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Kolumnist Erlinger: Wulffs Verzicht auf Ehrensold wäre eine "große Geste"

Dass Christian Wulff nicht auf den Ehrensold und den Großen Zapfenstreich verzichten will, ist für den Kolumnisten Rainer Erlinger allen Diskussionen zum Trotz durchaus nachvollziehbar. Sein Rücktritt sei ein "ganz normaler politischer Vorgang" gewesen.

Rainer Erlinger im Gespräch mit Sandra Schulz | 06.03.2012
    Sandra Schulz: Gut zwei Wochen liegt der Rücktritt von Christian Wulff vom Amt des Bundespräsidenten zurück, aber er bleibt in der Kritik. Für übermorgen ist seine Verabschiedung mit dem Großen Zapfenstreich geplant, auch das musste die Bundesregierung noch einmal gegen Kritik verteidigen, zum Beispiel vom früheren Heeresinspekteur Helmut Willmann, und Wulffs vier noch lebende Amtsvorgänger haben auch schon abgesagt.

    Für Unmut sorgen weiter auch die Vorstellungen Wulffs über seine künftige Ausstattung, den Ehrensold und ein Büro nebst Mitarbeiterstab, was sich zusammen auf eine knappe halbe Million Euro pro Jahr beliefe. Warum erscheint so vielen nicht richtig, was doch aber rechtens ist? Müssten die Vorschriften reformiert werden? Darüber wollen wir in den kommenden Minuten sprechen. Am Telefon begrüße ich Rainer Erlinger, er ist Jurist und Autor der Kolumne "Gewissensfragen" im SZ-Magazin. Guten Morgen.

    Rainer Erlinger: Ja, guten Morgen.

    Schulz: Herr Erlinger, die Vorschriften über den Ehrensold, müssen sie neu geregelt werden?

    Erlinger: Also es ist sicherlich jetzt ein guter Moment, da über manches nachzudenken. Man kann zum Beispiel über die Bezeichnung Ehrensold nachdenken, die ja wirklich etwas archaisch geraten ist und die eigentlich ursprünglich etwas beinhaltet hat, was man zu einem Verdienstorden dazu bekommen hat und auch aus dem militärischen Bereich kommt. Das war wahrscheinlich die Idee, dass man die Bezüge des Bundespräsidenten oder die Ruhebezüge nicht irgendwie normal Pension nennen wollte, oder irgendwie Weiterbezüge, sondern irgendetwas dem höheren Amte anscheinend man als angemessen empfunden hat, und das wäre zum Beispiel sicherlich was, wo man drüber nachdenken sollte.

    Schulz: Bestünde da nicht die Gefahr einer "Lex Wulff"?

    Erlinger: Wenn man das so formuliert, dann, glaube ich, besteht die Gefahr weniger, weil man es ja nicht rückwirkend für Herrn Wulff ändert, und das würde man normalerweise dann als "Lex Sowieso" bezeichnen, eben in dem Fall "Lex Wulff", sondern es wäre nur etwas, was man anlässlich dieses Falles, der ja dann davon normalerweise nicht mehr betroffen ist, der aktuelle Fall, dann für die Zukunft anders regelt.

    Schulz: Jetzt ist die Ablehnung ja groß, die Empörung auch. Das haben wir in der letzten Woche aus Umfragen ablesen können. Da haben sich mehr als 80 Prozent dagegen ausgesprochen, dass Christian Wulff den Ehrensold bekommt. Wenn die Vorschriften jetzt aber so sind, wie sie ja sind, ist es dann nicht sein gutes Recht und die Deutschen führen wieder eine Neiddebatte?

    Erlinger: Das ist sicherlich ein bisschen dabei. Sie haben jetzt diesen schönen Ausdruck "es ist sein gutes Recht" verwendet, den ich persönlich nicht so mag, weil ich immer das Gefühl habe, wenn jemand sagt, das ist mein gutes Recht, dann ist es alles andere als ein gutes Recht, sondern irgendwie ein schlechtes Recht, wenn man sich nur darauf beruft, dass man ein Recht hat, aber nicht hinterfragt, ob man dieses Recht auch zurecht hat, ob es denn auch richtig ist, dass man das bezieht, und da müsste man eben drüber nachdenken.

    Einerseits ist es natürlich ganz sinnvoll, dass der Bundespräsident oder der ehemalige Bundespräsident nicht aufs Arbeitsamt gehen muss, oder jetzt dann wieder als Anwalt dann beginnt, vorm Amtsgericht Hannover Mandanten zu vertreten. Eigentlich ist das die Idee, dass diese Regelung das verhindern will. Auf der anderen Seite ist es natürlich so, dass das schwierig ist, nach der kurzen Zeit den Menschen klar zu machen, dass jemand da jetzt knapp 200.000 Euro pro Jahr fürs "nichts tun" nach eineinhalb Jahren Tätigkeit bekommt, und da sehe ich den hauptsächlichen Knackpunkt. Ich glaube nicht, dass die Bundesrepublik daran zu Grunde geht, wenn sie die singulären Personen an ihrer Spitze, die früher waren, da hoch bezahlt. Aber es geht darum, was für einen Eindruck es macht und dass nicht die Staatsverdrossenheit da weiter geschürt wird.

    Schulz: Jetzt könnte Christian Wulff der Diskussion natürlich abrupt ein Ende setzen, wenn er verzichten würde, was so gesehen eine Gewissensfrage ist. Rechtlich ist der Verzicht offenbar ja nicht geboten. Ist es moralisch geboten?

