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Königin-Elisabeth-Wettbewerb in Brüssel
Von Opernschlagern und Wunderhorn-Liedern

Wenn in Brüssel die Endrunde des Königin-Elisabeth-Wettbewerbs ansteht, versammelt sich ganz Belgien vor dem Fernseher. Für das Land ist es ein musikalisches und gesellschaftliches Ereignis ersten Ranges. Dieses Jahr war das Fach Gesang an der Reihe - und ein deutscher Bariton holte sich den Sieg.

Von Johannes Jansen | 14.05.2018
    Der deutsche Bariaton Samuel Hasselhorn gewann den Königin-Elisabeth-Wettbewerb 2018 in Brüssel
    Der deutsche Bariaton Samuel Hasselhorn gewann den Königin-Elisabeth-Wettbewerb 2018 in Brüssel (picture-alliance / Nicolas Maeterlinck)
    Der Eurovision Song Contest mag die Welt bewegen – Belgien bewegt der Concours Reine Elisabeth. Ihn einen Schlagerwettbewerb zu nennen, wäre ungerecht angesichts des künstlerischen Ranges und der enormen Leistungen derer, die es hier bis ins Finale schaffen. Schlager – in erster Linie: Opernschlager – reihen sich dennoch einer an den anderen. Und wenn fünf von zwölf Finalisten Baritone sind, ist es des "Trallalalera" fast zuviel.
    Auch der Argentinier Germán Enrique Alcántara hatte sich für Rossinis "Largo al factotum" entschieden und dabei ebenso wie der Amerikaner Alex DeSocio vielleicht etwas zu sehr nach dem Beifall des Publikums geschielt. Für einen Platz unter den ersten Sechs reichte es nicht. Was zählt, sind allein die ohne Diskussion und Geschacher – so wollen es die Statuten – zum Endergebnis aufaddierten Punkte der Juroren.
    Einer von ihnen war Helmut Deutsch, Jury-erfahren seit Jahrzehnten, der als Klavierpartner großer Stimmen von Hermann Prey bis Jonas Kaufmann selbst ein Stück Gesangsgeschichte mitgestaltet hat. Sein Zwischenfazit vor dem Finalabend in Brüssel klang optimistisch, weil sich die Parameter der Beurteilung in seinem Sinne verschoben hatten. Deutschs Favoriten – auch wenn er ihre Namen natürlich nicht verriet – waren in der Endrunde dabei.
    "Es gab Wettbewerbe, wo man das Gefühl gehabt hat, wer am lautesten singt, kommt weiter. Aber es gibt rühmliche Ausnahmen, und das ist hoffentlich auch hier so ... Das ist hier ein Gesangswettbewerb, wo das Lied kein Schattendasein führt ... Was man im Lied gestalten kann, ist zum Teil viel herausfordernder als in einer Bellini-Arie, wo man auf große Linie geht und die Stimme allein im Vordergrund steht."
    Weil die letzte Runde nicht mit Klavierbegleitung, sondern mit Orchester absolviert wurde, lag es nahe, bei der Kür auf Opern-Arien zu setzen. Nicht immer ein guter Rat, fand Helmut Deutsch, und behielt Recht damit – vielleicht sogar zur Verwunderung des einen oder anderen Jury-Kollegen.
    Namhaft besetzte Jury
    "Diesen Rossini rauf und runter immer wieder zu hören, ist natürlich auch ein bisschen langweilig. Aber das Wesentliche ist, dass wir es vergleichen können mit so vielen Interpretationen, die wir schon im Ohr haben Und wenn man es gut macht, kann man damit natürlich 'abstauben'. Aber die meisten scheitern daran, weil sie es noch nicht so weit gebracht haben."
    Opern-Intendanten und auch namhafte Dirigenten wie Christophe Rousset, vor allem aber lebende Gesangslegenden wie Teresa Berganza und José van Dam prägten das Gesicht dieser Jury. Die Zusammensetzung kann von der Vorausscheidung über die erste und zweite Runde bis zum Finale wechseln. Durchgängig beteiligt und als eine von nur zwei Frauen im zehnköpfigen Schlusstableau vertreten war die irische Mezzosopranistin Ann Murray.
    Auch ihr dürfte gefallen haben, wie sich die junge, am Ende zweitplatzierte Mezzo-Kollegin Eva Zaïcik aus Frankreich präsentierte: in fünf verschiedenen Sprachen, gleichermaßen stilsicher im Lied-, Opern- und Oratorienfach. Als inspirierende Begleiter erwiesen sich Alain Altinoglu und sein Orchester vom Opernhaus De Munt respektive La Monnaie. Der Name von Belgiens vornehmster Musik-Adresse erinnert daran, wie viel – wenn nicht alles – auch in der Opernwelt am Gelde hängt.
    Es in die Endrunde geschafft zu haben, kommt bei diesem Wettbewerb einem Hauptgewinn schon ziemlich nahe. Um Engagements in nächster Zeit braucht sich nicht mehr zu sorgen, wer schon so weit ist: Plan B für den Fall, dass der Sprung auf die ganz große Bühne nicht gelingt, kann in der Tasche bleiben. Internationale Agenturen haben die Finalisten längst auf dem Radar – und manche von ihnen auch schon unter Vertrag.
    Bei einem Sieg in Brüssel schnellt ihr Kurs nach oben. Für deutsche Teilnehmer ist es eine seltene Erfahrung. Erst zweimal haben sie hier gewonnen, im Klavierwettbewerb: Severin von Eckardstein vor 15 und Markus Groh vor 23 Jahren. Im Fach Gesang gelang es jetzt Samuel Hasselhorn.
    Mut zu unkonventioneller Programmauswahl
    Morgen wird er achtundzwanzig und hat sich sein Geschenk bereits gemacht: mit dem Mut zum Lied und zur unkonventionellen Programmauswahl. Die "schönen Trompeten" aus Mahlers Wunderhorn-Liedern geleiteten Hasselhorn auf die Siegerstraße. Aber vielleicht entscheidend war, wie es ihm danach – mit Dirigent Altinoglu als Verbündetem – gelang, den Spannungsbogen von "Es ist genug" aus Mendelssohns "Elias" zu "Carlos écoute" aus Verdis "Don Carlos" so zu schlagen, dass im Saal beinahe atemlose Stille herrschte und im Orchester nicht einmal ein Rascheln beim Umblättern zu hören war.
    "Ich habe das Gefühl, dass ich schon im Halbfinale ein bisschen gegen den Strom geschwommen bin."
    Erstaunlich gelassen kommentierte Samuel Hasselhorn seine überragende Leistung – aller nervlichen Anspannung zum Trotz – in der Wartezeit vor der Proklamation der Endergebnisse. Da zeigte sich die Erfahrung aus manchem Wettbewerb zuvor, den der gebürtige Göttinger bereits siegreich bestanden hat.
    Als Wettbewerbs-Routiniers darf man auch die anderen Preisträger bezeichnen, alle schon im Alter um die dreißig: Ao Li, Bassist aus China, auf dem 3. Platz, Rocío Pérez, Sopranistin aus Spanien, auf dem 4., und aus Frankreich und Belgien Héloise Mas und Marianne Croux, Mezzo und Sopran, als Fünft- und Sechstplatzierte eines ertragreichen Concours, der viel Schönes für die Zukunft hoffen lässt.