Freitag, 29. März 2024

Archiv


Komödie der Raffgier

Tom Wolfe legt mit "Back to Blood" einen fesselnden Gesellschaftsroman vor, der einer geltungssüchtigen amerikanischen Gesellschaft den Spiegel vorhält. Auf fulminante Weise bringt er mit einer Fülle an Stoff und Handlungsfäden die Themen Herkunft, Status, Sex und Geld zusammen.

Von Eberhard Falcke | 09.06.2013
    Als sich Thomas Mann einst von seiner Katja durch die Lande chauffieren ließ, musste er sich über den frechen Pöbel erregen, der es wagte, den bedeutenden Geist in seinem Prestigemobil zu überholen. Das sind so die kleinen Kränkungen, mit denen der Mensch in modernen Gesellschaften, wo allseitige Mobilität nach oben und unten, vorn und hinten gilt, zu rechnen hat. Durch Migration und Einwanderungsgesellschaft wurden diesem Tatbestand noch einige weitere aufregende Akzente hinzugefügt. Damit hat sich der Reporter-Schriftsteller Tom Wolfe seit den siebziger Jahren, also praktisch zeit seines Lebens auseinandergesetzt. Und mit solchen Statuswettbewerben, die durch ethnische Differenzen gesteigert und gewürzt werden, beschäftigt er sich auch ebenso hingebungsvoll wie ausführlich in seinem neuesten Roman "Back to Blood".

    Das beginnt schon damit, dass Edward T. Topping IV. mit seiner Ehefrau Mac zu einer Essensverabredung im Freundeskreis etwas spät dran ist und sich auf dem Parkplatz des Restaurants partout keine Lücke auftun will. Dabei gehört dieses Paar zu jenen, denen üblicherweise alle Türen offenstehen. Ja mehr noch: Die beiden bilden ein wahres Exzellenz-Paket an sozialem Rang. Beide sind sie White Anglo Saxon Protestants aus alten Familien, ausgebildet an den besten Universitäten, Edward hat als Chefredakteur des Miami Herald viel zu sagen und durch ihr Fahrzeug, einen nagelneuen "Mitsubishi Green Elf Hybrid" sind sie auch noch mühelos als verantwortungsvolle, umweltbewusste Mitglieder der Gesellschaft erkennbar. Und da wird nun gerade vor ihnen ein Plätzchen frei, Erleichterung stellt sich ein, und Genugtuung, denn der hinter ihnen röhrende Ferrari wird das Nachsehen haben. Doch dann, plötzlich, während der Vorgänger aus der Parklücke heraus rangiert, taucht der aggressive Sportwagen, der gerade noch hinten war, in der Pole-Position auf und schnappt dem Elitepaar den Parkplatz vor der Nase weg.
    Schock, Bestürzung - und bango - Eds und Macs zentrale Nervensysteme ertranken in ... Erniedrigung. Das verschwom¬mene Weiß war der Ferrari 403. Der verschwommene Hauch Schwarz waren die Haare der unverschämten Schlampe. Sie hatte schneller zugeschlagen, als man es aussprechen konnte. In dem Augenblick, als sie erkannt hatte, dass sich eine Park¬lücke auftat, hatte die unverschämte Schlampe kehrtgemacht, war um die Wand aus Wagen herumgeschleudert, war ihre Fahrspur gegen die Fahrtrichtung hinaufgerast und dann in die Parklücke geschossen. Wofür sonst hatte man einen Ferrari 403? Und was blieb einem Gut¬menschenauto wie dem Green Elf übrig, als Gutes für den ge¬schundenen Planeten Erde zu tun und alles andere zu ertragen ...

    Als Eds Frau die "Schlampe" zur Rede stellt, muss sie eine weitere Demütigung erfahren. Denn die Kontrahentin erweist sich als atemberaubende Latina-Schönheit, die nicht im Traum daran denkt, jene gesitteten, politisch-korrekten Umgangsregeln zu respektieren, die nicht zuletzt als Schutz für die Angehörigen von Einwanderergemeinden, Leute wie sie also, betrachtet werden. Stattdessen packt die junge Dame alles aus, was sie hat, Sex-Appeal, Konsumstatus, ethnische Feindseligkeit und unverschämte kubanische Beleidigungen, um es der Gattin des Großjournalisten tüchtig zu besorgen.

    Tom Wolfe hat diese rasant durchgespulte Szene seinem Roman als "Prolog" vorangestellt, als Ouvertüre könnte man auch sagen, weil darin schon der größte Teil der Themen anklingt, um die es gehen wird.

    "Back to Blood", "Zurück zum Blut" das ist die Formel, die das alles bezeichnen soll, sie gibt den Romantitel sowohl für die Originalausgabe als auch für die deutsche Übersetzung ab.

    Schon in seinem ersten und erfolgreichsten Roman "Fegefeuer der Eitelkeiten" hatte Wolfe das Phänomen auf den Begriff gebracht. Der weiße Bürgermeister von New York wurde dort im schwarzen Harlem von einer aufgewiegelten Menge niedergeschrien, die Rassenkonflikte hatten sich zu unüberwindlichen Spaltungen der Gesellschaft verschärft. Daraus zog eine der beteiligten Figuren das Fazit:

    "Zurück zur eigenen Rasse! Sie und wir!"

