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Kohleabgabe
"Wir überschlagen uns"

Michael Vassiliadis, Vorsitzender der IG Bergbau, Chemie, Energie, hat seine Kritik an der Kohleabgabe erneuert. Die Gebühr sorge für Strukturbrüche und den Verlust zahlreicher Arbeitsplätze, sagte der Gewerkschafter im DLF. Zudem werde die Versorgungssicherheit gefährdet.

26.05.2015
    Der Vorsitzende der IG Bergbau, Chemie, Energie: Michael Vassiliadis
    Der Vorsitzende der IG Bergbau, Chemie, Energie: Michael Vassiliadis (imago / IPON)
    Vassiliadis appellierte an die Bundesregierung, die Balance zwischen Versorgungssicherheit, niedrigen Strompreisen und Klimaschutz zu halten. Die Verhältnismäßigkeit müsse gewahrt bleiben, sagte er im DLF. Mit der Zusatzgebühr für Kohlekraftwerke beschreite man den falschen Weg. Durch die Abgabe würden Kraftwerke ungeordnet aus dem Markt gedrängt.
    Vassiliadis betonte, für die Energiewende seien Investitionen notwendig unter anderem in neue Stromleitungen und größere Speicherkapazitäten. Wenn sich die Politik auf diesen Bereich konzentrieren würde, sei ein Ausstieg aus der Kohleenergie auch schneller möglich. "Im Moment steht das Ende der Kernenergienutzung an. Wir überschlagen uns derzeit", warnte er.

    Christine Heuer: Über die Stromtrasse von Nord- nach Süddeutschland wird viel gestritten, und über Sigmar Gabriels Kohleabgabe auch. Weil vor allem die Braunkohleverstromung die deutschen Klimaschutzziele gefährdet, möchte der Wirtschaftsminister beim Überschreiten eines CO2-Freibetrags eine Klimaabgabe für alte Kohlekraftwerke erheben. Darüber möchte ich jetzt sprechen mit dem Vorsitzenden der Gewerkschaft IG BCE, guten Tag, Michael Vassiliadis!
    Michael Vassiliadis: Guten Morgen, Frau Heuer, ich grüße Sie!
    Heuer: Der CDU-Politiker Armin Laschet hat am Wochenende gesagt, Sigmar Gabriel breche den Koalitionsvertrag, weil dort von der Kohleabgabe keine Rede ist. Stimmt das, verstößt der Vizekanzler gegen das vereinbarte Regierungsprogramm?
    Vassiliadis: Na ja, ich vermute doch mal, dass in dieser Bundesregierung auch Dinge auf den Tisch kommen können, die nicht in dem Koalitionsvertrag stehen. Ob er dagegen verstößt, ist eine andere Frage.
    In dem Vertrag selber sind allerdings einige Ideen auch für die weiteren Schritte der Energiewende aufgenommen, die jetzt verändert werden, und darüber reden wir gerade. Ein Beispiel dafür ist der Ausbaupfad des KWK, Kraft-Wärme-Kopplung. Darüber muss man reden, weil da Lösungsansätze auch für die aktuelle Klimathematik enthalten sind, die man weiterverfolgen sollte.
    Also, Bruch des Koalitionsvertrages kann ich jetzt nicht erkennen, kann ich aber im Detail auch nicht beurteilen. Ich habe nur den Vertrag gelesen, ich weiß natürlich nicht, was dort noch diskutiert worden ist.
    "Kohleabgabe ist der falsche Weg"
    Heuer: Ja, aber gegen die Kohleabgabe sind Sie auch?
    Vassiliadis: Ja. Die steht auch nicht im Koalitionsvertrag. Die Kohleabgabe selber ist ja ein Mechanismus, der vom Wirtschaftsministerium vorgeschlagen wurde, der ganz spezifisch die Braunkohle treffen soll, aus klimapolitischer Sicht. Zunächst einmal wirkt es logisch, aber wie in der Energiewende haben wir das Klimaziel zu beachten, aber viele andere Ziele auch, Versorgungssicherheit, Strompreise. Wenn man das versucht auszubalancieren, ist dieses Mittel absolut ungeeignet und führt vor allen Dingen in den Braunkohletagebauen und Braunkohleverstromung zu Strukturbrüchen und zu einer Menge verlorenen Arbeitsplätzen.
