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Kohlendioxid-Abgase
Höhere CO2-Steuer als Hilfsmittel gegen Klimawandel

Die Besteuerung von Kohlendioxid ist keine neue Idee. Die EU betreibt den sogenannten Emissionshandel bereits seit 2005. Pro Tonne CO2 erzielt sie dabei aber bislang nur etwa 5 Euro. Um den Klimawandel effektiver zu bekämpfen, müssten deshalb, so meinen prominente Ökonomen, deutlich höhere Steuern auf CO2-Abgase anfallen.

Jule Reimer im Gespräch mit Susanne Kuhlmann | 30.05.2017
    Braunkohlekraftwerk Niederaußem
    Wirtschaftsfachleute fordern eine Steuer von 90 Euro pro CO2-Tonne bis zum Jahr 2030. (picture alliance / Federico Gambarini/dpa)
    Susanne Kuhlmann: 17 Euro - das war der Preis, den die Bundesregierung für eine Tonne CO2 veranschlagte. 2011 war das, als in Deutschland die Energiewende ausgerufen wurde. Tatsächlich wird seit Jahren für die Verschmutzungszertifikate, die die Europäische Union verkauft, nicht mal ein Drittel davon erzielt: im Durchschnitt nur rund 5 Euro.
    Aber: Ohne CO2-Besteuerung wird die Klimaerwärmung auf keinen Fall zu bremsen sein, das sagt eine Kommission aus 13 Ökonomen von Weltrang. Zusammen mit der Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds und der französischen Regierung haben die Wirtschaftswissenschaftler analysiert, wie hoch der Verbrauch von Kohle, Erdöl und Gas besteuert werden müsste, um dem Klimawandel entgegenzuwirken. Frage an meine Kollegin Jule Reimer: Wie teuer sollte denn jede Tonne CO2 sein, die in der Atmosphäre landet?
    Experten fordern: Eine Steuer von 90 Euro auf jede Tonne Kohlendioxid
    Jule Reimer: Das Klimaschutzabkommen von Paris sagt: die durchschnittliche Temperatur auf der Erde darf im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter maximal 2 Grad steigen. Entsprechend muss die Menge CO2 begrenzt werden, die noch in die Atmosphäre entlassen wird. Um dies zu erreichen, soll – so die Wirtschaftswissenschaftler – jede Tonne CO2 im Jahr mit 35 bis 70 Euro belegt werden, und zwar bis 2020. Danach muss dieser Betrag bis 2030 sogar auf bis zu 90 Euro steigen. Und Regierungen und Unternehmen sollten diese Preise berücksichtigen, wenn sie Investitionsentscheidungen treffen.
    Kuhlmann: Wie positionieren sich die Wirtschaftswissenschaftler, die am Wochenende auch verfolgen konnten, wie sich US-Präsident Trump beim Thema Klimaschutz verhält?
    Reimer: Es handelt sich um sehr prominente Persönlichkeiten, unter anderem Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz und Sir Nicholas Stern von der London School of Economics, die gestern in Berlin im Rahmen einer G20-Wissenschaftlerkonferenz ihr Konzept vorgestellt haben. Letzterer hat 2006 im Auftrag der britischen Regierung den Stern-Bericht verfasst, in dem er errechnete, dass die Kosten des Nichtstuns um ein Vielfaches höher ausfallen als die Kosten für die Maßnahmen, um eine gravierende Klimaerwärmung zu verhindern.
    Alle 13 Experten betonen, der Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas sei die einzige Möglichkeit, Wirtschaftswachstum zu sichern. Schon jetzt gebe es viel mehr Jobs im Bereich der Erneuerbaren Energien als in der Kohleindustrie. Je nach Weltregion sind Erneuerbare Energien genauso billig oder billiger als fossile Energiesysteme. Und die Wissenschaftler weisen auf die beträchtlichen "wahren" Kosten der Fossilen hin: Leckende Pipelines verseuchen Wasserreservoirs, durch den Smog in Indien, in China entstehen hohe Gesundheitskosten etc. Sie halten Kohle, Erdöl und Gas nur noch für konkurrenzfähig, weil sie häufig staatlich gefördert werden. Und sie fordern, diese Subventionen einzustellen.
    Kuhlmann: Wie praxistauglich ist das Konzept?
