Mittwoch, 24. April 2024

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Koenigs über Hilfszusagen
"Grandiose Rhetorik, dürftige Praxis"

Tom Koenigs findet: Die Flüchtlingskrise hätte in diesem Ausmaß verhindert werden können. Es entspreche einer allgemeinen Praxis, dass die internationale Gemeinschaft Milliarden für Flüchtlingslager zusage, diese am Ende aber nur zum Teil leiste, sagte der menschenrechtspolitische Sprecher der Grünen im DLF. Auch könne er nicht verstehen, warum Bundesentwicklungsminister Gerd Müller erst nach Verabschiedung des Haushalts Milliarden für einen Flüchtlingsfonds fordere.

Tom Koenigs im Gespräch mit Peter Kapern | 26.11.2015
    Tom Koenigs war als Sonderbeauftragter der UNO in Afghanistan, Guatemala und dem Kosovo.
    Tom Koenigs (Bündnis 90/ Die Grünen) meint, politischer Druck sei notwendig (picture alliance / dpa / Marius Becker)
    Peter Kapern: Die Grenzen müssen dicht gemacht werden, damit nicht mehr so viele Flüchtlinge zu uns kommen. In dieser Forderung ist sich die Regierungskoalition im Prinzip einig. Streit gibt es allerdings darüber, um welche Grenzen es da geht. Die CSU und Teile der CDU haben dabei eher die deutschen Grenzen im Blick; SPD und das Kanzlerinnenlager in der CDU denken da eher an die Außengrenzen der Europäischen Union. Aber wenn man hört, was Entwicklungsministerin Gerd Müller über die Zustände in den Flüchtlingslagern rund um Syrien berichtet, dann fragt man sich: Kann man durch Grenzsicherungen, ganz gleich wo und ganz gleich wie stark, die dort lebenden Menschen überhaupt davon abhalten, sich auf den Weg nach Europa zu machen?
    Bei uns am Telefon ist jetzt Tom Koenigs, der menschenrechtspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag. Guten Tag, Herr Koenigs.
    Tom Koenigs: Guten Tag, Herr Kapern.
    Kapern: Ein Politiker fordert Milliarden-Hilfen für die Flüchtlingslager rund um Syrien. Kommt Ihnen das bekannt vor?
    Koenigs: Das kommt mir bekannt vor und das hätte ich genauso machen können. Der einzige Unterschied zwischen Herrn Müller und mir ist: Er ist Minister und ich nicht.
    Kapern: Und worin Sie sich gleichen ist: Sie können beide dieselbe Forderung aufstellen, aber es tut sich nichts.
    Koenigs: Ich finde es richtig, diese Forderung aufzustellen. Ich verstehe aber nicht, warum Herr Müller das macht, nachdem der Haushalt verabschiedet ist, und nicht in den Haushaltsverhandlungen selbst das durchsetzt, denn das hätte er können. Ein Beispiel: Er fordert zehn Milliarden Flüchtlings-Fonds. Das ist eine gute Forderung. Da kämen 2,8 von auf Deutschland zu. Die finde ich aber nirgends im Haushalt, auch nicht in seinem Haushalt.
    "Menschen versuchen jetzt, koste es, was es wolle, das Weite zu suchen"
    Kapern: Jetzt müssen Sie natürlich die Bundesregierung schelten für das, was sie tut, beziehungsweise das, was sie nicht tut. Aber nun ist ja möglicherweise eine menschenwürdige Versorgung von Millionen von Flüchtlingen, die sich aus Syrien davongemacht haben, nicht ausschließlich eine Aufgabe für die Bundesregierung. Wie kommt es eigentlich, dass die internationale Gemeinschaft einfach nicht dazu zu bewegen ist, einigermaßen ausreichend Geld zur Verfügung zu stellen?
    Koenigs: Das liegt daran, dass die internationale Gemeinschaft doch nicht so gemeinschaftlich ist, wie man das sich wünschen würde. Wenn ja andere Nationen und insbesondere Nationen auch im Raum um Syrien bereit wären, hier zur humanitären Seite mehr beizutragen als zum Kriege, wäre schon vieles geholfen. Die Situation war doch im vergangenen oder im jetzt noch laufenden Jahr so, dass die internationalen Hilfsorganisationen, UNICEF oder Welternährungsprogramm oder der Hochkommissar für Flüchtlinge, immer wieder gefordert haben und gebettelt haben, dass die Situation in den Flüchtlingslagern nicht eintritt. In der Situation hat zwar Deutschland zweifellos einige Haushaltsmittel mobilisiert, längst nicht genug, längst nicht so viel wie Herr Müller jetzt fordert, längst nicht so viel wie ich auch fordern würde, aber andere haben sich vollkommen zurückgehalten. Und das Ergebnis ist jetzt das, was wir haben, nämlich dass die Menschen, koste es was es wolle, das Weite suchen.
