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"Kommunikationsstrategie der Bundesregierung ist grottenschlecht"

Spätestens nach den Vorwürfen von Edward Snowden, hätte die Bundesregierung durch die Präsidenten ihrer Dienste beim Thema NSA völlig die Hosen runterlassen müssen, sagt Michael Hartmann, innenpolitischer Sprecher der SPD.

Michael Hartmann im Gespräch mit Christine Heuer | 23.07.2013
    Christine Heuer: Beinahe täglich kommen neue Details darüber ans Licht, wie die Amerikaner das weltweite Netz ausspähen, und neuerdings auch darüber, welchen Anteil daran die deutschen Dienste und deren Aufsicht, die deutsche Bundesregierung, haben. Dabei steht im Moment das NSA-Spähprogramm XKeyscore im Mittelpunkt des Interesses hierzulande. Es ermöglicht, viele Millionen Datensätze zu erfassen und auszuwerten. Das Bundesamt für Verfassungsschutz testet nach eigenen Angaben XKeyscore, der Bundesnachrichtendienst tut das vielleicht auch. Ist das jetzt schon eine Verletzung deutschen Rechts oder nicht? Unter anderem darüber streiten sich die Parteien im Augenblick und erwarten alsbald wichtige Informationen vom Koordinator der deutschen Geheimdienste, von Kanzleramtsminister Ronald Pofalla.
    Am Telefon ist Michael Hartmann, innenpolitischer Sprecher der Sozialdemokraten im Bundestag. Er ist auch Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium, in dem die Fraktionen über wichtige Entwicklungen bei den deutschen Geheimdiensten informiert werden oder informiert werden sollen. Guten Tag, Herr Hartmann!

    Michael Hartmann: Ich grüße Sie.

    Heuer: Hans-Peter Uhl von der CSU hat heute Morgen gesagt, solange XKeyscore nur getestet würde, müsse das Parlament nicht informiert werden. Sind Sie damit einverstanden?

    Hartmann: Nein, überhaupt nicht, denn spätestens nach bekannt werden all der Vorwürfe, die Herr Snowden wohl mit einigem Faktenhintergrund erhoben hat, hätte doch die Bundesregierung durch die Präsidenten ihrer Dienste völlig die Hosen runterlassen müssen. Wir müssen doch wissen alles über Art und Umfang der Zusammenarbeit mit NSA, wie das aufgewachsen ist, welche Dateien eingesetzt werden. Wenn uns nun gesagt wird, uns wurde da ein wichtiges Programm geschenkt, das wir momentan erproben, frage ich mich, ob dieses Geschenk zum Beispiel ganz uneigennützig erfolgte. Die Kommunikationsstrategie der Bundesregierung ist grottenschlecht.

    Heuer: Ist es denn bisher schon üblich, dass über Dinge, die noch gar nicht beschlossen worden sind, das Parlamentarische Kontrollgremium informiert wird?

    Hartmann: Das Parlamentarische Kontrollgremium muss richtig fragen, dann erhält es Antworten, und über relevante Ereignisse ist es sowieso zu informieren. Nun kann man sagen, dazu gehört nicht die Testphase eines bestimmten Programms, aber in Zeiten, in denen das Thema NSA, Ausforschung deutscher Bürger mit Hilfe und durch die NSA in aller Munde ist, muss man doch wirklich sagen, wo und was genau stattgefunden hat, anstatt sich immer kleine Bruchstücke herauslösen zu lassen. Das sorgt doch nur für mehr Misstrauen, das sorgt doch nur für mehr Verdacht, und das ist alles nicht gut, weder für die Dienste noch für die deutsche Öffentlichkeit. Wir müssen alles wissen, es muss uns alles gesagt werden und es geht nicht an, dass wir der Bundesregierung immer die Würmer aus der Nase ziehen.

    Heuer: Von Hans-Peter Uhl haben wir heute auch erfahren, Herr Hartmann, dass bis zu 40 weitere Dinge, wie er sagt, gerade getestet werden. Darüber wollen Sie jetzt also auch informiert werden, wenn ich das richtig verstehe?

