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Kolumbien
Junge Literaten wollen Friedensprozess überwachen

Junge kolumbianische Schriftsteller blicken zwiegespalten auf den bevorstehenden Friedensvertrag zwischen der Regierung und den Farc-Rebellen. Sie befürchten, dass die Regierung zu große Erwartungen weckt. Der Friedensprozess sei viel länger und mühseliger als man denke, sagen sie.

Von Johannes Kulms | 04.09.2016
    Simón, Tomás und Pablo, junge Literaten und Gründer des "Alacrán"
    Simón, Tomás und Pablo, junge Literaten und Gründer des "Alacrán" (Deutschlandradio/Kulms)
    Im Wohnzimmer von Simon, einem 27-Jährigen Philosophiestudenten - hängt ein Gemälde: Es zeigt zwei junge Frauen und zwei Männer die sich über einen Billardtisch beugen und ganz vertieft in ihr Spiel erscheinen. Wer das Bild das erste Mail betrachtet, kann die Kratzer und Löcher auf der Leinwand leicht zu übersehen:
    Simón: "Dieses Gemälde hing in der Redaktion von "Vanguardia Liberal" - der wichtigsten Zeitung meiner Heimatregion Santander. Während der Hochzeiten des Drogenhandels hat die Zeitung sehr viele Namen des Drogengeschäfts aufgedeckt. Deswegen haben die Drogenhändler – unter ihnen auch Pablo Escobar – eine Autobombe vor dem Redaktionsgebäude platziert. Das Gemälde hat unübersehbar Spuren davongetragen, aber die Explosion überstanden. Irgendwann ist es in die Hände meines Vaters gekommen der es mir dann geschenkt hat. Und jetzt hängt es hier – als ein Zeugnis des kolumbianischen Bürgerkrieges."
    52 Jahre Konflikt
    Wir sind ein Land im Kriegszustand – mit dieser Vorstellung sind ganze Generationen von Kolumbianern aufgewachsen. Nun könnte mit dem Friedensvertrag zwischen der kolumbianischen Regierung und den FARC-Rebellen ein 52 Jahre andauernder Konflikt zu Ende gehen. Simón und seine beiden Kumpels Pablo und Tomás freuen sich darüber. Und sind doch skeptisch.
    "Die kolumbianische Regierung hat das Friedensprojekt beworben auf eine Art und Weise, die mir etwas übertrieben erscheint. Die Erwartungen der Bürger sind jetzt völlig überzogen – und dann müssen sie doch der Realität ins Auge schauen. Und die Realität bedeutet: Der Friedensprozess ist viel länger und mühseliger als wir denken. Ich weiß nicht, ob die Kolumbianer bereit sind, wirklich zu vergeben", meint der 24-Jährige Pablo, der ebenfalls Philosophie studiert hat und nun für ein Verlagshaus arbeitet. Er hofft darauf, dass die Mehrheit der Kolumbianer beim Referendum Anfang Oktober für den Friedensvertrag stimmt.
    Nicht nur Pablo, auch der 23-Jährige Literaturstudent Tomás findet: Die massive soziale Ungleichheit im Land ist Wurzel des Konflikts – doch angepackt wird sie auch durch den Friedensvertrag nicht.
    Tomas sagt: "Man sollte nicht von der 'Zeit nach dem Konflikt' sprechen. Sondern von der 'Zeit nach der Einigung'. Denn mit dem Friedensvertrag wird der Konflikt nicht beendet sein. Es wird weiterhin viele Menschen geben, die Hunger leiden. Sie werden sich weiterhin nach Verdienstmöglichkeiten umsehen müssen – die bis in die Illegalität reichen – um sich zu ernähren. Denn die Situation bleibt sehr schwer."
    Gedichte und Kurzgeschichten
    Die drei jungen Männer sind nicht nur enge Freunde – sondern auch Mitstreiter bei "El Alacrán". Das Literatur-Projekt begann 2007 als Blog und ist mittlerweile auch Beilage einer Kulturzeitung. "Alacrán" heißt auf Spanisch Skorpion. El Alacrán veröffentlicht Gedichte aber auch Kurzgeschichten, geschrieben vom Redaktionsteam aber auch von vielen anderen Autoren.
    Es ist ein kleines Projekt, das die Macher mit viel Leidenschaft betreiben. Wir folgen keiner Ideologie, sagt Tomás. Entscheidend sei die Qualität der Texte. Kürzlich ist eine Sonderausgabe zum Thema Frieden erschienen. Die Gewalt in Kolumbien sei allgegenwärtig betont Pablo:
    "Die Gewalt taucht immer auf in der kolumbianischen Literatur. Ihre Geschichte ist die Geschichte der Gewalt. Du kannst die Literatur hier zu keinem Zeitpunkt ohne den Krieg und die Gewalt betrachten – und den Frieden. Wir finden das in den Erzählungen, in den Romanen, in den Gedichten."
    Pablo verweist als Beispiel auf den 2014 verstorbenen Literaturnobelpreisträger Gabriel García Márquez. Der Alacrán soll nach dem Willen seiner jungen Väter auch Raum bieten, für eine Debatte über den Friedensprozess, die niemanden vorverurteilt. Alle drei sind sich einig: Den Künstlern komme in den nächsten Jahren eine sehr wichtige Rolle zu bei der Überwachung des weiteren Friedensprozesses. Tomas meint:
    "In den letzten drei, vier Jahren haben die Künstler oft Propaganda gemacht für den Friedensprozess. Das kann es nicht sein, meinen wir. Sondern die Kunst muss doch Lösungsansätze liefern für die kolumbianischen Gesellschaft. Und wir haben viele Texte veröffentlicht, die sich genau mit diesem Thema beschäftigen."