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Kokablätter für die Berggötter
Religiöse Rituale gegen den Klimawandel

Für die Menschen in der südperuanischen Region Apurímac, die hauptsächlich von der Landwirtschaft leben, sind ihr Glaube und ihre Rituale fundamental - auch um mit extremen Wetterereignissen fertig zu werden.

Von Tini von Poser | 24.09.2014
    Drei Mädchen in traditionellen Gewändern und Hüten posieren während der Kartoffelernte für Fotos
    Drei Mädchen während der Kartoffelernte in der Region Apurímac. (AFP / Ernesto Benavides)
    "Es ist ein kleines Ritual, das wir hier immer machen. Wir kennen es noch von unseren Großeltern. In diesem Ritual senden wir Gebete an die Pachamama, die Mutter Erde, und an die Apus, die Berggötter. Wir hoffen, Gott so gnädig zu stimmen, damit die Kartoffeln eine bessere Qualität haben und die Ernte ertragreicher ist. Wir beginnen jeden Tag mit diesem Ritual."
    Enrique Cruz, seine Frau und einige Erntehelfer haben einen Kreis gebildet um eine dampfende Rauchwolke, die aus dem Boden steigt. In ihrem Kartoffelfeld - mitten in der malerischen Berglandschaft der südperuanischen Region Apurímac - haben sie ein Loch gegraben. Darin verbrennen sie Kokablätter, Zigaretten und Süßigkeiten. Beim Gebet beträufeln sie ein Häufchen Kartoffeln in verschiedenen Farben und Größen mit Wein.
    "Wir sind katholisch. Wie unsere Großeltern glauben wir, dass Gott einzigartig ist, dass er Wasser in Wein verwandelt. Er sagt: 'Trink, das ist mein Blut.' Wir setzen diese Rituale unserer Vorfahren fort, die wir Gott weihen."
    In der Region Apurímac wohnt fast ausschließlich die indigene Bevölkerung der Quechua. Die Mehrheit bezeichnet sich, wie Enrique Cruz, als katholisch. Zu ihrem Glauben gehören für sie aber auch die uralten andinen Rituale. Tarcila Rivera Zea arbeitet für Chirapaq, eine lokale Partnerorganisation von "Brot für die Welt", die sich in Peru für die Rechte der indigenen Bevölkerung einsetzt. Sie selbst ist auch Quechua:
    "Das fließt zusammen, das Katholische und das Indigene. Wir haben beides angenommen, auch aus strategischen Überlegungen und um zu überleben. Denn in der Zeit der Eroberung durch die Spanier wurden unsere indigenen Priester verfolgt und getötet. Letzten Endes haben wir die katholische Religion angenommen. Wenn wir der Erde unsere Opfergaben darbieten, beten wir zu Gott, der aber gleichzeitig den Berggott repräsentiert. Und wenn wir zur Jungfrau Maria beten, repräsentiert sie die Bergmutter oder die Mutter Erde."
    Hilfe gegen den Klimawandel
    In seinen Ritualen bittet Enrique Cruz den Berggott und die Mutter Erde auch um Hilfe im Kampf gegen den Klimawandel. Denn der ist in Peru seit einigen Jahren deutlich zu spüren.
    "Die Ernte fällt schlechter aus. Dieses Jahr gab es Trockenheit oder zu starke Regenfälle. Und der Regen ist nicht wie früher, es ist ein saurer Regen."
    Dass die Wetterextreme zunehmen, beobachtet auch Sinforoso Ataucuri, ein Bauer, der sein Landstück in der Nähe von Enrique Cruz hat.
    "Früher, als ich acht oder neun Jahre alt war, haben meine Eltern viel größere Mengen geerntet. Die Pflanzen wurden damals noch nicht krank. Heute bauen wir mehr an, aber ernten weniger. Unsere Pflanzen werden nun von Schädlingen befallen, das gab es früher nicht."
    Auch plötzlich auftretender heftiger Hagel zerstöre seit einigen Jahren immer wieder die Ernten, beobachtet Sinforoso. Durch Opfergaben versucht er, die Mutter Erde gnädig zu stimmen:
    "Die Mutter Erde ist für uns lebendig. Wenn sie nicht lebendig wäre, würde sie nichts hervorbringen. Wir veranstalten auch Festivals, bei denen sich die Bewohner der umliegenden Dörfer versammeln, Frauen, Kinder, einfach alle. Das feiern wir im September. Wozu? Damit mehr Regen fällt. Dafür veranstalten wir die Feier."
    "Man bringt uns letztlich allmählich um"
    Einen Grund zum Feiern gibt es in den Dörfern von Apurímac immer. Schüler führen Tänze in prächtigen Trachten auf. Die Mädchen tragen bestickte knielange Röcke, Hüte sitzen auf ihren langen Zöpfen, die Jungen tragen zusätzlich zu den Hüten bestickte Umhänge und Stiefel mit Rasseln. Zwischen den Tänzen bringen sie Opfergaben dar, verbrennen Kokablätter und Süßigkeiten. Eine Rauchsäule steigt in den Himmel. Die Rituale und die Tänze helfen, davon ist Sinforoso überzeugt:
    "Ja, zum Beispiel im vergangenen Jahr war Gott uns gnädig bei der ersten Ernte: Die erste Mais-Saat trug Früchte. Die zweite Ernte war dann allerdings schlecht, weil ein plötzlicher Frost die Pflanzen zerstörte. Und jetzt, bei der letzten Ernte, hat der Frost alles vernichtet: den Mais, die Kartoffeln, alle Feldfrüchte."
    Tarcila Rivera Zea von der Organisation Chirapaq versucht, aufzuklären:
    "Was den Klimawandel angeht, müssen wir unseren Leuten beibringen, dass der nicht nur eine Strafe der Mutter Natur ist, sondern ein Werk anderer, die die Umwelt verpesten. Viele denken, es sei eine Strafe der Natur, also von Gott. Sie wissen nicht, dass es daher rührt, dass etwa die Chinesen die Luft verschmutzen."
    Nicht so Bauer Enrique Cruz. Er weiß schon seit Langem, dass der Klimawandel nicht das Werk Gottes ist:
    "Es liegt an der Umweltverschmutzung, Tag für Tag werden Gase in die Luft gestoßen. Und zwar von den großen Fabriken in Europa, in den USA, in China. Ich bin sehr wütend und sehr enttäuscht. Es ist traurig. Wir, die wir hier leben von diesem Anbau, unsere Kinder, unsere Familien, die Generation unserer Enkel, wie werden sie leben? Man bringt uns letztlich allmählich um."