    "Es geht nicht um das Ob, sondern um das Wie"
    Heuer: Verrät die SPD – das ist ja auch Ihre Partei – die Interessen der Arbeitnehmer mit diesen Plänen zur Kohleabgabe?
    Vassiliadis: Na ja, wir haben, glaube ich, sehr deutlich gemacht auch mit unserer Demonstration, dass diese Kohleabgabe einen falschen Weg beschreitet. Ich will nicht so weit gehen zu sagen, dass die SPD ... Diesen Verratsvorwurf finde ich immer sehr fundamentalistisch. Es ist die Frage, ob die SPD – die CDU übrigens genauso, die Bundesregierung besteht ja aus zwei Parteien – noch das Gefühl behält dafür, in dieser Energiewende auszubalancieren.
    Es geht ja nicht um das Ob beim Klimaschutz, sondern es geht darum, ob Deutschland dieses einmalige Projekt auch so angeht und managt, dass am Ende eben eine ausbalancierte, wirtschaftlich soziale und ökologische Fahrt beschreibbar ist. Das ist auch wichtig, damit irgendjemand auf der Welt uns folgt. Und deshalb geht es nicht um das Ob – wird gerne so dargestellt –, sondern um das Wie. Und die Kohleabgabe ist aus unserer Sicht der falsche Weg.
    Heuer: Es war aber eigentlich immer klar, Herr Vassiliadis, dass irgendwann Schluss sein muss mit der Kohle. Wann geht das denn aus Ihrer Sicht?
    Vassiliadis: Ja, das ist auch der Fall, und zwar ist die Logik und auch das Ziel der Energiewende, dass wir technologisch – aber natürlich auch mit Blick auf die notwendigen Investitionen – schnellstmöglich den Pfad der Erneuerbaren angehen und die offenen technischen Fragen lösen.
    Heuer: Wann?
    Vassiliadis: Eine offene technische Frage haben Sie gerade erwähnt, wir brauchen die Leitungen dafür, damit das Ganze funktioniert, wir brauchen Speicher et cetera. Das heißt, der erste Ansatzpunkt zum Erfolg wäre genau an dieser Stelle zu sehen. Investiv und auch technologisch.
    "Wir überschlagen uns ein wenig in den Ausstiegsforderungen"
    Heuer: Und wann kann dann Schluss sein mit der Kohle?
    Vassiliadis: Wenn das dann kommt ... Und die Fachleute sagen, also, Mitte des Jahrhunderts, ob das nun 2040 ist oder 2050 weiß ich nicht, wird es wohl der Fall sein. Es ist aber auch eine Schätzung. Wenn das schneller gehen würde, also wenn die Politik sich auf dieses Feld sich konzentrieren würde, dann geht das auch schneller. Und wir haben nie bestritten, dass dann, wenn das dann auf dem Weg ist und technologisch gelöst ist, dass das dann auch das Ende der Kohleverstromung in Deutschland bekommt.
    Im Moment, Frau Heuer, steht ja erst mal das Ende der Kernenergienutzung an, das ist noch gar nicht abgeschlossen. Wir überschlagen uns ein wenig in den Ausstiegsforderungen.
    "Energiewende könnte schneller gehen"
    Heuer: Ja ... Ja. Jetzt reden Sie viel über Versorgungssicherheit und Arbeitsplätze, ein anderer Pfeiler – den erwähnen Sie auch – ist der Klimaschutz. Wenn wir bis Mitte des Jahrhunderts noch weiter Kohle verstromen, dann ist das deutsche Klimaschutzziel nicht zu halten.
    Vassiliadis: Das stimmt. Deswegen sollten wir uns ja auch konzentrieren auf die Lösung dieser offenen Punkte und beispielsweise Herrn Seehofer überzeugen, dass er seine Leitungen bauen soll. Was ich sage, ist ja: Wenn wir uns auf das Richtige konzentrieren, können wir schneller sein und können das Klimaziel auch erreichen.
