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Kommunikation in Zeiten der Katastrophe

Als am 11. März letzten Jahres das große Erdbeben Japan erschütterte und die Tsunami-Welle das Kernkraftwerk Fukushima unter sich begrub, wurde damit auch die Gewissheit zerstört, dass solche Katastrophen in hoch technisierten, weit entwickelten und demokratisch strukturierten Gesellschaften nicht möglich seien. Die Ohnmacht der Regierung bei der Bewältigung des GAUs schockierte die japanische Bevölkerung.

Von Eva-Maria Götz | 09.02.2012
    Die insgesamt ruhige Reaktion der betroffenen Menschen wiederum irritierte die Weltöffentlichkeit. Japanologen wurden zurate gezogen, sie sollten die Sachlage erklären. Doch sie stießen damit selbst an ihre Grenzen, waren auf die Fragen nicht ausreichend vorbereitet. Das meint zumindest der Bonner Japanologe Reinhard Zöllner und lud Wissenschaftler in die Universität Bonn zum ersten Teil der "Fukushima-Diskurse".

    Als am 11. März vor einem Jahr das große Erdbeben Japan erschütterte und die Tsunami-Welle das Kernkraftwerk Fukushima unter sich begrub, wurde damit auch die Gewissheit zerstört, dass solche Katastrophen in hoch technisierten, weit entwickelten und demokratisch strukturierten Gesellschaften nicht möglich seien. Die Ohnmacht der Regierung bei der Bewältigung des GAUs schockierte die japanische Bevölkerung.

    Die insgesamt ruhige Reaktion der betroffenen Menschen wiederum irritierte die Weltöffentlichkeit. Japanologen wurden zurate gezogen, sie sollten die Sachlage erklären. Doch sie stießen damit selbst an ihre Grenzen, waren auf die Fragen nicht ausreichend vorbereitet. Das meint zumindest der Bonner Japanologe Reinhard Zöllner und lud Wissenschaftler in die Universität Bonn zum ersten Teil der "Fukushima-Diskurse".

    "Jedem von uns war bewusst, dass es Erdbeben geben kann, ich selbst habe aber nie in Japan auch nur ein Atomkraftwerk von Weitem angesehen, die meisten von uns arbeiten in Bereichen, wo solche Risiken scheinbar weitab vom Schuss sind, und öffentlich diskutiert haben wir auch untereinander nicht über solche Gefahren. Was mich dann doch sprachlos gemacht hat, war, dass es uns an eigenen Informationen fehlte, aber auch an Ausdrucksmöglichkeiten, unsere heimische Klientel mit zuverlässigen Informationen rasch zu versorgen, um bestimmte Eindrücke der ersten Wahrnehmung ins rechte Licht rücken zu können."

    Das Manko, das Reinhard Zöllner, Leiter des Lehrstuhls für Japanologie an der Universität Bonn, hier beschreibt, soll sich nicht wiederholen. In Vorbereitung zum Jahrestag des Unglücks lud er deshalb zur Bestandsaufnahme: Was ist in Japan in den letzten zwölf Monaten passiert, wie hat sich das Land durch die Katastrophe verändert. Sein Fazit:

    "In manchen Bereichen tritt man auf der Stelle, wenn es um die Neuplanung von zerstörten Städten geht, in vielen zerstörten Gegenden weiß man nicht, wie man weitermachen soll. Die Präfektur Fukushima ist praktisch gelähmt und befindet sich in einem desaströsen Zustand, und die politische Führung in Tokio hat sich teilweise deutlich verbessert. Aber von Lösungsansätzen, die wirklich aktiv auf eine Neudefinition der Energiepolitik hinauslaufen, ist man noch weit entfernt."

    Diese düstere Einschätzung kann Mishima Kenichi, Sozialphilosoph an der Wirtschaftsuniversität Tokio nur bestätigen:

    "Mit dem japanischen Staat ist so, dass die wichtigen Entscheidungen nicht im Parlament beschlossen werden, sondern da oben im ministeriellen Apparat. Das muss dann abgesegnet werden, aber die Legislative und Exekutive sind verschmolzen und das sind dann viele Lobby-Interessen da, und daran wird sich nicht soviel ändern."

    Jede Kritik, aber auch jede neue Idee prallten ab am Zynismus der herrschenden Klasse und der vorgespielten Alternativlosigkeit der Atomenergie, für die die Reaktorexplosion wenig mehr als ein Betriebsunfall sei, meint Mishima Kenichi. Allerdings zeige der monolithische Block der Lobbyisten bereits erste Risse:

    "Es ist zum Beispiel diese ganze Branche, die mit dem Handel zu tun hat, Supermarkt, Lebensmittelindustrie, diese ganze Branche ist total für den Ausstieg aus der Atomenergie, weil das in ihrem Berufsinteresse ist, wenn das Lebensmittel verseucht ist oder mit der Luft, ist das natürlich absatzschädigend."

    Die Frage, warum die japanische Bevölkerung nicht schon vor dem Unglück alarmiert gewesen sei angesichts der großen Zahl von Atomkraftwerken im eigenen Land und den damit verbunden Gefahren, beantwortete Wolfgang Seifert vom Institut für Japanologie der Universität Heidelberg mit einem Blick auf die Geschichte des Landes. So sei der in der Verfassung eingeschriebene Wille zur Technologieentwicklung als Grundlage für Wohlstand und Sicherheit prägend für den öffentlichen Diskurs. Zwar habe es auch früher durchaus kritische Wissenschaftler gegeben, sie fanden nur kein Gehör. Seifert warnte davor, so etwas wie eine "typisch japanische Mentalität" für die scheinbare Sorglosigkeit verantwortlich zu machen. Es gäbe historische, aber keine charakterlichen Gründe für den Umgang mit der Katastrophe.