    Hartmann: Jetzt weiß ich nicht, was der Kollege Uhl mit 40 Dingen meint. Ich will alles wissen, was Zusammenarbeit anbelangt auf der Ebene der Nachrichtendienste zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA, besonders so weit es NSA betrifft. Wir müssen da volle Akteneinsicht erhalten und die Regierung muss durch ihre Dienste vollständig informieren. Alles andere hilft nicht weiter und wird nur größeren Schaden anrichten.

    Heuer: Nun sind ja Informationen das eine, der Test an sich ist etwas anderes. Müsste vor einem Test nicht eigentlich entschieden sein, ob wir das, was ein Programm kann, überhaupt anwenden dürfen oder auch überhaupt anwenden wollen?

    Hartmann: Ich gehe davon aus, dass erst einmal geprüft wird, ob nach deutschem Recht und Gesetz der Einsatz bestimmter Programme notwendig ist. Es ist ja schon schade, dass wir uns Programme schenken lassen müssen, völlig uneigennützig – ich wiederhole das bewusst – seitens der USA. Warum haben wir nicht eigene? Warum sind wir da nicht gut genug und warum sind wir da auf Hilfe aus den USA angewiesen? Das ist die Grundsatzdiskussion, die unter anderem hinter all den aufgeregten Debatten des Tages steht, aber auch dazu höre ich nichts von der Bundesregierung.

    Heuer: Aber noch einmal die Frage, Herr Hartmann. Müsste vor einem Test nicht eine politische Entscheidung stehen?

    Hartmann: Erstens: Wir brauchen Informationen. Zweitens: Wir müssen Informationen mit den USA austauschen in diesem Falle. Und drittens: Das muss alles nach deutschem Recht und Gesetz geschehen und das muss als Allererstes geprüft werden. Das ist Verantwortung der Dienste und natürlich auch im Kanzleramt bei Herrn Pofalla angesiedelt zu entscheiden – in der Tat!

    Heuer: Nun sagt der Verfassungsschutz, wir testen, was XKeyscore bringt, wenn Daten analysiert, aber nicht, wenn sie erfasst werden. Das wäre ja grundgesetzkonform. Heißt das, die SPD hat nichts gegen dieses Programm?

    Hartmann: Die SPD ist noch gar nicht über dieses Programm richtig informiert. Was wir kennen, sind die Veröffentlichungen des "Spiegel" und darauf folgende weitere Berichterstattungen. Was ich kenne, sind persönliche Informationen, die mir Herr Maaßen übermittelt hat. Was ich aber brauche, ist ein genau detailliertes Informieren und Diskutieren im Kontrollgremium. Dazu besteht am Donnerstag die Möglichkeit. Dann kann ich Ihnen sagen, ob das alles gut ist. Ich halte es jedenfalls grundsätzlich, Sie haben es gemerkt, nicht für gut, dass wir uns leihweise oder geschenkeweise Programmen bedienen, die aus den USA und von der NSA kommen.

    Heuer: Ich höre bei Ihnen aber auch heraus, Herr Hartmann, dass Sie nicht unbedingt dagegen sind, solche Programme wie XKeyscore tatsächlich auch zu nutzen. Sie von den Sozialdemokraten aus sind nicht unbedingt gegen das Programm?

    Hartmann: Ich bin nicht dagegen, dass wir sicherheitsrelevante Informationen auf einer Basis, die hier durch Grundgesetz und Einzelgesetze abgedeckt ist, erheben, beziehungsweise wenn das alles so stimmt, wie es uns jetzt geschildert wird, einfach bereits vorhandene Daten noch mal neu zusammenfassen und auswerten. Das muss grundsätzlich möglich sein.

    Heuer: Also ist es auch möglich, dass Herr Pofalla Ihnen am Donnerstag eine Auskunft gibt, mit der Sie dann zufrieden sind?

    Hartmann: Herr Pofalla wird am Donnerstag in vier Jahren dieser Wahlperiode überhaupt zum zweiten Mal im Kontrollgremium erscheinen. Er hat sich als Koordinator bisher sehr rargemacht und auch jetzt muss er immer halb genötigt werden. Ich freue mich über jede befriedigende Antwort, die er geben kann und die über abgezirkelte Sprechblasen hinausgehen.

