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Kommunalwahlen in Polen
Das politische Erwachen vietnamesischer Einwanderer

Am Sonntag finden in Polen Kommunalwahlen statt. Unter den Kandidaten sind auch einige vietnamesische Einwanderer. Zehntausende von ihnen leben in Polen, erst jetzt aber entdecken sie die Politik für sich. Wie sie bei der Abstimmung abschneiden, interessiert auch die vietnamesische Regierung.

Von Florian Kellermann | 12.11.2014
    Auf dem Markt in der Bakalarska-Straße gibt es Kleidung zu günstigen Preisen. Eine Trainingshose kostet hier 4,50 Euro, eine Jeansjacke sechs Euro. Die Händler aus Afrika preisen ihre Ware an, suchen das Gespräch, die vietnamesischen Verkäufer lassen die Kunden in Ruhe stöbern.
    Nur ab und zu werfen sie einen Blick auf die Bühne, die heute am Eingang steht: Die linksgerichtete Partei SLD wirbt für ihre Kandidaten bei der Kommunalwahl am Sonntag, unter ihnen drei Warschauer mit vietnamesischen Wurzeln. Eine Folklore-Darbietung soll die Einwanderer überzeugen.
    Sogar der Bürgermeister-Kandidat der SLD ist gekommen, obwohl er den Menschen hier nicht viel zu sagen hat: Der Markt möge immer größer und schöner werden, sagt er nur. Dabei kämpfen viele der Händler um ihre Existenz, erklärt Son Krejner, einer der Kandidaten.
    "Ständig kommen die Polizei und andere Behördenvertreter und überprüfen die Händler. Wenn dann einer Socken für ein paar Zloty verkauft, ohne einen Kassenzettel auszuhändigen, dann verpassen sie ihm gleich eine horrende Strafe. Bis zu 1.800 Zloty, habe ich gehört. Das ist doch nicht verhältnismäßig, das ist nicht gerecht."
    Diskriminierung der eingewanderten Händler
    1.800 Zloty sind über 400 Euro, dafür arbeitet ein Markthändler zwei Wochen lang. Die polnischen Händler lässt die Polizei dagegen in Ruhe, sagen die Menschen hier auf dem Markt.
    Son Krejner will, dass sich das ändert. Er kandidiert für den Rat des Stadtteils, in dem der Markt liegt. Der 55-Jährige kam als Student nach Polen, wie so viele Vietnamesen in den 1970er-Jahren. Und wie viele von ihnen schlug er sich mit ganz verschiedenen Jobs durchs Leben: Er gründete Restaurants, spielte in einem Film den vietnamesischen Mafioso und arbeitet heute im Import-Export-Geschäft.
    Nach verschiedenen Schätzungen leben heute zwischen 30.000 und 40.000 vietnamesische Einwanderer und ihre Nachkommen in Polen, die meisten in Warschau. Warum sie erst jetzt in die Politik drängen, kann keiner von ihnen so genau sagen. Wahrscheinlich liegt es am Selbstbewusstsein der jungen Generation, das auch den Älteren Mut macht.
    Ton Van Anh, 35 Jahre alt, ist seit Jahren politisch aktiv. Die Soziologie-Absolventin organisiert Protest gegen Menschenrechtsverletzungen in Vietnam. Außerdem hilft ihre Organisation „Freies Wort" Immigranten, auch denen, die illegal in Polen ankommen. In ihrem Wahlkampfbüro faltet und stempelt sie Zeitungen. Jetzt will sie in den Rat des Innenstadt-Viertels „Srodmiescie", um polnische Politik mitzugestalten.
    "Rund 2.000 Vietnamesen haben in den vergangenen Jahren einen Asylantrag gestellt, nur vier Personen wurden als Flüchtlinge anerkannt. Polen will einfach nicht zugeben, dass Vietnam eine Diktatur ist, die ihre politischen Gegner verfolgt. Ein Teil der Vietnamesen, die kommen, erhält einen anderen Status, als Arbeitsimmigranten. Aber die meisten reisen illegal ein und bleiben hier auch illegal."
    Probleme über mehrere Generationen
    Andere Probleme haben diejenigen, die schon lange in Polen leben. So tritt Ton Van Anh dafür ein, dass Schulen einen Eltern-Betreuer beschäftigen. Denn viele aus der Einwanderer-Generation sprechen schlecht polnisch und können sich mit den Lehrern gar nicht über ihre Kinder unterhalten.
    Noch ist unklar, ob die verschiedenen Kandidaten vietnamesischer Herkunft - wenn sie denn gewählt werden - auch an einem Strang ziehen werden. Ton Van Anh tritt für eine unabhängige Wählerinitiative an. Sie kann nicht verstehen, warum andere sich für die linksgerichtete SLD entschieden haben. Denn die SLD wurde von Politikern der ehemaligen Einheitspartei im sozialistischen Polen gegründet - und pflegt ein freundschaftliches Verhältnis zu den heutigen Machthabern in Hanoi.
    "Deshalb berichten auch die Medien in Vietnam über die Kommunalwahlen in Polen. Sie beschreiben es als Erfolg, dass die Einwanderer für eine - wie sie es darstellen - kommunistische Partei antreten. Die Minderheiten-Vertreter, die auf der Liste der SLD stehen, helfen so der vietnamesischen Staats-Propaganda.
    Polen ist zwar weit weg von Vietnam. Trotzdem fürchteten die Machthaber dort, in Warschau, könne ein Zentrum der vietnamesischen Opposition entstehen, sagt Ton Van Anh.
    Deshalb werden am Sonntag nicht nur die Warschauer gespannt verfolgen, wie die vietnamesischen Kandidaten abschneiden werden.