    CO-Steuern brachten 2016 bereits 26 Milliarden Dollar an staattlichen Einnahmen ein
    Reimer: 2016 nahmen Staaten und Regionen über CO2-Steuern bereits 26 Milliarden Dollar ein. Stiglitz, Stern und ihre Kolleginnen haben sich existierende Besteuerungssysteme angeguckt, z. B. den Emissionshandel in der EU. Das sei ein guter Ansatz. Allerdings sind zu viele Zertifikate auf dem Markt, viele wurden an Energieversorger und Industrie zudem kostenlos ausgegeben. Deshalb ist der Preis schon länger bei den genannten, niedrigen 5 Euro pro Tonne. Es gibt außerdem Länder, die Benzin und Diesel variabel besteuern: Wenn der Ölpreis fällt, dann steigt die Steuer und umgekehrt.
    Will eine Regierung erfolgreich Subventionen kürzen, dann muss sie den Zeitpunkt klug wählen, denn häufig kommt es zu Protesten und Aufständen, wenn Busfahren und Benzin teurer wird – obwohl von diesen Subventionen vorwiegend die Mittel- und Oberschichten profitieren. Indien hat deshalb in Zeiten des niedrigen Ölpreises die staatlichen Subventionen gekürzt. Und Mexiko hat die Kürzungen mit einer klugen – an anderer Stelle entlastenden – Steuerreform kombiniert.
    Tatsache ist aber, dass bislang noch 85 Prozent aller CO2-Emissionen weltweit kostenlos in die Atmosphäre geblasen werden. Dort wo besteuert wird, liegt der Tonnenpreis meist unter 10 Euro.
    Kuhlmann: Wo in der Welt werden die Vorschläge der Wirtschaftswissenschaftler auf offene Ohren stoßen, und wo nicht?
    Reimer: Offene Ohren gibt es beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Der fordert schon länger weltweit einen Preis auf CO2, weil er sich überall die gleichen Wettbewerbsbedingungen wünscht. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks hatte sich ihrerseits für eine deutliche Mengenkürzung der EU-Emissionszertifikate eingesetzt und sie ist damit am Widerstand des Wirtschaftsrates der CDU gescheitert. Derzeit beraten in Brüssel die EU-Mitgliedsstaaten darüber, ob wenigstens ein Teil der überschüssigen Zertifikate vom Markt genommen werden. Gleichzeitig warnt die europäische Stahlindustrie in einem Brandbrief davor, auf diesem Weg Jobs zu gefährden.
    Vorteil für Entwicklungsländer: Sie könnten Geld einnehmen und in umweltfreundliche Infrastruktur investieren
    Für Entwicklungsländer mit unvollständiger Infrastruktur seien die Vorschläge besonders interessant, erklärte in Berlin auf der Konferenz der G20-Denkfabriken die Wirtschaftsprofessorin und frühere Handelsministerin Indonesiens, Mari Pangestu. Mit der Besteuerung von CO2 können sie zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Sie nehmen Geld ein und statt die Infrastruktur klassisch auf der Basis fossiler Energien weiter auszubauen, setzen sie von vorne herein auf Sonnen- und Windenergie und umweltfreundlichen Ausbau des öffentlichen Transportwesens.
    Ein offenes Ohr hat auch der Direktor für Klimawandel bei der Weltbank, John Roome. Er gab gestern bekannt, dass die Weltbank bei neuen Projekten mit Öl, Kohle oder Gas künftig auch die CO2-Emissionen einrechnen wird - pro Tonne CO2 werden dann 2020 mindestens 45 Euro auf die Kostenkalkulation aufschlagen. Damit könnten selbst Projekte mit dem als weniger klimaschädlich bewerteten Gas ihre Kreditwürdigkeit verlieren.
    Kuhlmann: Welchen Rang hat Deutschland im Nachhaltigkeitswettbewerb?
    Reimer: Die Bundesregierung hat die Wissenschaftler aus den G20-Staaten explizit aufgefordert, Ideen für eine nachhaltige Entwicklung auszutauschen und würde diese Art von Politikberatung gerne zur G20-Regel machen. Folglich bewertet das vom UN-Generalsekretär initiierte Sustainable Development Solutions Network (SDSN) die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie als gut, allerdings bemängelt das Wissenschaftlernetz eine mangelnde Umsetzung. So hat die Bundesregierung immer noch kein Konzept für den Braunkohleausstieg vorgelegt.
    Nächster Markstein werden der Koalitionsvertrag der nächsten Bundesregierung – egal welcher Couleur – und die Frage sein, ob darin tatsächlich konkrete Maßnahmen zur Umsetzung der Nachhaltigkeits-Agenda 2030 enthalten sind.