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Kollateralschaden im Libanon

Die Wirtschaft Syriens liegt nach über einem Jahr Bürgerkrieg am Boden. Auch die Ökonomie des Nachbarlandes Libanon ist massiv betroffen. Der Tourismus liegt am Boden und auch das Baugeschäft und die Agrafwirtschaft erleben einen deutlichen Niedergang.

Von Björn Blaschke | 13.10.2012
    Hamra – das traditionsreichste Einkaufsviertel Beiruts. Auf den ersten Blick wirkt es so wie immer: Teure Autos parken vor teuren Geschäften; teuer gekleidete Damen und Herren gehen teuer einkaufen ... Aber auch wenn in Hamra und anderen Vierteln Beiruts nach wie vor Käufer teurer Konsumgüter ihren Luxusbedürfnissen nachgehen, steht eines fest: Die Wirtschaft Libanons leidet wegen des Bürgerkrieges in Syrien unter einer der schwersten Krisen seit Jahren – in allen Bereichen. Zum Beispiel im wichtigsten Sektor des Landes: Tourismus.

    Reem, die ein Reisebüro in Hamra betreibt, sagt, dass sie kaum mehr inner-libanesische Reisepakete verkaufe. Und:

    "Mein Mann arbeitet im Hotel-Business: Es gibt keine Gäste mehr vom Golf; vielleicht noch ein Prozent der Touristenzahl vom vergangenen Jahr. Und das sind Leute, die in Beirut Verwandte haben."

    Die Gäste vom Golf ... - aus Saudi-Arabien, Kuwait, Katar, Bahrain und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Im vergangenen Sommer machten sie noch fast eine Million aus; sie genossen die Restaurants, Bars und Clubs; gingen shoppen oder entspannten sich in den kühlen Bergen Libanons - und suchten nebenbei nach Immobilien oder Investitionsmöglichkeiten. Zahlungskräftig wie sie sind, brachten sie das meiste Geld ins Land. In diesem Jahr riss das ab. Ein Problem ist, dass Libanons großer Nachbar Syrien die einzige Landverbindung zu den anderen arabischen Staaten darstellt. Die etwa 300.000 Libanon-Reisenden, die im Sommer 2011 noch mit dem eigenen Auto aus ihren Heimatländern nach Libanon kamen, blieben diesen Sommer weg, weil ihnen der Weg durch Syrien zu gefährlich war. Aber auch Golf-Araber, die 2011 per Flugzeug angereist waren, mieden Libanon in diesem Jahr.

    Das trifft zum Beispiel Abdallah, der in Beirut eine Autovermietung betreibt. Er beklagt einen 80-prozentigen Kundenrückgang:

    "Die meisten Touristen, die bei uns Kunden sind, kommen aus den Golfstaaten. Und jetzt haben sie Angst. Denn wenn hier etwas passiert, können sie nicht weg: Als 2006 der Krieg mit Israel begann, und der Flughafen plötzlich gesperrt war, konnten sie über Syrien fliehen. Das ginge jetzt nicht mehr. Wegen des Bürgerkrieges da. Und die Golfaraber haben Angst davor, dass sich der Bürgerkrieg in Syrien auf Libanon ausweitet. So wie es ja schon Kämpfe gibt im Norden."

    Im Norden, in Tripoli und Umgebung kommt es immer wieder zu Gefechten. Auf der einen Seite stehen Libanesen, die wie Syriens Diktator Baschar al-Assad der ursprünglich schiitischen Religionsgemeinschaft der Alawiten angehören. Auf der anderen Seite stehen Libanesen, die wie das Gros der Untergrundkämpfer Syriens Sunniten sind. Es ist jedoch nicht wegzureden, dass der Diktator Assad auch in den anderen Landesteilen Libanons Feinde hat - und Freunde. Die verschleppten im Sommer neben mehreren syrischen Assad-Gegnern auch zwei Türken und einen Kuwaiti. Zwar kamen die Ausländer wieder frei und die Entführer vor Gericht. Trotzdem erließen alle Golf-Monarchen – die Saudi-Arabiens, Katars, Bahrains, Kuwaits und der Vereinigten Arabischen Emirate – eine Reisewarnung für Libanon und forderten ihre Landsleute dazu auf, das Land unverzüglich zu verlassen. Fürsorgepflicht? – Der Tourismus-Minister der Regierung in Beirut sagt "nein". Fadi Aboud:

    "Das hat nichts mit Sicherheit zu tun; das ist hundertprozentig rein politisch! Sie versuchen Druck auf Libanon auszuüben – sie wollen, dass wir Position beziehen zu dem, was in Syrien passiert. Und wir glauben, dass wir dass nicht tun sollten. Wir müssen abwarten, was passiert, und nicht eine Seite gegen die andere unterstützen. Libanon ist zu klein, als dass es sich einmischen sollte in das, was in Syrien passiert."

