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Kolumbien
Die Terroropfer wollen sich nicht umarmen lassen

Kolumbiens Regierung muss sich derzeit viel Kritik anhören. Ihr Bemühen um einen Friedensschluss mit der FARC-Gruppe, die in den vergangenen Jahren für zahlreiche Morde verantwortlich war, stößt bei den Opferfamilien auf wenig Verständnis. Die FARC änderte deshalb nun ihren Kurs.

Von Julio Segador | 15.11.2014
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    FARC-Vertreter versuchen mit einem Schuldeingeständnis bei den Opfern des Guerilla-Terrors für ihren Friedensschluss mit der kolumbianischen Regierung (picture alliance / dpa / Ernesto Mastrascusa)
    Kein freundlicher Empfang für den kolumbianischen Innenminister. "Kolumbien umarmt die FARC-Opfer" - so das Motto des Kongresses vor wenigen Tagen in Bogotá. Doch die Opfer des Terrors der linksgerichteten Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens – kurz FARC – wollten sich gar nicht umarmen lassen. Stattdessen wütende Reaktionen wie die dieses Mannes, dessen Sohn vor Jahren von den FARC entführt und getötet wurde.
    "Die Opfer des Terrors sind keine Clowns. Die toten Soldaten und Polizisten sind keine Clowns. Diese Menschen hier, die ihre Kinder, Familien und Häuser verloren, das sind alles keine Clowns. Und es kann nicht sein, dass die Regierung kommt und ihnen noch weitere Ohrfeigen verpasst. Damit werden wir erneut zu Opfern."
    Die Versuche von Innenminister Juan Fernando Cristo am Rednerpult, die Gemüter zu beruhigen, brachten keinen Erfolg. Er musste durch den Hintereingang aus der Halle, wo er nur ein knappes Statement gab.
    "Ich habe dafür Verständnis, wenn die Teilnahme des FARC-Führungszirkels zu kontroversen Diskussion und auch zu Ablehnung führt. Aber es ist die einzige Möglichkeit, die wir haben, um beim Friedensprozess voranzukommen."
    Viele Opfer des Guerilla-Terrors der FARC sind aufgebracht, weil sie sich nicht genügend vertreten fühlen bei den derzeit laufenden Friedensgesprächen auf Kuba. Seit ziemlich genau zwei Jahren verhandeln die kolumbianische Regierung und Vertreter der FARC in Havanna über einen möglichen Frieden nach fünf Jahrzehnten Bürgerkrieg im Land. Bei verschiedenen Punkten sind sich beide Seiten bereits näher gekommen . Derzeit geht es bei den Gesprächen darum, wie man mit den Opfern des Terrors umgehen soll. Also jenen, die von den FARC entführt und gefoltert wurden, und den Angehörigen der Ermordeten. Opfern wie Clara Rojas, einer ehemaligen Mitarbeiterin von Ex-Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt. Rojas war 6 Jahre als Geisel in der Hand der Rebellen, verschleppt im Dschungel. Sie sollte mit einer Delegation von Opfervertretern in Havanna mit dabei sein. Doch die FARC sperrten sich gegen ihre Teilnahme. Daraufhin beendete Clara Rojas die Mitarbeit im Opferverband.
    "Ich denke, sie wollen dadurch die Rolle, die die FARC-Opfer in diesem Prozess in Havanna spielen sollen, möglichst klein halten. Ich finde das nicht in Ordnung. Man muss den Opfern Möglichkeiten und Räume bieten, dass sie in aller Freiheit ihre Ideen und Bedenken äußern."
    Und Clara Rojas bekommt Rückendeckung. Etwa von der Journalistin Jineth Bedoya, die erst von rechten Paramilitärs entführt, gefoltert und vergewaltigt, danach von den FARC ebenfalls entführt und bedroht wurde.
    Präsident Santos bittet um Großmut bei den Opferfamilien
    "Es gibt keine Opfer der ersten oder zweiten Kategorie. Alle Opfer haben die gleichen Rechte. Und alle Opfer – ohne dass es wichtig wäre, wer ihre Täter sind – haben das Recht, an diesem Tisch zu sitzen, ohne dass ihnen aufgelauert wird und sie eingeschüchtert werden."
    Die Skepsis vieler Terroropfer ist nachvollziehbar. Für die meisten ist es nur schwer zu erdulden, dass die Entführer, Folterer und Mörder in Havanna mit der Regierung auf Augenhöhe verhandeln. Rebellen wie Henry Castellanos Garzón alias Romaña, der zu den grausamsten FARC-Folterknechten gehört. Er ist für hunderte von Entführungen verantwortlich, hat Tausende aus ihren Heimatdörfern vertrieben. Nun sitzt er mit den Opfervertretern an einem Tisch. Maria Magdalena Calzado schüttelt den Kopf.
    "Vor 13 Jahren gab Romaña den Befehl, meinen Sohn zu töten. Er war damals – kurz bevor er ermordet wurde - Bürgermeister in einer kleinen Ortschaft. Und ich finde es unerträglich, dass dieser Typ auf freiem Fuß ist und sich ungeniert umher bewegt, obwohl er für so viele Verbrechen verantwortlich ist."
    Immerhin – die FARC-Rebellen haben sich bewegt: Vor zwei Jahren – angesprochen auf die Opfer des Terrors - reagierte der Guerillero Jesús Santrich noch mit Unverständnis auf die Frage.
    "Wir sind revolutionäre Kämpfer des Volkes. Wir begehen doch keine Verbrechen gegen das Volk. Wir respektieren die Delegierten der Regierung sehr. Aber das heißt ja nicht, dass wir nicht über ihre falschen Ansichten diskutieren können. Etwa über die Opfer. Jetzt sollen wir auf einmal die Täter sein."
    Diese Einstellung hat sich geändert. Die FARC sind auf die Opfer des Konfliktes zugegangen. Pablo Catatumbo, einer der FARC-Verhandlungsführer, räumte erst vor Kurzem eine Schuld der Guerilla ein.
    "Ohne Zweifel hat es auch Grausamkeiten und Schmerzen gegeben, die aus unseren Reihen provoziert wurden."
    Für die Regierung ist es der wohl schwierigste Verhandlungspunkt. Gibt es hier keine Einigung, zählen die anderen Verhandlungserfolge nichts. Auch deshalb ist es verständlich, wenn Staatspräsident Juan Manuel Santos an den Großmut der Opfervertreter appelliert.
    "Ich bitte die Opfervertreter, dass sie aktiv den Prozess begleiten. Sie dürfen viel verlangen - auch von der Regierung - und sie müssen ihre Kontrollfunktion ausüben. Aber ich bitte sie, dass sie die Anstrengungen der Regierung solidarisch begleiten und die Fortschritte auch anerkennen. Die Teilnahme der Opfer an dem Prozess wird entscheidend sein, wenn es darum geht, den Frieden zu verwirklichen."