    Erlinger: Ich kann ihn gut verstehen. Dieser Verzicht würde ja von vielen und wahrscheinlich auch von ihm selbst ein bisschen empfunden werden als aha, da ist anscheinend doch was dran, er hat ein schlechtes Gewissen und so weiter. Deswegen kann ich durchaus ihn menschlich verstehen, dass er sagt, nein, ich möchte da nicht verzichten, sondern ich bin ja nicht in Unehren aus dem Amt geschieden, sondern um sozusagen das Amt nicht weiter zu beschädigen, und was da jetzt an den Vorwürfen dahinter ist, das zeigt sich alles noch.

    Und wenn er jetzt sagen würde, nein, ich verzichte auf das Geld, würde man ihm das vielleicht als unehrenhaft auslegen, wenngleich ich mir denken würde, die Idee, dass er ja als erster Diener des Staates vor allem dem Staat dienen wollte und er momentan, glaube ich, einfach von der Zufriedenheit der Menschen mit dem Staat einen Bärendienst erweist, wenn er das Geld annimmt, sollte ihn dazu bringen lassen, da noch mal scharf drüber nachzudenken.

    Schulz: Scharf drüber nachdenken, sagen Sie. Aber, wenn ich Sie richtig verstanden habe, für moralisch geboten halten Sie es nicht?

    Erlinger: Dass er verzichtet? – Ich will ihm da jetzt keine Ratschläge geben. Ich würde es nicht fordern, ich würde es aber für eine große Geste halten.

    Schulz: Warum reiben sich so viele daran auf? Liegt das daran, dass Christian Wulff der Gesellschaft auch den Spiegel vorhält?

    Erlinger: Vielleicht ist da sogar was dran. Ich glaube es weniger. Es geht einfach darum, dass momentan ja eigentlich das Sparen an allen Ecken und Enden ein bisschen das Gebot der Stunde ist und man einfach sieht, dass jemand hier eine doch recht respektable Ausstattung bekommt, und das auf Lebenszeit. Diese Idee, dass jemand "für das nichts tun" – er muss ja jetzt nichts mehr dafür leisten und er hat ja auch nicht eine ganze Amtszeit oder zwei Amtszeiten, wie es üblicherweise war, als Bundespräsident seinen Dienst versehen – das empfinden viele einfach als Missverhältnis zwischen Leistung und dem, was er dafür bekommt. Und dieses Missverhältnis ist es, glaube ich, was vielen aufstößt.

    Schulz: Spielt da überhaupt noch eine Rolle, wie das Ermittlungsverfahren gegen Christian Wulff jetzt überhaupt ausgeht?

    Erlinger: In eine Richtung sicherlich. Falls es tatsächlich da zu einer Anklage oder gar zu einer Verurteilung käme, oder einem Strafbefehl, womit ja so was abgeschlossen werden kann, dann würde das sicherlich noch einmal den Druck erhöhen. Ansonsten ist das leider sehr Unschöne bei Ermittlungsverfahren, dass die zwar sehr groß begleitet werden medial. Sollten die aber eingestellt werden und die Staatsanwaltschaft zum Schluss kommen, da ist nichts Strafbares dabei, ist das meistens eine Meldung auf Seite vier unten.

    Schulz: Wenn wir jetzt noch mal vorausschauen auf den Großen Zapfenstreich am Donnerstag, da wollen die vier noch lebenden Amtsvorgänger Wulffs nicht kommen, sie lassen sich entschuldigen. Ist das auch eine Gewissensfrage, auf Distanz zu gehen?

    Erlinger: Also ich muss gestehen, dass ich da ein bisschen überrascht war, weil das schon ein sehr deutliches Zeichen von Distanz ist, vermute ich jetzt mal. Ich bin jetzt nicht sehr protokollarisch erfahren, ob es üblich ist, dass die normalerweise dann alle dabei sind. Aber dass die alle vier gleichzeitig verhindert sind, ist schon ein Zeichen von Distanz, wobei ich persönlich prinzipiell ja bei diesem Zapfenstreich da auch mal sagen würde, das kann man hinterfragen, das scheint mir schon etwas sehr Archaisches zu sein, da nachts mit Fackeln aufzumarschieren und in Uniformen und Befehle durch die Nacht zu rufen und so weiter. Was das zu tun hat mit einem modernen Staat, frage ich mich schon auch.

    Schulz: Dann noch mal vielleicht unabhängig von dem Gedanken die Frage: Kann sich Christian Wulff guten Gewissens mit einem Großen Zapfenstreich verabschieden lassen?

    Erlinger: Ich bin der Meinung ja, weil trotz allem: Er ist nicht unehrenhaft aus dem Amt geschieden. Er hat sich für einen Rücktritt entschieden wegen Vorwürfen, das ganze war ein normaler politischer Vorgang, wenn er auch nicht jeden Tag vorkommt. Und dass der Staat sagt, ich verabschiede meinen obersten Diener – so möchte ich ihn ja doch auch bezeichnen - würdevoll, das finde ich richtig, und dass man jetzt nicht den größten Zapfenstreich in der Geschichte der Bundesrepublik da veranstalten muss, das würde ich auch so sehen. Aber zu sagen, nein, nein, wir lassen jetzt alles fallen und machen an der Rückseite des Schlosses Bellevue den Möbelwagen und das war’s, da bin ich auch der Meinung, das kann man durchaus so sehen, dass er sagt, nein, da muss schon auch eine Verabschiedung sein, wo der Staat sagt, jetzt verabschieden wir auch unser ehemaliges Staatsoberhaupt.

    Schulz: Rainer Erlinger, Jurist und Kolumnist der Süddeutschen Zeitung, dort Autor der "Gewissensfrage" und heute hier in den "Informationen am Morgen" bei uns im Deutschlandfunk. Danke!

    Erlinger: Ich danke.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.