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Marina Weisband
Sprache ist eine Waffe

"Werbeverbot" oder "Informationsverbot" - welches Wort charakterisiert Paragraf 219a am treffendsten? Die Debatte darüber findet Marina Weisband wichtig. Und kommt in ihrer Kolumne zum Schluss: Der juristisch korrekte Begriff muss nicht immer der richtige sein.

Von Marina Weisband | 05.04.2018
    Porträtfoto von Marina Weisband
    @mediasres-Kolumnistin Marina Weisband (Lars Borges)
    Diesen Monat habe ich viel darüber nachgedacht, welche Begriffe Medien verwenden. Speziell hat mich interessiert, dass Buzzfeed Deutschland aufgehört hat, in Artikeln über den §219a von einem Werbeverbot für Abtreibungen zu sprechen und stattdessen das Wort "Informationsverbot" benutzt. Chefredakteur Daniel Drepper bezeichnet in einem Kommentar das Wort "Werbeverbot" als gefährlich, weil es einen falschen Eindruck erwecke. Er halte die Debatte für vergiftet.
    Der Paragraph verbietet ÄrztInnen, Schwangerschaftsabbrüche "anzubieten, anzukündigen oder anzupreisen", womit schon die bloße Information, dass eine Praxis sowas durchführt, eine Straftat ist, wegen der Ärztinnen wie Kristina Hänel bereits strafrechtlich belangt wurden.
    In meiner Zustimmung zu dem Vorgehen von Buzzfeed widersprach mir ein befreundeter Anwalt. Er sagte, dass Werbung im juristischen Sinne jede Art der Information über eine Dienstleistung sei. Also sei das Wort Werbeverbot keineswegs irreführend, es bezeichne den Sachverhalt richtig.
    Ich stimme dem nicht zu. Denn unabhängig von dem, was juristisch richtig ist, leben gesellschaftliche Debatten von allgemein verstandener Sprache mit all ihren Konnotationen. Und bei Werbung denken Menschen nicht einfach nur an Information über eine Dienstleistung. Vielmehr funktioniert moderne Werbung so, dass sie einen Bedarf erzeugt, den Kunden vorher nicht hatten.
    Werbung verleitet Frauen nicht zu einer Abtreibung
    Zum Beispiel habe ich mir keinerlei Gedanken darüber gemacht, wie schön meine Achselhöhlen sind, bis Dove ein Deo rausgebracht hat, das sie schimmern lässt. Einen ähnlichen Mechanismus assoziieren wir, wenn wir das Wort Werbeverbot hören. Es suggeriert, dass Frauen, die ihre Schwangerschaft eigentlich austragen wollten, die Seite einer Frauenärztin sehen und auf die Idee kommen, dass sie eigentlich auch abtreiben könnten.
    Auch mit dem Wegfall des §219a fände man nirgends Angebote wie "zwei Abtreibungen zum Preis von einer" oder Rabattcoupons.
    Eine solche Entscheidung gehört zu den schwersten, die ein Mensch je treffen muss, und niemand macht sie sich leicht. Bei dem Gesetz geht es ja nur darum, dass eine Arztpraxis Menschen mit Bedarf überhaupt öffentlich darüber informieren kann, dass diese Hilfe hier zu bekommen sei.
    Dass solche Information allerdings irgendwie den Wunsch nach Abtreibungen und im Folgenden ihre Zahl erhöhen würde, ist falsch. Also berichtet die Presse zwar juristisch richtig, erzeugt aber falsche Assoziationen und verfälscht so die Diskussion.
    Bequemer Rückzug auf die juristisch korrekte Begriffe
    Ist es also manchmal sinnvoll, in der öffentlichen Debatte andere Begriffe zu benutzen, als juristisch richtig wäre? Ich bin da zwiegespalten. Wir haben oft Beispiele gesehen, in denen eine solche Ersetzung die Debatte gerade erst verfälscht hat. Beispielsweise in allen Instanzen, in denen das Wort "Asylrecht" durch "Gastrecht" ausgetauscht wurde, mit dessen Hilfe man so tun konnte, als sei das etwas freiwillig Gewährtes und von der Freundlichkeit des Gastes Abhängendes.
    Sprache ist nunmal eine Waffe und kann leicht für Propaganda und Meinungsmache benutzt werden. Da bietet der Rückzug auf die juristisch korrekten Begriffe einen bequemen Anschein der Neutralität. Aber kein Begriff ist wirklich neutral, und wir sollten uns immer genau überlegen, welche Konnotationen ein Wort trägt und ob es geeignet ist, einen Sachverhalt zu beschreiben.
    Im Fall des Werbeverbots stimme ich persönlich Buzzfeed Deutschland zu und will ebenfalls von Informationsverbot sprechen. Ebenso wie ich aus inhaltlichen Gründen den Propagandabegriff Fake News ablehne und nicht benutze, da er ebenfalls irreführend ist.
    Diskussion ohne Deckmantel
    In einem Streit mit einem religiösen Bekannten bin ich weiterhin darauf gestoßen, dass er gar nicht wirklich die Werbung anstößig fand, sondern Abtreibungen ganz generell ablehnte und nur deshalb den §219a erhalten wollte, weil er den Akt weiter erschwert.
    Wenn jemand wirklich wieder die Diskussion führen möchte, ob Abtreibungen überhaupt legitim sind, dann bitte nicht unter dem Deckmantel einer Diskussion über Information darüber. Es ist so schwer, mit Menschen zu streiten, die nicht ihre wirklichen Beweggründe offenbaren.
    Der religiöse Bekannte und ich sind erfolgreich auf den Kern unseres Konflikts gestoßen. Es geht nicht um Werbung, es geht darum, wann aus unserer Sicht das Leben beginnt. Was sagen Rabbiner dazu? Laut einer Überlieferung dachte ein Rabbi, nach dem Beginn des Lebens gefragt, eine Weile nach und sagte: "Das Leben beginnt, wenn die Kinder aus dem Haus sind und der Hund gestorben ist."