    Demonstrative Neutralität?! - Fadi Aboud steht in gewisser Weise der Hisbollah nahe, die die libanesische Regierung dominiert. Und die Hisbollah hat Männer, die erwiesenermaßen auf Seiten des syrischen Regimes kämpfen – mit Unterstützung aus Iran. Dieser Achse geriert sich selbst als letzte Bastion des Widerstandes gegen Israel. Die Golf-Monarchen, die selbst allesamt sunnitisch sind, sehen in ihr dagegen eine bedrohliche Achse der Schiiten; deren Gegner zu unterstützen seien. Möglicherweise boykottieren sie Libanon deshalb mit politisch motivierten Reisewarnungen ... ?! - Tourismus-Minister Fadi Aboud behauptet genau das – und erklärt:

    "Wir sagen erstens, dass das, was sie machen nicht fair ist. Und (zweitens) appelliere ich an die Menschen wieder zu kommen. Alles, was sie über die Sicherheit hier hören, ist ... wenn man Beirut mit anderen Weltstädten vergleicht, ist es hier gar nicht übel. Man sollte nicht alles glauben, was gesagt wird."

    Reem, die in Beiruts Stadtteil Hamra ein Reisebüro betreibt, wirft dem Tourismus-Minister vor, er und die anderen Regierungsmitglieder Libanons leisteten nicht genug, um das Land attraktiv zu machen:

    "Sie sollten mehr Marketing machen – Werbung – damit wieder Touristen kommen. "

    Fadi Aboud hält dem entgegen:

    "Es stimmt nicht, dass wir nicht genug machen: Wir haben eine Million Euro ausgegeben für Werbung während der olympischen Spiele, wir haben CNN bezahlt für Werbung, wir haben einen Film produzieren lassen – mit dem Namen "Der Geschmack Libanons", der in vielen Kultursendern Europas gelaufen ist. Wir konzentrieren uns jetzt ernsthaft auf Europa, Russland und Südamerika. Ein Problem mit Europa sind die Ticket-Preise: Ein Ticket von Deutschland nach Zypern, das nur ein paar Kilometer von Libanon entfernt ist, kostet nur einen Bruchteil dessen, was ein Ticket nach Beirut kostet. Weil alles Linienflüge sind. Also, ich arbeite daran, dass auch Charter-Flüge hierherkommen, was für Reisende der Mittelklasse aus Europa attraktiv sein könnte."

    Verlorene Liebesmüh – sagen Kritiker. Libanon werde wegen seiner stolzen Preise und der angespannten Situation auf absehbare Zeit wenig mehr Europäer anziehen als heute. Auch der Wirtschaftswissenschaftler Haytham Tabesh sieht es so – und ergänzt:

    "Wir können außerdem einen Niedergang des Baugeschäfts feststellen. Investoren sind sehr zurückhaltend, wenn es um den Beginn neuer Projekte geht."

    Wiederum waren es die Golf-Araber, die vom Bau-Boom in Libanon profitierten: Erst nach dem Bürgerkrieg, der 1990 nach fünfzehn Jahren endete, dann nach dem Krieg mit Israel 2006. Und auf die Bau-Wirtschaft setzten auch viele finanzkräftige Libanesen; sie ließen in Kooperation mit Investoren vom Golf Beirut erstrahlen – mit einem neuen Stadtzentrum, einem modernen Flughafen, einer schicken Sport-Stadt oder vielen mondänen Bankhäusern. Die trifft der Bürgerkrieg in Syrien ebenfalls:

    "Die instabile Situation hier hat auch noch einen anderen Effekt: Auf den Kapitalfluss aus der Golf-Region. Libanesen, die in den Golfstaaten arbeiten, überweisen ihr Geld nicht mehr auf libanesische Banken, weil sie Angst haben, dass hier etwas passiert."

    Dabei ist Libanon ein Staat, dessen Wirtschaft auch davon abhängig ist, dass Auslandslibanesen Geld in ihre alte Heimat überweisen, damit die Banken damit arbeiten - oder damit Verwandte es ausgeben. Insbesondere die, die aus ländlichen Gegenden stammen: Seit den 70er-Jahren floss in den Ausbau der libanesischen Agrarwirtschaft kaum mehr ein Cent. Weshalb manche Kleinbauern oder deren Kinder ihr Glück woanders suchten: Die Bauern, die blieben, trifft der Bürgerkrieg in Syrien doppelt hart: Sie sind von ihrem Hauptabsatzmarkt abgeschnitten: Ein Großteil libanesischen Obstes und Gemüses wurde nämlich immer auf dem Landweg durch Syrien in die arabischen Golf-Staaten geliefert. Und die, denen früher noch Verwandte Geld geschickt hatten, müssen nun auch noch oft auf diese Unterstützung verzichten ... Der Wirtschaftswissenschaftler Haytham Tabesh macht der Führung Libanons wegen all dieser Entwicklungen Vorwürfe:

    "Die Regierung hat nicht geholfen, um die Wirtschaft anzukurbeln: Sie haben stattdessen die Gehälter im öffentlichen Dienst angehoben – und erwägen das noch weiter zu tun. Und - um diese Ausgaben bezahlen zu können – müssen die Bürger demnächst mehr Steuern zahlen."

    Auch deshalb sehen internationale Ratingagenturen und Investment-Banken die wirtschaftliche Entwicklung des Landes höchst pessimistisch, weshalb selbstverständlich auch kaum ein westlicher Konzern in Libanon investieren will. Im Mittleren Osten ist Libanon ökonomisch wahrscheinlich am schwersten getroffen von dem Bürgerkrieg, der nun schon seit Monaten in Syrien tobt.