Dienstag, 23. April 2024

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Komische Oper Berlin
Verhängnis Familie

Die Komische Oper in Berlin bot zwei attraktive Einakter: "Herzog Blaubarts Burg" von Bela Bartóks und Giaccomo Puccinis "Gianni Schicchi". Beim Erbe zeigen Angehörige unbekannte Züge, so auch in Puccinis Erbschleicherkomödie. Sie traf auf die ungefähr zeitgleiche Oper von Bartóks. In der Judith alles hinter sich gelassen hat und Blaubart auf dessen Burg folgt.

Von Mascha Drost | 03.03.2015
    Das Ewig-Männliche zieht uns hinab - hinab in die Tiefe, ins Seelendunkel, in menschliche Abgründe, deren Reich keiner unbeschadet wieder verlässt. Schon gar nicht, wenn Calixto Bieito am Werke ist. Eine Stunde lang umkreisen sich Herzog Blaubart und Judith, lässt er sie immer tiefer in die Geheimnisse seiner Burg, seiner Seele, seiner Vergangenheit eindringen; und auch wenn Libretto und Partitur einen versöhnlichen, unblutigen Ausgang offenlassen - Bieito schlägt diese Tür so vehement zu, wie Judith zuvor, das Öffnen der anderen verlangte. Dafür zahlt sie mit ihrem Leben, wird buchstäblich von der Last Herzog Blaubarts erdrückt.
    Eines muss man dieser Inszenierung zugestehen: Sie schafft Augenblicke höchster Intensität, Momente, in denen sich alle Sehnsüchte, alles Begehren wie unter dem Brennglas verdichtet. Hier stehen sich zwei Ebenbürtige gegenüber, unvereinbar in ihren Bedürfnissen - aber keiner dem anderen unterlegen.
    Es sind genug starke Momente, um die Schwächen des Abends zu überstrahlen - die ewigen vorhersehbaren Schmierereien mit Theaterblut etwa, das in den 90er-Jahren vielleicht en vogue war oder aber das ewige Fummeln im Schritt, egal ob den männlichen oder weiblichen - aber ohne Blut und Sperma ist Bieito wohl nicht zu haben, sei's drum. So schnell lässt sich ein derart raffiniert und überwältigend komponiertes zwischenmenschliches Psychogramm ohnehin nicht herunterbrechen.
    "Herzogs Blaubarts Burg" liegt Henrik Nanasi am Herzen. Er entlockt seinem Orchester hier einiges an impressionistischen Klangfarben, Atmosphäre und Geschmeidigkeit; noch überzeugender gelangen die gnadenlosen Orchestertutti mit gleißendem Blech, und orgelhafter Strahlkraft.
    Darstellerisch grandios sind Gidon Saks als "Blaubart" und Ausrine Stundyte als"Judith" - er ein glutvoller Bariton, aber mit weniger Durchschlagskraft denn dunkel-seelenvollem Timbre, sie als aggressiv-fordernde Liebende. Beide wunderbar besetzt.
    Einhelliger Jubel am Ende, der die erste Hälfte nahezu vergessen machte - hätten nicht die Knallchargen der ersten Premierenhälfte ihren Applaus gefordert und so an eine sehr unerfreuliche Begebenheit erinnert. An einen Gianni Schicchi, der so an in einem schlechten Volkstheater bestens platziert gewesen wäre.
    Die Typen waren zwar wunderbar zugespitzt und hätten aus jedem italienischen Vorort entsprungen sein können - das gut genährte Kind, la Mamma mit Kittelschürze, Lockenwicklern und Babybauch, der schmierige Vorstadtcasanova - aber: Keine Zote wurde ausgelassen, tausendmal unter den Rock oder in die Hose gefasst, gefurzt, gevögelt, mit Exkrementen hantiert - einfach schauerlich.
    Hatte zufällig ein Witz - vielleicht weil er zum ersten Mal zu sehen war - Funken geschlagen, kam schon der Holzhammer und schlug alles zunichte. Brachialhumor nennt man so etwas - und dafür ist diese Komödie und Puccinis Musik einfach zu schade.
    Bieito inszeniert gnadenlos über sie hinweg, zerschießt jede Melodie, jedes musikalische Innehalten, selbst der einzige Ruhepunkt dieses turbulenten Hamsterrades geht in Action unter.
    Der Erbschleicher Gianni Schicchi erbittet sich am Ende der Oper mildernde Umstände - gewährt, und wegen der gelungenen zweiten Hälfte gleich für den ganzen Abend.