    "Von Fatalismus kann überhaupt keine Rede sein. Was mir immer wieder bestätigt wurde: Das Land befand sich in den ersten 1,2 Wochen im Schockzustand. Die wussten nicht, wie viele sind tot, wie komme ich an meine Verwandten ran, was ist überhaupt passiert, wie wird berichtet, was macht die Regierung. Dann erst, als klar war: Es wird nicht berichtet, Informationen, die es gab, werden zurückgehalten, da entstand Wut","

    widerspricht auch Professorin Steffi Richter von der Universität Leipzig dem Eindruck, die Japaner hätten mit stoischer Ruhe auf das Ereignis reagiert. Steffi Richter beschäftigt sich mit den Protestbewegungen, die sich in den letzten Monaten entwickelt haben. Zum Beispiel dem "Aufstand der Laien", die schon kurz nach dem Erdbeben zu einer ersten Demonstration aufgerufen haben:

    ""Und das hat sich über die Neuen Medien, Internet, Facebook, Twitter dermaßen herumgesprochen und ist dann auch während der Demonstration selber immer noch angewachsen, sodass an dieser ersten Demonstration 15.000 Leute in einem relativ kleinen Areal zusammengekommen sind, und ich denke, die Leute selber waren relativ überrascht."

    Seitdem hat die Zahl der Aktionen zugenommen, auch wenn es oft nur kleine Initiativen sind, über die kaum berichtet wird. Dem Desinteresse der öffentlichen Medien stehen die Möglichkeiten des Internets entgegen. Und so gab es im Januar den weltweit größten Kongress von Atomkraftgegnern in Tokio und am 12. Februar folgt dort eine weitere große Demonstration.

    "Es findet eine große Aufklärungsbewegung statt über dieses Ereignis, über die Art und Weise des Sich-schützen-Könnens und auch über die Art und Weise, was Radioaktivität mit einer Gesellschaft, mit Menschen machen kann, und wie überhaupt die Strukturen geschaffen wurden, dass es zu dieser Situation gekommen ist, dass in einem Land, dass 0,3 Prozent des Weltterritoriums einnimmt, über 10 Prozent der Atomreaktoren steht."

    Gemeinsam mit Professor Lisette Gebhard von der Universität Frankfurt hat Steffi Richter die Webseite Textinitiative Fukushima ins Leben gerufen, auf der Diskurse der japanischen Atomkraftgegner übersetzt veröffentlicht werden:

    "Auslöser war für mich die Problematik der sogenannten Atom-Gypsy, also der Arbeiter in den Kernkraftwerken, die die Drecksarbeit machen. Da wollte ich mehr drüber wissen und dann schrieb mir eine Kollegin, ach, da sitz ich auch grad dran an dem Text und ich dachte, das ist doch Quatsch, da müssen wir uns irgendwie organisieren, dass nicht bei den ohnehin wenigen Kapazitäten noch doppelt übersetzt wird."

    Die Aufmerksamkeit innerhalb und außerhalb Japans für erste vorsichtige Veränderungen in der Gesellschaft wächst. Und die Menschen dort verlassen sich nicht mehr nur auf die Regierung. Zöllner:

    "Die Menschen sind ins Grübeln gekommen- das sind schon Bewegungen, die der japanischen Gesellschaft insgesamt nutzen werden. Zum Beispiel das Installieren von unabhängigen Messstationen von Untersuchungsmöglichkeiten für Menschen, die glauben, dass sie verstrahlt wurden, das sind ganz konkrete Dinge, wo man sich nicht mehr auf den Staat verlassen wollte, sondern gesagt hat, das müssen wir jetzt selbst in die Hand nehmen."

    Wenn auch Mishima Kenichi warnt:

    "Ich bin immer dagegen, dass man nur über Fukushima redet, Fukushima allein bringt keine Veränderung, es gibt nur andere politische Themen, da müssen auch öffentliche Diskussionen mitspielen. Nur zu hoffen, dass in diesem atomaren Bereich Öffentlichkeit mitarbeiten sollte, ist eine Illusion. Bei allen politischen Themen müsste Öffentlichkeit mit beitragen. Da fehlt ein bisschen die Bereitschaft auch in der Öffentlichkeit."

    In Bonn wird es in sechs Wochen das nächste Symposium zum Thema Fukushima geben. Auch an anderen Universitäten wie zum Beispiel in Frankfurt sind Tagungen, Forschungs- und Übersetzungsprojekte geplant. Damit die Japanologen nicht noch einmal in Zugzwang kommen. Reinhard Zöllner:

    "Das Wissen, dass Japan ein gefährdetes Land ist, ist nicht neu. Es wurde sehr lange den Naturwissenschaften und Geowissenschaften überlassen, sich darum zu kümmern. Wir haben uns als Kulturwissenschaftler verstanden. Aber ich fürchte, die Natur gehört zu den Bedingungen, unter denen Kultur überhaupt nur möglich ist."
    Arbeiter im Reaktor im japanischen AKW in Fukushima am 2.4.2011.
    Arbeiter im Reaktor im japanischen AKW in Fukushima am 2.4.2011. (picture alliance / dpa)