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Kolumbien
Coronakrise gefährdet auch den Friedensprozess

In Kolumbien ist die Corona-Pandemie nicht nur eine gesundheitliche Krise, sie schwächt auch den Aussöhnungsprozess zwischen der FARC und der kolumbianischen Regierung. Die Gewalt gegen Friedensaktivisten und ehemalige Guerilleros ist in der Coronakrise stark gestiegen.

Von Burkhard Birke | 11.07.2020
Am 30. Juni 2020 demonstrieren Aktivisten in Cali, um auf Menschenrechtsverletzungen in ihrem Land hinzuweisen. Sie verurteilten auch die Morde an zahlreichen Friedensaktivisten und ehemaligen Guerilleros.
Am 30. Juni 2020 demonstrieren Aktivisten in Cali, um auf Menschenrechtsverletzungen in ihrem Land hinzuweisen. Sie verurteilten auch die Morde an zahlreichen Friedensaktivisten und ehemaligen Guerilleros. (imago/Agencia EFE)
"Am 27. Dezember wurde ich Opfer der Paramilitärs. Sie haben mich abgefangen und feuerten drei Schüsse auf meinen Kopf ab, aber der liebe Gott hat mich beschützt: Sie haben drei Mal abgedrückt, aber keine der Kugeln ging los. In diesem Augenblick kam eine Polizeipatrouille vorbei und hat mich gerettet."
Nach diesem Vorfall hat Guillermo Tenorio Vitonas Kolumbien verlassen und hält sich seither in Deutschland auf. Der mittlerweile 70-jährige Mitbegründer des CRIC, des Regionalen Rates der Indigenen der Region Cauca, wollte nicht das Schicksal vieler seiner Mitstreiter teilen. Allein in diesem Jahr sind bisher nach Angaben von Indepaz, dem Institut für Entwicklung und Frieden, 159 Aktivisten, sechs ihrer Familienangehörigen und 25 ehemalige Guerilleros ermordet worden – praktisch einer jeden Tag. Wer sich in Kolumbien für Indigenen- und Menschenrechte, für soziale Belange engagiert oder als ehemaliger Guerillero für den Frieden entschieden hat, lebt gefährlich. Besonders betroffen sind die Regionen Cauca, Huila und Antioquia.
Regierungskritische Demonstranten nehmen an einem Protest teil. 
Kolumbien - Der politische Preis für ein bisschen Frieden
Über Jahrzehnte herrschte in Kolumbien Krieg zwischen der linken Farc-Guerilla, dem Militär und rechten Paramilitärs. Der Friedensschluss vor drei Jahren normalisierte die Lage, doch die Farc hinterließ ein Vakuum.
Zuletzt haben die Morde drastisch zugenommen. Senator Ivan Cepeda vom Polo Democrático: "Einer Studie der Stiftung Frieden und Versöhnung zufolge hat die Gewalt gegen Aktivisten in Kolumbien während der Pandemie um 53 Prozent zugenommen. Da die Medien fast ausschließlich über die Pandemie berichten, findet diese makabre Entwicklung praktisch unbemerkt von der Öffentlichkeit statt."
Ausgangssperren fördern das Morden
Das Perverse: Die mit der Pandemie verbundenen drastischen Ausgangsbeschränkungen in Kolumbien erleichtern den Mördern ihr schmutziges Geschäft.
"In der Pandemie haben die Morde zugenommen, weil die Aktivisten zu Hause bleiben müssen und dann dort leicht heimgesucht werden können", erzählt die 42-jährige Sozial- und Friedensarbeiterin Xiomara Loanga. Auch sie musste aus ihrem Dorf Jamundi fliehen. Sie wurde bedroht, weil sie sich weigerte, die Aufenthaltsorte von Aktivisten preiszugeben. Jetzt wartet sie mit Mann und zwei kleinen Kindern auf Asyl in Deutschland.
Sowohl Xiomara als auch Guillermo stammen aus der Region Cauca im Südwesten des Landes am Pazifik. Dort treiben Paramilitärs, kriminelle Drogenbanden, Guerilla der ELN und abtrünnige FARC-Kämpfer ihr Unwesen, auch die offiziellen Sicherheitskräfte haben sich nicht gerade einen Ruf als Schützer der Menschenrechte erworben, sondern sollen immer wieder gemeinsame Sache mit Paramilitärs und Banden machen.
"Regierungen versprechen viel, halten nie Wort!"
Vor allem indigene Gruppen aus dem Cauca pochten und pochen auf ihre Rechte. Vor gut einem Jahr boykottierten sie wochenlang die Panamericana, die transnationale Verbindungsstraße nach Ecuador.
Seit den 1970er-Jahren setzt sich Guillermo Tenorio für die Rechte der Indigenen ein. In den 80er-Jahren leitete er zeitweise sogar die nationale Organisation indigener Gruppen Kolumbiens. Die Regierungen versprechen stets viel, halten aber nie Wort, klagt Guillermo Tenorio. Jetzt erhebt er schwere Vorwürfe gegen den amtierenden Präsidenten Ivan Duque:
"Der Präsident gibt Anweisung, uns zu töten. Das steht in einem Flugblatt der Aguilas Negras, der paramilitärischen Gruppe der Schwarzen Adler. Sie kündigen an, alle Aktivisten und indigenen Führer zu töten. Das sei ein militärisches Ziel, damit die dem Präsidenten Ivan Duque das Leben nicht mehr schwermachen. Nur wenn man alle Anführer tötet, hören sie auf, die Straßen zu boykottieren und vom Präsidenten Ländereien zu verlangen."
33D-Modell des Coronavirus SARS-CoV2
Ein Flugblatt einer Gruppe Gesetzloser ist natürlich kein Beweis. Auffällig indes ist schon, dass seit Duques Amtsantritt die Morde an Aktivisten in die Höhe geschnellt sind. Allein 167 indigene Führer wurden in den zurückliegenden beiden Jahren ermordet.
Bei der Einsetzung neuer Offiziere zeigte sich der Präsident allerdings problembewusst. Ivan Duque: "Heute mehr denn je bekräftigten wir unsere Überzeugung, dass das Leben von Aktivisten geschützt werden muss, die der Drogenhandel, die Betreiber von illegalem Bergbau oder andere Kriminelle ermorden."
Kriminelle Gruppen füllen Vakuum
Das Problem liegt freilich tiefer: Das Vakuum, das die FARC-Guerilla nach ihrer Entwaffnung im Zuge des Friedensprozesses in manchen Regionen hinterlassen hatte, wurde nicht vom Staat, sondern von kriminellen Gruppierungen gefüllt. Die kolumbianische Gesellschaft bleibt über dies tief gespalten – in sozialer Hinsicht und über den Friedensprozess mit der FARC-Guerilla.
"Wir tragen alle Verantwortung auf verschiedene Weise: Da ist die Verantwortung der Guerilla, der FARC, da gibt es die Verantwortung der Paramilitärs, die der Streitkräfte, es gibt die Verantwortung der Präsidenten über 60 Jahre hinweg – aber auch wir Zivilpersonen tragen aufgrund fehlender Solidarität Verantwortung für das Geschehene. Angesichts so vieler Morde, die wir schweigend hingenommen haben, müssten wir viel mehr Schmerz verspüren", sagt Pater Francisco de Roux, Präsident der Wahrheits- und Versöhnungskommission – auch und gerade, weil das Morden weitergeht.