlagzeug: Lucas Niggli
    E-Bass: Janko Hanushevsky
    Elektronik: Eva Pöpplein
    Videoinstallation: Luis Negrón van Griecken
    Regieassistenz: Hanna Steger
    Ton und Technik: Michael Morawietz, Hendrik Manook, Roman Weingardt
    Komposition & Regie: Merzouga
    Redaktion: Sabine Küchler

    Produktion: DLF/HR 2016, unterstützt durch die Filmstiftung NRW und die AG Ozeanische Akustik des Alfred-Wegener-Instituts



    Sonntag 5. März 2017
    // 09.30 Uhr – 10.00 Uhr
    Essay und Diskurs: Kathrin Röggla "Zwischengeschichten"
    "Es ist in diesen Tagen jedenfalls besser, keine Reden zu halten, sondern um sie herumzukommen, indem man Geschichten erzählt", schreibt Kathrin Röggla im November 2016 in der NZZ. "Ja, die gute alte Fiktion, die für mich gar keine gute alte Fiktion ist, vielmehr eine neue Fiktion, da ich sie bisher für verdächtig hielt, weil sie als ein zu leicht verfügbarer Möglichkeitsraum in einer unmöglichen Gesellschaft auftritt". In ihren Vorträgen im Zürcher Literaturhaus/Deutsches Seminar der Universität Zürich entwirft Kathrin Röggla den Gedanken, dass im Zeitalter von Populismus, Postfaktischem und Politikberatung die alten Heldengeschichten immer wieder erzählt werden, auch wenn sie über online-Foren verbreitet und von Algorithmen konstruiert werden. Sie entwickelt die Idee für Zwischengeschichten, für die Konflikte und gesellschaftliches Personal erfunden werden müssen, Zwischenfiguren, die zwischen den Stühlen sitzen, zwischen Dokumentation und Fiktion, zwischen Mündlichem und Schriftlichem. Was für eine Erzählform entsteht da? Gibt es interessantere Handlungsverknotungen als das Dilemma? Kathrin Röggla nimmt Literatur und Theater in den Blick und überprüft die "Fiktionalisierung der Welt und ihr Gegenteil".

    Kathrin Röggla eröffnet das Symposium "Erzählen in den Medien" beim Kölner Kongress 2017 am 10. - 11. März.

    Kathrin Röggla, geboren 1971, lebt in Berlin. Sie schreibt Prosa, Essays, Theaterstücke und Hörspiele. Zuletzt veröffentlichte sie Nachtsendung. Unheimliche Geschichten im S. Fischer Verlag.


    Sonntag 12. März 2017
    // 09.30 Uhr – 10.00 Uhr
    Essay und Diskurs: Martin Zeyn "Die Schrift als Fremder"
    "Im elektronischen Zeitalter, das auf die typographische und mechanische Ära folgte, begegnen wir neuen Formen und Strukturen der menschlichen Interdependenz und der Ausdrucksweise, die in der Form oral sind, auch wenn die Situationselemente nicht-verbaler Natur sind." Auf den ersten Blick scheint der Literaturwissenschaftler McLuhan exakt das legere Kommunizieren in den Sozialen Netzwerken beschrieben zu haben: Mündlichkeit ist an die Stelle von Schriftlichkeit getreten, auch wenn eben nicht telefoniert, sondern immer noch geschrieben wird. Bücherdämmerung. Bit essen Seele auf. Büchergeddon. Der Abgesang auf das Buch ist alt. Marshall McLuhan veröffentlichte 1962 Die Gutenberg-Galaxis - und der Untertitel machte klar, worum es ging: Das Ende des Buchzeitalters. Nun kommt das Ende der Schrift. Eine Zeit, in der Bücher so veraltet erscheinen wie heutzutage IBM Kugelkopf-Schreibmaschinen. Ausgelöst durch das Internet, das Digitale. Verlieren wir alle Kultur? Martin Zeyn sagt: Nein. WG - Wie geht’s, WE - Wochenende und LOL - laughing out loud sind Abkürzungen, die nichts mit Mündlichkeit zu tun haben, sondern die Geschwindigkeit beim Tippen erhöhen sollen. Sie funktionieren ganz ähnlich wie die Abbreviaturen in Klosterhandschriften, in denen die Mönche mit einem Schnörkel oder einem Strich über einem Buchstaben anzeigten, dass der Lesende hier einfach den gleichen Buchstaben oder die gleiche Silbe ergänzen solle.

