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Kölner OB: Zehn-Punkte-Programm hat wenig Schubwirkung

Der Kölner Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD) bezweifelt, dass der Zehn-Punkte-Plan des Familienministeriums für ausreichend Kinderbetreuungsplätze sorgen wird. Deutschland habe viel zu spät angefangen, systematisch die Betreuung auszubauen. Das eigentliche Dilemma liegt seiner Ansicht nach in der Auszahlung des Betreuungsgeldes, das Roters als eine "konservative Rolle rückwärts" bezeichnet.

Jürgen Roters im Gespräch mit Sandra Schulz | 31.05.2012
    Sandra Schulz: August 2013 - dieser Termin hat in den Ohren vieler Eltern einen nahezu magischen Beiklang, denn ab da soll der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz für unter Dreijährige greifen. Da gibt es nur ein Problem, oder besser gesagt 130- bis 160.000, denn so viele Betreuungsplätze fehlen nach aktuellen Schätzungen. Jetzt will die Bundesregierung mit zusätzlichen Anreizen gegensteuern, gestern hat Familienministerin Schröder einen Zehn-Punkte-Plan vorgelegt. Vorgesehen sind Lohnkostenzuschüsse für Tagesmütter, eine bessere Förderung für Betriebskindergärten, eine bessere Bezahlung für Betreuungskräfte und zinsgünstige Darlehen für Kommunen, die jetzt aber schon mahnen, der Rechtsanspruch werde sich nicht überall erfüllen lassen. - Wir wollen darüber in den kommenden Minuten sprechen. Am Telefon begrüße ich Kölns Oberbürgermeister, den SPD-Politiker Jürgen Roters. Guten Morgen!

    Jürgen Roters: Einen schönen guten Morgen.

    Schulz: Wie viele Kita-Plätze werden in Köln denn fehlen im kommenden Jahr?

    Roters: Wir werden das, was von uns rein rechtlich gefordert wird, erfüllen können. Wir werden im nächsten Jahr 38 Prozent des Bedarfes decken können. 35 Prozent ist zunächst einmal vorgesehen. Wir liegen also ein bisschen oberhalb der Quote. Das ist aber nur das, was rechtlich vorgesehen ist. Viel bedeutender ist die Tatsache, immer mehr Eltern wünschen eine gute, eine qualitativ hochwertige Kinderbetreuung auch für ihre unter dreijährigen Kinder. Und wenn man Städte wie Köln etwa sieht - wir sind eine junge Stadt, eine wachsende Stadt, eine Universitätsstadt -, da gehen wir davon aus, dass wir eine Quote von etwa 60 Prozent erfüllen müssten. Das sind Dinge, die wir so schnell gar nicht erreichen können.

    Schulz: Ich würde gerne noch mal bei der Zahl stehen bleiben, die Sie gerade genannt haben: 38 Prozent, sagen Sie. Aber die Einschränkung haben Sie gerade selbst gemacht: Das werden dann nicht qualitativ hochwertige Betreuungsplätze werden?

    Roters: Doch, die sind qualitativ hochwertig. Das sind keine Ersatzplätze, sondern das sind Plätze in den Kindertageseinrichtungen oder bei Tagespflegepersonen. Das ist nicht etwas, wo wir jetzt uns irgendwie durchwursteln. Da legen wir großen Wert drauf.

    Schulz: Im Moment liegt die Betreuungsquote in NRW bei 16 oder 17 Prozent, ist damit relativ weit abgeschlagen im Bundesvergleich. Was sind denn die Probleme?

    Roters: Es gibt ein Problem, das liegt darin, dass wir in Deutschland, aber auch in Nordrhein-Westfalen viel zu spät angefangen haben, systematisch die Unter-drei-Betreuung auszubauen. Das ist erst in den letzten vier, fünf Jahren geschehen, und da hat die damalige schwarz-gelbe Landesregierung nicht viel Energie aufgebracht, um entsprechende Anreize zu geben. Das wird jetzt mit Schwung nachgeholt und in der Tat fehlen in Nordrhein-Westfalen noch 27.000 Plätze. Das ist eine ganze Menge, die erreicht werden müssen. Und wie gesagt, dann hat man nur die rechtlich vorgesehene Quote von etwa 33 bis 35 Prozent. Die wahre Quote ist ja die, die die Eltern nachfragen und bei der sie darauf beharren, dass sie einen Rechtsanspruch auf Unterbringung ihrer Kinder haben.

    Schulz: Aber wenn es bei dem Gefälle bleibt, das Sie auch gerade skizziert haben, 38 Prozent, wenn das die Quote sein sollte, die Köln erreicht, 60 Prozent wäre aber nachgefragt, dann bleibt ja immer noch eine Spanne.

    Roters: Eine riesige Spanne.

    Schulz: Wie wollen Sie mit dem Dilemma denn umgehen, dass das Recht quasi kein Recht bleibt?