    Das Zweite ist: Ich habe ja große Hoffnung auf Paris, dass endlich ein Schritt nach vorne geht, dass nämlich die Welt selber sich engagierter auch dem deutschen Pfad anschließt. Wenn das gelingt, diese beiden Kombinationen, die deutsche Energiewende besser gemanagt wird und gleichzeitig international verbindliche und einzuhaltende Ziele formuliert werden, dann kann im Übrigen der Klimaschutz weltweit und wirklich einen Schritt nach vorne gehen. Noch sind wir ein wichtiges Vorbild, aber eben auch nur ein Vorbild. Und das muss sich ändern.
    Heuer: Sie sagen, man soll sich auf das Richtige konzentrieren. Dann tun Sie das doch! Die Industrie kann doch selbst den Prozess lenken, indem sie jetzt alte Braunkohlekraftwerke abstellt und mehr auf moderne Steinkohle und auf Gaskraftwerke setzt! Warum machen Sie das denn nicht längst?
    Vassiliadis: Ja, es gibt einen einzigen Grund, warum das sozusagen auch von der Industrie so leicht nicht angegangen wird. Und das ist etwas, was in der Öffentlichkeit leider wenig Sensitivität ... Das ist der Preis! Also, wenn Sie sich mal die USA anschauen, die motten gerade ihre Steinkohlekraftwerke und die Kohlekraftwerke ein und werden übrigens dafür bejubelt. Warum tun die das? Die tun das, weil sie sehr viel billigeres Gas haben. Und das switchen die um.
    In Deutschland ist es leider genau andersherum: Das Gas, was wir einsetzen wollen und können – tun wir ja auch –, ist nicht billiger als die Kohle, sondern siebenmal teurer.
    Heuer: Ist das der Grund, weshalb so viel Kohle exportiert wird? So viel Kohlestrom?
    Vassiliadis: Ja, der Kohlestrom wird exportiert deshalb, weil die Energiewende natürlich die Unternehmen, die diese Kraftwerke betreiben, so unter Druck setzt, dass sie das tun, was viele Unternehmen auch in anderen Bereichen tun: Sie verkaufen eben Produkt ins Ausland. Das heißt, sie produzieren Strom und versuchen noch irgendwo, den noch loszuwerden.
    Heuer: Also, für die Versorgungssicherheit brauchen wir die Kohle schon mal nicht unbedingt?
    Vassiliadis: Ja, das kommt drauf an, zu welcher Tages- Nacht- und Wetterlage Sie das sagen. Es stimmt, im Schnitt haben wir Überkapazitäten, das bestreitet ja auch niemand, die stehen nur nicht immer zur Verfügung. Und deshalb ist es der Wesenszug der Erneuerbaren – deswegen sprach ich von den Speichern –, wenn wir das lösen, also wenn wir sozusagen die Grundlastfähigkeit, wie man das nennt, die ständige Verfügbarkeit des Stroms, der Erneuerbaren realisieren können, dann ist für den ganzen konventionellen Part nicht mehr die Notwendigkeit gegeben, die wir heute unterstellen. Also, bei der Braunkohle ist es auch eine Preisfrage, es ist in Deutschland sehr, sehr günstig, darauf liegen ja schon CO2-Abgaben.
    Der europäische Emissionshandel liegt ja auf diesen Kraftwerken. Und uns geht es ja nur darum – wir haben ja selber jetzt einen Vorschlag gemacht –, wie wir das Klimaziel 2020 erreichen können. Dabei werden auch Braunkohle- und Steinkohlekraftwerke in die Reserve genommen und dann abgeschaltet. Allerdings in einem Prozess, der geordnet ist und der den Unternehmen ermöglicht, dass wir auch die damit zusammenhängenden Beschäftigungsthemen lösen können. Das heißt, es verweigert sich niemand. Es ist eine Frage, wie fundamental man da herangeht und ob man dabei auch eben Verhältnismäßigkeiten wahrt.
    Heuer: Also, Sigmar Gabriel, der SPD-Chef und Vizekanzler, garantiert keinen geordneten Prozess?