    Martin Zeyn, geboren 1964, ist Leiter des Nachtstudios von Bayern zwei und lebt in München. Er veröffentlicht außerdem Essays und Kritiken zu Kunst, Hörspiel, Popkultur und Philosophie.


    Sonntag 9. April 2017
    // 09.30 Uhr - 10.00 Uhr

    Essay und Diskurs: Georg Seeßlen "Was bisher geschah …"

    Die Ursprünge des Erzählens liegen in der Erklärung und Legitimation der Gegenwart durch die Vergangenheit. Das, was einmal geschah, ist die Grundlage dessen, was jetzt ist. Doch schon immer zeigt sich, dass die Beziehungen zwischen der erzählten Vergangenheit und der Gegenwart des Erzählens komplizierter sind als eine gerade Linie. Vor allem gilt das Interesse dem "Bruch" zwischen der heroischen und magischen Vergangenheit und der alltäglichen oder auch elenden Gegenwart. Was ist passiert, zwischen dem Western oder der Kara-ben-Nemsi-Lektüre und der Reihenhaus-Gegenwart, mag sich der jugendliche Träumer fragen. Eine zweite Grundlage ist der Bericht aus der Ferne. Die Kunde von abenteuerlichen Reisen und von Orten, an denen alles anders ist. Der Andersort der Erzählung muss real gar nicht existieren, er kann eine Insel namens Utopia ebenso meinen wie einen fernen Planeten.

    In der ersten Form des seriellen Erzählens schützt sich die mythische Vergangenheit vor dem Anschluss an die Gegenwart. Das Abenteuer geht immer weiter, langweilig wird das erst, wenn man der Erzählzeit und des Erzählraumes in gewisser Weise entwachsen ist. Irgendwann ist man zu alt für Kara ben Nemsi - jedenfalls zu alt für den "kindlichen Glauben" an seine Welt.

    Georg Seeßlen, geboren 1948 in München, Studium der Malerei an der Kunsthochschule München, ist freier Journalist, Filmkritiker, Autor und lebt in Kaufbeuren. Sein Blog heißt "Das Schönste an Deutschland ist die Autobahn". Zuletzt veröffentlichte er im Suhrkamp Verlag mit Markus Metz Geld frisst Kunst - Kunst frisst Geld. Ein Pamphlet.


    Freitag 17. März 2017
    // 19.15 Uhr – 20.00 Uhr
    Dossier: Wolfgang Schiller berichtet vom Symposium "Erzählen in den Medien" beim Kölner Kongress 2017.
    Vor allem im englischsprachigen Raum hat das Radio in den letzten 15 Jahren das Erzählen wieder entdeckt.
    Storytelling ist das Zauberwort, mit dem Radiosendungen wie "This American Life" oder "Radiolab" und "Podcasts" wie "99% Invisible", "the Moth" oder "Snap Judgement" das Dokumentarische im Radio zu einer neuen ungeahnten Blüte gebracht haben - lange bevor Serial zum popkulturellen Welterfolg wurde. Beim Kölner Kongress 2017 erzählen die Radiomacher John Biewen, Avery Trufelman, Luisa Beck und viele andere, wie sich dieser Boom entwickeln konnte.


    Freitag 17. März 2017
    // 20.10 Uhr – 21.00 Uhr
    Das Feature: Anna Panknin berichtet vom Symposium "Erzählen in den Medien" beim Kölner Kongress 2017
    Was bisher geschah - eine Nachlese. Von Anna Panknin.

    Der erste Kölner Kongress im Deutschlandfunk fand unter dem Motto "Erzählen in den Medien" am 10. und 11. März 2017 statt. Welche Alleinstellungsmerkmale haben die Erzählweisen der künstlerischen Formen des Radios? Können sie im digitalen Cross Media Mix bestehen? Welche Inhalte passen zu welchen Erzählformaten? Warum immer Storytelling - geht Erzählen auch ohne Story? Was ist dynamisches Erzählen - im Film? Und warum ist serielles Erzählen so erfolgreich?

    Mit Ausschnitten ausgewählter Vorträge über die aktuellen Entwicklungen von Formen des Erzählens in den Medien, mit Publikumsreaktionen und Interviews mit den Machern der Live-Radio-Performances aus dem Kammermusiksaal stellen wir in dieser Sendung eine Nachlese zum Kölner Kongress zusammen.