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Kolumbianische Armensiedlung erwartet Papst Franziskus
Schwarz zu sein, bedeutet arm zu sein

Papst Franziskus ist seit Mittwoch in Kolumbien, wo er im Friedensprozesses mit der entwaffneten FARC-Guerilla für Versöhnung wirbt. Letzte Station seiner Reise ist die Stadt Cartagena de Indias. Dort ist es vor allem die benachteiligte schwarze Bevölkerung, die sich vom Papst Worte und Gesten der Unterstützung erhofft.

Von Victoria Eglau | 09.09.2017
    Ein Bewohner des Armenviertels San Francisco in Cartagena in Kolumbien
    Ein Bewohner des Armenviertels San Francisco in Cartagena in Kolumbien (Deutschlandradio / Victoria Eglau)
    Im Elendsviertel San Francisco ist donnernder Flugzeuglärm allgegenwärtig: Die staubige Siedlung, an deren Rändern sich Abfall türmt, befindet sich direkt am Flughafen von Cartagena. Wo jedes Jahr Hunderttausende von Touristen landen, wird auch Papst Franziskus morgen eintreffen. In das Viertel, das seinen Namen trägt, hat er es dann nicht weit.
    "Ich bin sehr froh, dass der Papst uns besucht. Cartagena ist eine Touristenstadt, aber auch eine der ärmsten Städte in Kolumbien. Wir sind glücklich, dass der Papst uns segnen wird, dass er uns kennenlernen will."
    Ein Ort zum Schutz vor Gewalt und Drogen
    Dayanis Zabaleta gehört mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern zu den rund 50.000 Bewohnern des Armenviertels San Francisco. Die Teenagerin treffe ich in der katholischen Einrichtung Talitha Qum, in die jeden Nachmittag rund siebzig Mädchen kommen – ausnahmslos Afrokolumbianerinnen.
    Das Zentrum, das Franziskus besuchen wird, hat vor drei Jahren das Erzbistum Cartagena ins Leben gerufen. Es will ein Ort sein, an dem die Mädchen zwischen neun und 17 Jahren geschützt sind vor Gewalt, Drogen, sexuellem Missbrauch und zu frühen Schwangerschaften. Geleitet wird Talitha Qum von der engagierten Ordensschwester Blanca Nubia López:
    "San Francisco ist ein Viertel mit schwerwiegenden Problemen: Prostitution, Gewalt in den Familien, Drogenkonsum. Wir haben hier Jugendbanden, die gegeneinander Krieg führen. Und viele Kinder und Jugendliche gehen nicht zur Schule. Bei uns in Talitha Qum sollen die Mädchen eine andere Realität erleben als in ihrem Viertel."
    Mädchen aus dem Armenviertel San Francisco in Cartagena im Zentrum Talitha Qum der katholischen Kirche
    Mädchen aus dem Armenviertel San Francisco in Cartagena im Zentrum Talitha Qum der katholischen Kirche (Deutschlandradio / Victoria Eglau)
    Dayanis Zabaleta kommt in das Sozialprojekt, seit dieses gegründet wurde. Aufgewachsen ist sie ohne Vater. Die meisten Mädchen aus der Siedlung haben alleinerziehende Mütter. Manche Frauen arbeiten, wie die Mutter von Dayanis, andere leben von der Prostitution.
    Ohne Bildung keine Zukunftsperspektive
    "In dieser Einrichtung lernen wir, unseren eigenen Körper zu respektieren und nicht zu erlauben, dass unsere Rechte verletzt werden. Wir bekommen hier auch Unterstützung dabei, unsere Zukunft zu planen. Ich möchte Tourismus studieren", erzählt Dayanis. Schwester Blanca Nubia López wird nicht müde, die Mädchen zu ermutigen: Bürgermeisterinnen, ja Präsidentinnen könnten sie werden oder gar Karriere in der UNO machen. Bildung ist in der Einrichtung Talitha Qum, die vom deutschen Lateinamerika-Hilfswerk "Adveniat" unterstützt wird, das A und O. Der Pfarrer von San Francisco und Caritas-Direktor Elkin Acevedo:
    "Schwarz zu sein, bedeutet in Kolumbien nicht nur oft, arm zu sein, sondern auch, geringe Bildungschancen zu haben. Unser Ziel ist, dass die Mädchen die Schule auf keinen Fall verlassen. Denn ohne Bildung haben sie keine Zukunftsperspektiven, und damit ist Armut vorprogrammiert."
    Lehrerin, das wäre ein sozialer Aufstieg
    Es gibt kleine Erfolgsgeschichten: Eine Teilnehmerin des Talitha Qum-Projekts hat Abitur gemacht und besucht nun Englischkurse. Vielleicht wird sie eines Tages als Lehrerin arbeiten – es wäre ein enormer sozialer Aufstieg für ein Mädchen aus dem armen Cartagena.
    Mädchen im Zentrum Talitha Qum im Stadtteil San Francisco in Cartagena und Leiterin Blanca Nubia Lopez
    Mädchen im Zentrum Talitha Qum im Stadtteil San Francisco in Cartagena und Leiterin Blanca Nubia Lopez (Deutschlandradio / Victoria Eglau)
    "Wer sind in Cartagena die Straßenhändler, die Hausangestellten, wer sind die Menschen, die gerade so überleben? Die Schwarzen! Und wer ist an manchen Orten der Stadt nicht willkommen? Ebenfalls die Schwarzen", sagt der Soziologe und Priester Rafael Castillo. Nur seine Soutane schütze ihn davor, selber wegen seiner Hautfarbe abfällig behandelt zu werden. Castillo ist Pastoralvikar des Erzbistums und ihn empören die krassen sozialen Gegensätze in der Klassengesellschaft von Cartagena. Franziskus' Besuch werde die Afrokolumbianer stärken, glaubt er:
    "Er wird die Schwarzen Cartagenas treffen und in der Kirche des heiligen Pedro Claver beten. Dieser Jesuit war ein Beschützer der afrikanischen Sklaven, die hier ankamen. Der Papst kommt mit einer Botschaft von Würde und Menschenrechten. Es ist ein Skandal, dass die Schwarzen hier immer noch diskriminiert werden. Wir als örtliche Kirche müssen weiter für die Rechte der Afrokolumbianer arbeiten – und Franziskus kann uns helfen."
    Väter oder Brüder durch die Gewalt verloren
    Im Zentrum Talitha Qum scheinen die Mädchen fröhlich und gelöst, als sie tanzen und singen. Doch sobald die Musik vorbei ist, werden ihre Gesichter wieder ernst – zu ernst für ihr Alter. Mehrere von ihnen haben Väter oder Brüder durch die Gewalt im Viertel verloren, wie Blanca Nubia López, die Leiterin, erzählt. Auch sie freut sich sehr, dass der Papst nach San Francisco kommt.
    "Unseren Regierungen sollte das eine Lehre sein. Die Politiker kommen nur im Wahlkampf und danach vergessen sie die Leute hier. Der Papst erinnert sie daran, dass sie hier an der Peripherie, am Rande der Gesellschaft, gebraucht werden und helfen müssen."