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Marina Weisband
Von "Muselmanen" und "Judenfreunden"

Zu Recht wird der Antisemitismus, der auch unter einigen Muslimen in Deutschland herrscht, angeprangert. Doch man kann nicht gegen die Diskriminierung von Juden eintreten, während man gleichzeitig die Diskriminierung einer anderen Minderheit vertritt, meint Kolumnistin Marina Weisband.

Von Marina Weisband | 08.02.2018
    Porträtfoto von Marina Weisband
    @mediasres-Kolumnistin Marina Weisband (Lars Borges)
    Stellen Sie sich vor, Sie wollen einen Artikel über Antisemitismus schreiben. Das klingt erstmal einfach. Antisemitismus ist schlecht, und er kommt hier und hier vor, und das sind seine Anzeichen. Aber jetzt wird es kompliziert.
    Antisemitismus in Deutschland geht sowohl von Rechtsradikalen wie auch von Muslimen aus. Das genaue Verhältnis unterscheidet sich von Studie zu Studie, aber beides ist ein sehr ernsthaftes Problem. Sie als guter Journalist betonen natürlich auch das Problem muslimischen Antisemitismus’ in Deutschland.
    Nun wird Ihr Artikel kräftig geteilt: auf rechten Plattformen, wo er mit Kommentaren versehen wird wie: "Da seht ihr es, raus mit dem antisemitischen Flüchtlingspack!" "Importierter Antisemitismus!" und "Die Muselmanen kommen hierher und zerstören unsere Kultur." Herzlichen Glückwunsch. Sie haben zur Stimmungsmache gegen Geflüchtete in unserem Land beigetragen.
    Team "Anti Flüchtlinge" sucht immer Mitglieder
    Nebenbei: Es ist ja interessant zu sehen, wie bestimmte Leute nur dann um die Rechte von Frauen oder Juden oder wem auch immer besorgt sind, wenn es gegen Muslime geht. Bei ihnen sucht man vergeblich einen Beitrag gegen hausgemachten Sexismus oder Antisemitismus. Man kann aber nicht gegen die Diskriminierung von Juden eintreten, während man gleichzeitig die Diskriminierung einer anderen Minderheit vertritt.
    Für mich als jüdische Autorin, die öfter gebeten wird, etwas über Antisemitismus zu schreiben, ist das zu einem echten Problem geworden. Ich will über das gesamte komplexe Problem schreiben. Aber in unserer aufgeheizten Zeit geht es oft nicht mehr um Komplexitäten und Zwischentöne. Man sagt nicht mehr einfach seine Meinung, man sucht sich seine Mannschaft aus. Und Team "Anti Flüchtlinge" sucht immer gern nach Mitgliedern.
    Für friedlichen Austausch zwischen Juden und Muslimen
    Da will ich aber nicht sein. Für mich stellt es eine Bedrohung dar, wenn man gegen Flüchtlinge hetzt. Nicht nur, weil ich selbst mit meiner Familie nach Deutschland geflohen bin. Sondern auch, weil dieser genannte muslimische Antisemitismus Nährboden bekommt, wenn man alle Muslime (ob nun geflüchtet oder nicht) in einen Topf wirft und ausgrenzt. Das sorgt für eine insgesamt höhere Aggressivität der Gesellschaft – und die wird gern an den Schwächeren ausgelassen, also an den Juden, nicht an der Mehrheitsgesellschaft.
    Es ist einfach ganz perfide, zwei Minderheiten gegeneinander auszuspielen. Anstatt dafür zu kämpfen, den Nahostkonflikt eben nicht zu importieren, sondern zumindest hier in Deutschland für einen intensiven und friedlichen Austausch zwischen Juden und Muslimen zu sorgen, schürt man den Konflikt weiter und treibt tiefere Keile hinein.
    Für mich als Autorin ist es deshalb schwierig geworden, über Antisemitismus zu schreiben, ohne zu fürchten, dass ich dabei helfe, Hass auf völlig unschuldige Muslime zu schüren, die sich nie antisemitisch geäußert haben. Schon als ich ankündigte, diese Kolumne zu schreiben, antwortete die Redaktion: "Da werden Sie und wir uns am besten auf viele Hörerreaktionen einstellen".
    Die selbsternannten Judenfreunde der neuen Rechten
    Das perfide daran ist also, dass diese selbsternannten Judenfreunde der neuen Rechten es uns - Juden - komplizierter machen, Antisemitismus zu benennen. Vielen Dank!
    Wie verfalle ich also nicht in Selbstzensur, schreibe über alle Seiten, von denen Hass ausgeht, ohne selbst Hass auf Unschuldige zu schüren? Durch gute Recherche, keine Untertreibung oder Übertreibung, keine Auslassung. Objektivität eben. Werde ich trotzdem Applaus von der falschen Seite bekommen und haufenweise Rügen? Wahrscheinlich.
    Ich schätze, da gibt es kein Geheimrezept. Man macht seine Arbeit, man recherchiert sauber, man macht mutige Ansagen. Man versucht, eine nüchterne Debatte in einer betrunkenen Zeit zu führen. Es ist kompliziert. Aber es ist notwendig.