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Kolumbien
Volksabstimmung über FARC-Friedensvertrag

Unterzeichnet, aber vom Volk noch nicht abgesegnet: Über Kolumbiens Friedensvertrag mit der FARC-Guerilla gibt es am Sonntag eine Volksabstimmung - und der längste bewaffnete Konflikt Amerikas könnte endlich ein Ende finden. Aber nicht alle sind damit zufrieden. Denn es gab Zugeständnisse, was die Strafen für begangene Verbrechen.

Von Anne Herrberg | 01.10.2016
    Wandbild in der Stadt Cali in Kolumbien, wo das Ende des jahrzehntelangen Bürgerkriegs in Sicht ist.
    Ein Wandbild in der Stadt Cali in Kolumbien. Morgen wird es einen Volksentscheid über den Friedensvertrag mit der FARC-Guerilla geben. Der Ausgang ist noch ungewiss. (dpa/picture-alliance/Christian Escobar Mora)
    Stimme für Ja, Stimme für den Frieden. Auch ein sintflutartiger Regen hat rund 500 Studenten in Bogota nicht abgehalten, mit weißen Fahnen, Flyern und Gettoblastern in den Wahlkampf zu ziehen: Für ein Ja in der Abstimmung über den Friedensvertrag mit der FARC-Guerilla.

