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Komische Oper Berlin
Ein schrill-bunter Abend mit ganz viel Gefühl

Derzeit ist die Operette "Clivia" des österreichischen Komponisten Nico Dostal in Berlin der Publikumsrenner. Zu verdanken hat die schrill-bunte Inszenierung an der Komischen Oper dies vor allem ihrer brillanten Besetzung mit den Geschwistern Pfister und Christoph Marti in den Hauptrollen.

Von Mascha Drost | 09.03.2014
    Blick auf einen Theatervorhang.
    "Clivia" will nur eines: unterhalten. (dpa / XAMAX)
    Das tut man, in der Tat - man spricht nach dieser Premiere nur noch von Clivia, alias Ursli Pfister alias Christoph Marti. Ihm gehört der ganze Abend, die ganze bunte, schrille, grandiose Show - alles seins. Er hat kaum die Bühne betreten, da beginnt schon der Jubel - und steigert sich mit jedem Augenaufschlag, jedem Schmollmund, mit jedem Hüftschwung und jedem dramatisch aufgeladenen: "Hach". Die großen Filmdiven von Rita Hayworth bis Zarah Leander lassen grüßen, ihnen hat dieser Abend ein hingebungsvolles, aber auch liebevoll-ironisches Denkmal gesetzt.
    Warum gibt es so etwas eigentlich nicht öfter - eine Vorstellung, die sich nichts weiter vorgenommen hat, als zu unterhalten. Keine Belehrung, nirgends, kein erhobener Regietheaterzeigefinger, keine Bezüge zum aktuellen Weltgeschehen - stattdessen bunte, glitzernde Kulissen, wilde Tanzeinlagen, großes Operetten-Gefühlskino. Dabei hat das Stück einiges zu bieten - den bösen Kapitalisten Potterton, ein politischer Strippenzieher, der mithilfe des amerikanischen Geheimdienstes die volksnahe Regierung von Boliguay wegputschen möchte. Um ins Land zu gelangen, simuliert er einen Film und verheiratet seine Hauptdarstellerin, Clivia, mit einem vermeintlichen Gaucho – der sich später als Revolutionsführer entpuppt.
    Hanebüchen – aber für großes Entertainment reicht's. Was wird nicht alles aufgefahren: meterhohe goldglitzernde Blumen, eine geschwungene Showtreppe, üppig bemalte Kulissen, und - Riesenattraktion! - eine Amazonenarmee - Tänzerinnen in quietschblauem Satinfummel, halb Stewardess halb Go-go-Girl, die mit jedem erdenklichen Körperteil ihre bemerkens - und beneidenswerte Gelenkigkeit zur Schau stellen.
    Schmissig wie eine Jazzband das Orchester der Komischen Oper, hier nicht im Graben, sondern ganz stilecht auf der Drehbühne postiert.
    Kai Tietje, der musikalische Leiter, hat Nico Dostals Partitur musikalisch zugespitzt, noch rhythmisierter, noch knackiger klingen lassen, eine ohnehin schon wilde Mischung aus Foxtrott, Swing, Tango und Jazz. Gepfeffert die schnellen Nummern, mit der gerade richtigen Portion Kitsch die Schmachtfetzen - damit rettet die Musik sogar über den einen oder anderen inszenatorischen Hänger hinweg. Die gibt es, zugegebenermaßen, aber immer dann kommt Regisseur Stefan Huber mit einer neuen durchgedrehten Tanznummer um die Ecke und die Szene ist gerettet.
    Bei allem Klamauk, bei all den aufreizend hübschen Beinen, die unentwegt geschwungen werden, aller Ironie und ironischer Brechung - das Stück wird dennoch ernst genommen. Das macht diese und andere Produktionen der Geschwister Pfister auch so charmant - die Sympathie, die sie der Musik entgegenbringen, ob Schlager, Chanson oder Operette. Dass in einem Opernhaus nicht jede Stimme so präsent klingt wie in kleineren Cabarets - geschenkt. Und dass Christoph Marti als Clivia der unbestrittene Star des Abends ist, werden ihm die beiden anderen Geschwister Pfister nachsehen - Tobias Bonn in der Rolle des peitschenschwingenden Gaucho und Andreja Schneider als resolute Anführerin der Amazonenarmee. Dem bekannten Schauspieler Stefan Kurt ging es als Potterton, dem skrupellosen Geschäftsmann, ja auch nicht anders. Clivia, die weibliche Hauptfigur von einem Mann gespielt, ohne jede Peinlichkeit trotz unbändiger Lust am Klischee: Das dürfte der Besetzungscoup des Jahres sein.