    Heuer: Wonach werden Sie ihn vor allen Dingen fragen, außer XKeyscore, worüber wir ja jetzt ausführlich gesprochen haben? Was interessiert Sie außerdem noch ganz zentral?

    Hartmann: Ich sage es so kurz wie möglich: Art und Umfang der Zusammenarbeit mit NSA und weiteren Diensten, dann die Frage, gab es wirklich ein Signal, dass deutscher Datenschutz gebeugt werden soll, wir müssen wissen, was steckt nun wirklich hinter Prism eins und Prism zwei und warum wurden wir da bruchstückhaft und zum Teil falsch informiert, und ich möchte wissen, was in Wiesbaden genau gebaut wird, und last not least, was tut die Bundesregierung Richtung Großbritannien - davon redet niemand mehr; Tempora war ja auch mal ein Stichwort – und was tut sie außerdem, um deutschen Datenschutz und deutschen Grundrechtsschutz international auch gegenüber den USA durchzusetzen.

    Heuer: Welchen Anteil, Herr Hartmann, trägt eigentlich die SPD an der Entwicklung, die wir jetzt zum Teil ja fassungslos beobachten?

    Hartmann: Ich nehme das ja auch wahr, dass nun Nebelkerzen geworfen werden und immer auf 2001 verwiesen wird. Wahr ist, dass natürlich nach 2001 – es war schließlich die Hamburger Zelle um Mohammed Atta, die diese schrecklichen Attentate in den USA begangen haben – die Zusammenarbeit ausgeweitet und intensiviert wurde. Aber zu keinem Zeitpunkt wurde in sozialdemokratischer Regierungsverantwortung ein Tor aufgemacht, um quasi das anlasslose Ausspähen deutscher Staatsbürger auch nur zu dulden. Da bin ich mir sehr, sehr sicher. Wenn Sie sich die Entwicklung anschauen, die NSA und die Programme in den USA genommen haben, dann können Sie auch feststellen, dass das alles erst später explodiert ist und die technischen Möglichkeiten auch sehr viel später erst erweitert wurden, und da hätte es schon eines kritischen Nachfragens bei unseren Partnern bedurft.

    Heuer: Vielleicht aber auch seitens der SPD, denn sehr viel später war ja zum Beispiel 2009 und bis dahin war die SPD mit in der Regierung.

    Hartmann: Ja, ja. Aber schauen Sie sich an, wann diese Programme tatsächlich gesetzt wurden, wann NSA so wahnsinnig viele technische und personelle Kapazitäten ausgeweitet hat. Das hat 2007 begonnen, einverstanden, da waren wir noch in der Regierungsverantwortung. Aber die wahre Explosion hat ab da und in den folgenden Jahren stattgefunden. Es geht jetzt nicht an, vier Jahre Untätigkeit dieser Regierung und ein wirklich schlechtes Management der SPD in die Schuhe schieben zu wollen und zu können. Die Rechnung wird nicht aufgehen.

    Heuer: Aber vielleicht müssen Sie sich die Verantwortung schon teilen?

    Hartmann: Ich stehe zu jeder Verantwortung, die in der Konsequenz bedeutet, dass wir Sicherheit für unser Land wollen, aber diese Sicherheit immer unter Wahrung des Grundrechtsschutzes für unsere Bürgerinnen und Bürger. Das war immer der Kurs der Bundesregierung. Und mit Verlaub, an eines sei erinnert: Nach 2001 wurden wir gerade von CDU und CSU, aber auch von der FDP dringend dazu aufgefordert, doch nicht so streng zu sein mit dem Datenschutz, den Amerikanern doch mehr zu geben und, bitte schön, unbedingt beizutragen, dass alles wie am Schnürchen läuft und ausgetauscht wird. Auch diese Worte sollten nicht vergessen werden. Die damalige Kritik haben wir Gott sei Dank nicht angenommen, wir haben die Standards gewahrt.

    Heuer: Michael Hartmann, der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, war das im Interview mit dem Deutschlandfunk. Herr Hartmann, vielen Dank.

    Hartmann: Sehr gerne.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.