    Vassiliadis: Ja, wir haben ja mit ihm darüber gesprochen, dass diese Maßnahme der CO2-Abgabe – darum geht es ja –, dass das dazu führen wird, dass Kraftwerke sozusagen aus dem Markt gedrängt werden, die restlichen Kraftwerke, und zwar ungeordnet, die restlichen Kraftwerke die Kosten der Tagebauer nicht tragen können und damit sozusagen die ganze Kette dabei umfällt. Das haben wir ihm, glaube ich, klargemacht, mit den realen Zahlen der Unternehmen und nicht nur mit Modellannahmen.
    Und deshalb suchen wir jetzt nach Alternativen. Wir haben selbst einen Vorschlag vorgelegt, das war so eine Forderung, die leben jetzt noch nebeneinander. Ich hoffe, dass wir uns mit unserem Vorschlag, der investiv ist, der in verschiedenen Bereichen ansetzt, KWK, Kraft-Wärme-Kopplung auszubauen, die Nutzung der Wärme ist sinnvoll, Kraftwerke der Braun- und Steinkohle vor allen Dingen in die Reserve zu schicken und dann stillzulegen und ein Programm, die Heizungen in Deutschland, die eben einen großen Investitionsstau haben und eine Menge, Menge CO2 produzieren, was nicht sein muss, mit einem Förderprogramm nach vorne zu bringen. Alles zusammen ist weit mehr als die geforderten 22 Millionen Tonnen, also, da können wir was machen!
    "Billig ist gar nichts in der Energiewende"
    Heuer: Herr Vassiliadis, nur, die Kohleabgabe, die würde die Industrie bezahlen. Wer soll denn Ihre Alternativvorschläge bezahlen? Das wäre dann der Bürger?
    Vassiliadis: Die würde nicht die Industrie bezahlen, die Industrie würde ihre Kraftwerke stilllegen. Bezahlen würden das die Bürger, weil dann andere Kraftwerke, teurere Kraftwerke den Preis bestimmen würden.
    Also, bezahlen tun das die Bürger. Hier geht es darum, dass wir auch Herrn Schäuble in die Pflicht nehmen wollen, also, gerade dieses letztgenannte Investitionsprogramm braucht auch Steuergelder und nicht nur das Geld der Stromkunden. Die Kapazitätsreserve bedeutet, dass der Übergangspfad natürlich auch bezahlt werden muss, das ist aber darstellbar, jedenfalls deutlich günstiger als der Effekt der Klimaabgabe. Insgesamt ist das Programm wirkungsvoll, das wir vorgelegt haben, und billiger. Billig ist gar nichts in der Energiewende, aber billiger.
    "Die Energiewende braucht Investitionen"
    Heuer: Wenn es so billig ist, sagt Schäuble jetzt schon mal, okay, mache ich mit?
    Vassiliadis: Ja, das haben wir ja in den letzten Monaten immer wieder erlebt, dass er da nicht gerade, sagen wir mal, ansprechbar ist, aber darüber muss man streiten auch. Auch das gehört dazu. Eins geht nicht, die Politik bestellt die Ziele und anschließend geht sie aus der Verantwortung und zahlt nicht. Das kann man nicht machen, sondern die Energiewende braucht Investitionen und da muss auch Herr Schäuble mitmachen.
    "Seehofers Kampf gegen Stromtrasse ist absurd"
    Heuer: Sie haben für die Energiewende aus einem Guss und gegen Partikularinteressen plädiert, Herr Vassiliadis. Jetzt lassen wir mal die Einzelinteressen der Energieversorger beiseite, haben wir jetzt lange genug drüber gesprochen! Ganz zum Schluss: Wie finden Sie Horst Seehofers Kampf gegen die Südtrasse in Bayern?
    Vassiliadis: Absurd. Weil, Herr Seehofer wird sich fragen lassen müssen, wie er eigentlich die Energiewende in Deutschland voranbringen will, aber auch in Bayern lösen will. Bayern hat aus meiner Sicht das größte Problem, wenn die weiterhin laufenden Kernkraftwerke bis 2022 abgeschaltet werden, hat Bayern ein Versorgungsproblem. Und deswegen ist dieser Versuch, diese Trassen ständig abzulehnen oder zu verlegen, aus meiner Sicht absurd.
    Heuer: Michael Vassiliadis, Vorsitzender der Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie. Herr Vassiliadis, haben Sie Dank fürs Interview!
    Vassiliadis: Herzlichen Dank, Frau Heuer!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.