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Körpereigenes Navigationssystem

Zoologie.- Seit Jahren suchen Vogelkundler vergeblich nach den Organen, durch die zum Beispiel Brieftauben so präzise ihre Ziele finden. Zumindest bei Forellen gibt es nun einen kleinen Erfolg: In den Nasen der Fische entdeckten Münchner Forscher quasi körpereigene Kompassnadeln.

Von Martina Preiner | 10.07.2012
    Der Weg zu Michael Winklhofers Büro führt an einem Ort vorbei, der ganz den Mineralien der Erde gewidmet ist – am Museum 'Reich der Kristalle'. Anders als der Name vermuten lässt, liegt es im wenig prunkvollen Beton-Bau der Geophysik der Ludwig-Maximilians-Universität in München. In dem Museum finden sich auch Vertreter des Magnetits, ein magnetisches, silberglänzendes Gestein. Oktaedrisch, also mit acht dreieckigen Flächen versehen, spiegeln die einzelnen Kristalle das Gesicht des Betrachters. Kaum vorstellbar, dass sich etwas derart metallisch Anmutendes auch in Lebewesen entwickelt.

    "Bei Forellen finden sich Magnetit-Kristalle, die relativ gleichmäßig sind, also sozusagen kleine Oktaeder."

    Michael Winklhofer und seine Kollegen sind die ersten, die auf Magnetfelder reagierende Zellen in einem Wirbeltier gefunden haben. Das, was Ornithologen seit Jahren verzweifelt in Brieftauben- und Zugvögelschnäbeln suchen, konnte man in München nun in der Nasenschleimhaut junger Regenbogenforellen aufspüren. Anhand einer Videoaufnahme von aufgelöstem Schleimhautgewebe beschreibt Winklhofer die Entdeckung.

    "Die meisten Zellen sind hier Riechzellen und Stützstellen. Und da finden sich dazwischen auch Zellen, die sich mit dem Magnetfeld auch drehen lassen, so wie sie das hier eben ganz deutlich sehen. Die sind frei schwebend im Wasser drin."

    Ein Magnetoskop, so nennt Winklhofer die Erfindung Marke Eigenbau, dient zur Simulation des Erdmagnetfeldes. Es ist ein Mikroskop, an dem Magnetspulen angebracht sind. So bringt man einzelne Zellen zum rotieren. Genauer gesagt, eine unter 10.000 in der Forellennasenschleimhaut. Diese spärliche Verteilung der Magnetzellen hat ihren Sinn.

    "Also jede Zelle erzeugt ja auch ihr eigenes Magnetfeld und eine Zelle, die in der Nachbarschaft ist, würde dann eben das Magnetfeld dieser Zelle spüren und gar nicht mal so sehr das äußere Magnetfeld."

    Die Videoaufnahmen erlauben auch einen Blick in die magnetischen Zellen oder Magnetozyten.

    "Und hier ist ein Partikel, das das Licht recht stark reflektiert. Das dreht sich eben mit der Zelle mit."

    Chemische Analysen bestätigten, dass es sich bei den Partikeln um Magnetit handelt. Das Mineral wurde auch schon in Taubenschnäbeln gefunden – aber nie in ausreichender Menge, um eine Zelle zu bewegen.

    Die nadelförmigen Kristalleinschlüsse in den Forellennasen sind ungefähr ein tausendstel Millimeter groß. Da die Magnetit-Nadeln direkt an die Zellmembran angeheftet sind, hat Michael Winklhofer auch schon eine Theorie, wie die magnetische Information an das Gehirn weitergegeben wird.

    "Jetzt habe ich hier meinen magnetischen Einschluss und ich habe das Magnetfeld. Dann hat der Einschluss also die Tendenz, sich am Magnetfeld auszurichten. Und das heißt also indem er sich da auszurichten versucht, würde er die Membran reizen..."

    Was dann einen Nervenimpuls auslösen könnte.

    Diese für die Erforschung des Orientierungssinns höchst wichtigen Ergebnisse kamen nur aufgrund interdisziplinärer Zusammenarbeit zustande, betont Winklhofer. Geophysiker, Physiologen und Genetiker waren beteiligt. Bevor man sich an Forellen wagte, standen Magnetit-produzierende Bakterien im Fokus der Münchner Wissenschaftler. Winklhofer und seine Kollegen aus der Genetik glauben daran, dass magnetosensible Bakterien einst von höheren Lebewesen aufgenommen wurden und ihre Eigenschaften weitergaben.

    "Denn es ist bestimmt nicht leicht, von der Biochemie her, Magnetit zu produzieren. Meiner Meinung nach liegt es auf der Hand, dass diese Eigenschaft tatsächlich von den Bakterien vererbt wurde."
    Es gibt noch keine genetischen Beweise für die Theorie, aber die Forscher arbeiten daran. In den nächsten Schritten wollen sie zum einen endlich die Magnetozyten von Tauben finden. Zum anderen sollen zukünftig die genetisch gut erforschten Zebrafische den Platz der Forellen einnehmen. Die Wissenschaftler hoffen, so die für die Magnetit-Produktion verantwortlichen Gene zu identifizieren und auch bei anderen Wirbeltieren zu finden.

    "Also diese Gene könnte man zum Beispiel auch auf dem menschlichen Genom suchen. Denn wenn verschiedene andere Wirbeltiere Magnetit herstellen können, warum nicht auch der Mensch. Es kann ja sein, dass wir auch einmal die Fähigkeit besessen haben uns am Magnetfeld zu orientieren als wir noch Jäger und Sammler waren."

    Doch selbst wenn die Annahme richtig sein sollte, ist es fraglich, ob sich ein solch ausgefeilter Orientierungsmechanismus beim Menschen bis in die heutige Zeit gehalten hätte.