    "Ja zu stimmen, im Referendum am Sonntag, bedeutet gegen den bewaffneten Kampf zu stimmen und gegen politische Gewalt. Der Friedensvertrag wird uns vor große Herausforderungen stellen, aber noch nie waren wir so nah dran, die Gewalt in unserem Land zu beenden."
    Es geht um den längsten bewaffneten Konflikt Amerikas, der mehr als sieben Millionen zu Flüchtlingen im eigenen Land gemacht hat, mindestens 220.000 Menschenleben gefordert hat. Auch das des Bruders von Angelica Giraldo – die FARC hat ihn 2007 entführt und ermordet. Acht Jahre später will Angelica Giraldo trotzdem für das Friedensabkommen mit der Guerilla stimmen, das in den vergangen vier Jahren in der kubanischen Hauptstadt Havanna ausgehandelt wurde, vergangenen Montag von beiden Parteien feierlich unterzeichnet wurde, aber erst in Kraft tritt, wenn die Kolumbianer per Volksentscheid Ja dazu sagen.
    "Ich sage ja, weil ich nicht möchte, dass noch mehr Familien leiden Brüder, Ehemänner, Kinder verlieren. Es ist mir sehr schwergefallen, aber ich glaube, dass die FARC die Waffen abgeben wollen, dass sie die Wahrheit erzählen wollen, das ist die Chance, dass andere nicht durchmachen, was ich erlebt habe."
    Nicht alle halten den Friedensvertrag für eine gute Lösung
    Unter die Menge gemischt haben sich – begleitet von Dutzenden Kameras - die Ehefrau und Sohn des Präsidenten Juan Manuel Santos, der den Friedensprozess von Beginn an mit seinem eigenen politischen Schicksal verknüpft hat, zwar zeichnet sich in Umfragen ein Ja ab, doch es steht viel auf dem Spiel: "Ein neues Kapitel in Kolumbiens Geschichte könnte beginnen. Ohne Waffen, mit gleichen Chancen und Möglichkeiten für alle. Stimmt für Ja!"
    Dafür dass die FARC-Guerilla verspricht, die Waffen abzugeben und dem lukrativen Kokainhandel abzuschwören – im Gegenzug für weitreichende Zugeständnisse beim Thema: juristische Verantwortlichkeit, also der Frage: Wie werden ihre Verbrechen bestraft? Dona Maria bereitet das große Sorgen. Nein! Ruft die 80-Jährige entschieden, 1993 hat sie ihren Sohn verloren, ermordet von der FARC-Guerilla. Danach floh sie vor den Rebellen aus ihrer Heimatprovinz Cauca nach Bogota und lebt von einer kleinen Rente: "Ich bin Vertriebene und ich stimme mit nein. Denn wie ich gehört habe, zahlen sie den Terroristen Geld und für ihre Verbrechen müssen sie nicht ins Gefängnis. Ich habe Angst, sie haben mir gesagt, dass wenn ich mit Ja stimme, dass sie uns dann alle Rechte als Vertriebene nehmen!"
    In der einen Hand hält sie eine Kerze, in der anderen einen Luftballon der Partei Centro Democrático, gegründet von Santos Vorgänger, dem Ex-Präsidenten Alvaro Uribe, der die Guerilla einst militärisch, mit harter Hand bekämpfte – und heute stärkster Kritiker des Friedensprozesses ist – doch den vor einigen Monaten noch sehr radikalen Diskurs hat die Partei inzwischen abgeschwächt. Man sei ja für Frieden, erklärt Samuel Hoyos, Abgeordneter aus dem Uribe-Lager, den Passanten, aber eben nicht so: "Die Regierung nutzt den Frieden als Slogan, sie verbreitet, dass mit dem Friedensvertrag die Gewalt, die Entführungen und Erpressungen aufhören würden, aber das ist falsche Propaganda, eine Lüge. Der Vertrag bedeutet Straflosigkeit für Schwerstverbrecher und gibt ihnen die Möglichkeit, ins Parlament einzuziehen. Ich kann die Leute verstehen, wenn sie sagen: Wir werden enden, wie Venezuela."
    Die Abstimmung spaltet Kolumbien
    Ja und Nein – die Abstimmung spaltet Kolumbien. Ein Land, in dem neben der FARC noch andere bewaffnete Gruppen aktiv sind, die Bevölkerung terrorisieren. Doch der Friedensvertrag mit der FARC könne auch nicht alle Probleme des Landes auf einmal lösen, er sei ein mutiger Anfang, Reformen auf den Weg zu bringen, sagt Alirio Uribe, Menschenrechtsanwalt und Politiker eines linksgerichteten Oppositionsbündnisses. Es bestehe viel Unwissen, sagt er: "Eines der Themen im Abkommen, die am besten ausgearbeitet sind, ist das Thema Übergangsjustiz, dazu haben Experten aus verschiedenen Ländern zusammengearbeitet."
    Für politische Verbrechen gibt es eine weitgehende Amnestie, aber Verbrechen gegen die Menschlichkeit und schwere Kriegsverbrechen werden mit fünf bis acht Jahren – in manchen Fällen bis zu 20 Jahren Freiheitsentzug bestraft, die Höhe richtet sich danach ob die Täter geständig sind. Dass diese Strafen meist nicht in Gefängnissen abgebüßt werden sollen, sondern in Form von Reparationsleistungen und sozialer Arbeit, findet Alirio Uribe nicht problematisch – im Gegenteil. "Natürlich gefällt das vielen Leuten nicht, aber mal ehrlich: Unsere Gefängnisse hier sind meist Brutstätten für neue Gewalt, da find ich es besser, wenn die Ex-Guerilleros zum Beispiel dabei helfen, Personenminen zu entschärfen. Und unser Justizsystem ist an sich sehr defizitär. Viel bleibt dort ohnehin straflos. Die Übergangsjustiz ist auch der Versuch, etwas Neues zu schaffen, weil das alte bisher nicht funktioniert hat."
    Wir müssen über unseren eigenen Schatten springen, sonst treten wir auf der Stelle, sagt Javier Florez. Er ist General der Streitkräfte, die FARC waren einst seine Todfeinde. Dann wurde es zu seiner Aufgabe, sich mit ihnen an den Verhandlungstisch zu setzen. Heute kümmert er sich um ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft. "Ich musste meinen eigenen Geist, meine Seele und mein Herz entwaffnen und verstehen, dass dieser Konflikt sehr komplex ist. Da konnte ich das Eis brechen für einen Dialog."