    Roters: Das macht mir an sich die größte Sorge, dass natürlich bei den Eltern Erwartungen geweckt worden sind durch den Rechtsanspruch und dass sie ihn auch, man muss sagen, berechtigterweise einfordern, und ich weiß nicht, wie man damit umgeht. Es ist eine Diskrepanz zwischen dem, was an Erwartungen da ist, und dem, was wir erfüllen können, und letztlich, wenn die Eltern dazu übergehen, Schadenersatzansprüche geltend zu machen, sie einzuklagen, dann müssen wir diese Schadenersatzansprüche an den Bund weiterreichen, weil der letztlich diesen Rechtsanspruch formuliert hat, der in der Wirklichkeit nicht erfüllt werden kann, gerade in den Ballungsräumen. Und wenn man noch mal zu sprechen kommt auf dieses Zehn-Punkte-Programm der Ministerin, dann muss man deutlich konstatieren, dass das den großen Schub nicht bringen wird. Es sind viele Absichtserklärungen, vieles hält sich im Vagen und allein zwei Punkte, die mir interessant erscheinen, die muss man noch etwas näher prüfen: einmal das 350-Millionenprogramm der Kreditanstalt für Wiederaufbau - da muss man sehen, wie die Zinsbedingungen sind, die Kreditbedingungen sind, ob es wirklich einen Anreiz schafft, ob diese Mittel dann günstiger sind als etwa die Kommunalkredite, auf die sie ja eh schon zurückgreifen können. Das ist die eine Sache. Das will ich von Anfang an jetzt nicht mit negativen Zeichen versehen. Was ich aber für sehr problematisch halte, ist das Zehnmillionenprogramm zur Festanstellung von Tagespflegepersonen. Das ist eine vorübergehende Förderung und diese Tagespflegekräfte werden dann entweder bei den freien Trägern oder bei den Kommunen angestellt, wenn notwendig auf Dauer, und wenn sich der Bund dann nach drei Jahren zurückzieht aus der Förderung, dann liegt allein die Last der Finanzierung wieder bei den Kommunen. Wir haben so ein ähnliches Problem bei der Einstellung von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern nach dem Bildungs- und Teilhabepaket. Auch da haben wir die Möglichkeit, gefördert durch den Bund, 80 Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter einzustellen, aber nur für drei Jahre. Und wenn der Bund sich dann wieder zurückzieht, dann wollen wir diese jungen Menschen ja nicht entlassen, wenn sie sich gerade gut eingearbeitet haben und soziale Netze gespinnt haben.

    Schulz: Jetzt war vor fünf Jahren, 2007, als dieser Rechtsanspruch und auch die Verabredung für den Krippenausbau gekommen ist, die SPD ja mit in der Regierung, hat auch die finanzielle Ausstattung mit verabschiedet sozusagen. Haben Ihre Kollegen in Berlin damals was übersehen?

    Roters: Insgesamt muss man sagen, da war man zu gutgläubig. Das gilt für alle, losgelöst von der jeweiligen Parteizugehörigkeit, und hat nicht gesehen, welche Folgeprobleme damit verbunden sind. Ich sehe also wenig Schubwirkung in dem Zehn-Punkte-Programm und das eigentliche Dilemma liegt ja in der Tatsache, dass wir hier eine konservative Rolle rückwärts erleben mit der Auszahlung des Betreuungsgeldes. Das wird von niemand so richtig gefordert, auch von den Eltern nicht. Die Eltern möchten gerne gute, qualifizierte Betreuungsplätze haben und nicht eine Auszahlung von 100 beziehungsweise 150 Euro im Monat. Das bringt sie nicht weiter.

    Schulz: Herr Roters, das war in dem Paket 2007, haben wir noch mal nachgeschaut, allerdings auch, eben mit Zustimmung der SPD, schon drin. Warum hat es die Zustimmung damals denn gegeben?

    Roters: Ja, weil man vielleicht davon ausgegangen ist, dass die Nachfrage nicht so groß sein würde bei den Eltern. Aber inzwischen stellen wir fest: Immer mehr Frauen, aber auch insgesamt Eltern wünschen eine gute Betreuung, um die Vereinbarkeit von Beruf und Kindererziehung zu gewährleisten. Wir brauchen auch gerade die jungen Frauen bei dem anstehenden Fachkräftemangel. Und man muss noch etwas sagen: Es hat auch eine wichtige bildungspolitische Perspektive, gerade wenn es um benachteiligte Familien geht. Kinder, die sehr frühzeitig in Kinderkrippen untergebracht werden, haben deutlich bessere Chancen in der schulischen Entwicklung. Wir haben das zum Beispiel in Köln festgestellt, dass ein Jahr frühere Betreuung in einer Kita geradezu die Notwendigkeit von Sprachförderung gerade bei Migrantenkindern halbiert. Das heißt also, halb so viele Kinder brauchen noch Sprachförderung, wenn sie ein Jahr früher in eine Kita gehen.

    Schulz: Der Kölner Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD) heute in den "Informationen am Morgen" hier im Deutschlandfunk. Vielen Dank Ihnen.


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