    Kapern: Nun haben Sie ja, Herr Koenigs, sehr viel Erfahrung auf dem internationalen diplomatischen und politischen Parkett. Ist das eigentlich üblich, dass da Geberkonferenzen, sei es für die Flüchtlinge aus Syrien, sei es für andere humanitäre Aufgaben, dass da Geberkonferenzen veranstaltet werden, wo Regierungen Delegationen hinschicken, die dann bestimmte Summen zusagen, und anschließend kommt von diesen Geldern nichts an?
    Koenigs: Es kommt zu wenig an und es hat sich oft eine Rhetorik eingestellt, die grandios ist, und eine Praxis, die dürftig ist. So ist es leider auch mit dem Interview von Herrn Müller. Die Rhetorik ist grandios, die Praxis ist sehr viel kleiner. Ich würde für Deutschland nicht sagen, dass sie dürftig ist. Immerhin hat Deutschland im vergangenen Jahr dann doch an die drei genannten Hilfsorganisationen 435 Millionen überwiesen und hat im nächsten Haushalt auch eine stattliche Summe. Aber es muss darum gehen, dass, wenn man verspricht, man auch zahlt und möglichst auch gleich zahlt.
    Kapern: Wie macht man das? Wie stellt man das sicher?
    Koenigs: Man stellt es zunächst mal sicher, indem man es selber macht und dass man nicht erst bis zum November wartet, bis man die Rate an den Hochkommissar für Flüchtlinge bezahlt, sondern gleich im Januar. Das was wir jetzt im Haushalt beschlossen haben, könnte am 2. Januar überwiesen werden. - Das zweite ist, dass man die anderen verbündeten Staaten ...
    Kapern: Darf ich da noch mal bleiben, bei diesem ersten Punkt, Herr Koenigs, bevor wir zum zweiten Punkt kommen? Warum wird die Überweisung nicht am 2. Januar vorgenommen, gerade zu Beginn des neuen Haushaltsjahres?
    Koenigs: Da fehlt es offensichtlich am politischen Willen und man vermutet, wenn man das scheibchenweise macht, dass man damit irgendwie eine effizientere Verwendung des Geldes hätte.
    "Politischer Druck ist notwendig"
    Kapern: Wer kann denn den Kassenwarten, den dafür verantwortlichen Kassenwarten die Daumenschrauben ansetzen, dass am 2. Januar überwiesen wird?
    Koenigs: Das ist politischer Druck. Der muss ausgeübt werden. Den üben wir auch aus der Opposition aus. Das kann aber jedes Land selber machen und sollte es auch selber machen und sollte nicht immer warten, bis das Hilfsgeschrei so groß ist, dass man es nun überhaupt nicht mehr überhören kann. Und vor allem sollte man die Konsequenzen sehen.
    Das Vorbeugen der Kalamität in den Flüchtlingslagern hätte mit Sicherheit dazu geführt, dass einige es da länger aushalten. Aber wenn die Rationen gekürzt werden und wenn auch die Länder, in denen diese Lager sind - es sind ja die wenigsten im Lager; die meisten sind ja sonst wo irgendwie provisorisch untergebracht -, wenn diese Länder wie Libanon, Jordanien, aber auch die Türkei von Anfang an mehr unterstützt worden wären und - das zweite - wenn die Länder wie Griechenland und Italien im Verfahren früher unterstützt worden wären, hätten wir die Schwierigkeiten, die wir jetzt haben, wahrscheinlich nicht oder in viel geringerem Maße.
    Kapern: Nun sind aber die Flüchtlinge hier, Hunderttausende, vielleicht sogar mehr als eine Million. Was bedeutet das für die Finanzforderung, für das Betteln der Flüchtlingshilfsorganisationen für die künftige Zeit? Haben die Länder, die jetzt die Flüchtlinge innerhalb ihrer eigenen Grenzen zu versorgen haben, jetzt noch eher einen Igel in der Tasche?
    Koenigs: Die sind jetzt wenigstens aufgewacht, dass es eine Sache ist, die sich nicht fern ab irgendwo im Orient abspielt, sondern eine Sache, die uns sehr wohl betrifft. Das Leiden und die Flucht und das Elend von Menschen woanders betrifft uns sehr wohl. In diesem Falle jetzt, dass ein Teil als Flüchtlinge hier herkommt. Die müssen wir aufnehmen, das gebietet die Genfer Konvention und die hat auch keine Obergrenze. Wir müssen uns aber darum kümmern, dass sich Situationen wie in und um Syrien nicht wiederholen, und das heißt humanitäre Hilfe früh, humanitäre Hilfe erklärtermaßen und humanitäre Hilfe großzügig. Und schließlich Beendigung des Konfliktes. Da müssen die Verhandlungen rechtzeitig anfangen.
    Kapern: Tom Koenigs, der menschenrechtspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion. Herr Koenigs, danke für das Gespräch. Einen schönen Tag. Auf Wiederhören!
    Koenigs: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.