    Das war eine Absage an die Idee des "Melting Pot", des "Schmelztiegels", der lange als das Signum der amerikanischen Einwanderungsgesellschaft galt und als politische Harmonisierungsideologie gepflegt wurde. Damals war es der Zorn der Afroamerikaner über verweigerte Integrationschancen, der die offensive Abgrenzung motivierte. Inzwischen sind andere Gründe hinzugekommen. Der Chefredakteur des Miami Herald formuliert es im neuen Roman von Tom Wolfe frustriert und erbittert so:

    »Für jeden ... für wirklich alle ... gibt's nur noch eins: Zurück zum Blut! Die Religion stirbt ... aber an irgendwas muss doch jeder glauben. Tja, liebe Leute, dann bleibt uns nur noch eins, das uns verbindet: das Blut, die Blutlinien, die durch unsere Körper strömen. >La Raza!<, schreien die Puerto Ricaner. >Die Rasse!<, schreit die ganze Welt. Alle Menschen, alle Menschen überall, haben nur noch einen Gedanken - Zurück zum Blut.«
    Das Thema "Back to Blood" ist also nicht neu, weder historisch noch für den Autor Tom Wolfe. Nun aber hat er Miami als Schauplatz gewählt, das ewig-sonnige Florida, wo sich bekanntlich bereits in den sechziger Jahren nach Fidel Castros Revolution eine große Gemeinde von Exil-Kubanern gebildet hat.

    Für Nestor Camacho allerdings spielt das Exil keine Rolle mehr, er ist ein geborener US-Bürger, wenn auch geprägt vom kubanischen Migrationshintergrund. Er gibt den Protagonisten des nächsten Zusammenstoßes an den ethnischen Konfliktlinien ab, von dem Tom Wolfe erzählt. Nestor Camacho gehört zu einer Patrouille der Wasserpolizei von Miami. Dadurch gerät er auf fatale Weise zwischen alle Fronten, als ein Notruf meldet, dass sich ein kubanischer Flüchtling aus dem Wasser auf eine Segeljacht und vom Deck der Jacht auf die höchste Mastspitze gerettet hat, von der er, panisch und entkräftet, wie er ist, jederzeit abstürzen kann. Nestor Camacho, der sich seine stählernen Muskeln beim Seilklettern antrainiert hat, erhält den Befehl, den Mann - je nachdem, wie man es sehen will - zu retten oder festzunehmen. Die kubanischstämmigen Zuschauer, die das Schauspiel von einer Brücke aus beobachten, wollen den Fall allerdings nur unter einem Aspekt sehen: dass ihr verfolgter Landsmann nur deshalb vom Mast geholt wird, damit er in Castros Kuba zurückgeschickt werden kann.

    Mit zwei grimmigen Faust-an-Faust-Griffen erreicht er den Bootsmannsstuhl und versucht ein Bein des Mannes zu packen ... Nestor kauert sich in den Bootsmannsstuhl ... Für einen Augenblick kann er den Mob auf der Brücke sehen. Köpfe schießen in die Höhe ... ein Schild! Einer hält ein primitives Schild hoch ... COPS FIDELISTAS TRAIDORES .... noch nie haben ihn so viele Menschen gehasst. Er schaut nach unten ... Schwindel. Das Wasser eine blaugraue Platte aus Stahl mit darübertänzelnden Lichtblitzen. Boote! ... Kleine Boote rund um den Schoner ... ein Boot - ein Schild. Steht da wirklich, was er glaubt, dass da steht? ... asilo ahora!

    Nestor Camacho gelingt es, den Flüchtling mithilfe einer herkulischen Beinklammer in Sicherheit zu bringen. Die angloamerikanischen Medien feiern ihn dafür als Helden. Den Sendern und Zeitungen der kubanischen Gemeinde hingegen gilt er fortan als Verräter. Er, der es zu einer Karriere als Polizist gebracht hat, bekommt es nun mit all seinen Landsleuten zu tun, nur weil er, wie es sein Job ist, amerikanisches Recht durchgesetzt hat.

    So gesehen besagt "Back to Blood", dass die Loyalität der ethnischen Gruppen nicht der Gesellschaft gilt, in der sie leben, sondern der Migrantengemeinde, der sie angehören. Trotzdem geht es in diesem Roman nicht darum, den multikulturellen Gesellschaften ihr Scheitern zu attestieren. "Back to Blood" ist ein Gesellschaftsroman, kein Thesenroman. Und Tom Wolfe ist kein vernagelter Konservativer, der irgendwohin zurück will. Er weiß, dass sich alles bewegt, die Geschichte, die Menschen, die sozialen Einstellungen. Diese Bewegungen des kruden Lebens und die daraus resultierenden sozialen Phänomenen aber sind es, die er als Reporter und Schriftsteller seit je mit der größten Neugier und ohne Rücksicht auf politisch korrekte Sprachregelungen verfolgt. Er sieht sich als Realist im Gefolge von Balzac und Zola oder Gogol, worauf er ironisch verweist, wenn er die besten Restaurantadressen im Roman nach seinen literarischen Vorbildern benennt.

    Nachdem Tom Wolfe in den siebziger Jahren einen "Neuen Journalismus", der sich literarischer Mittel bediente, proklamiert hatte, veröffentlichte er 1989 "Ein literarisches Manifest für den neuen Gesellschaftsroman". Darin forderte er, dass die Literatur sich viel stärker auf die Tatsachen des sozialen Lebens und damit auf journalistische Recherchen stützen sollte. Seinen Schriftsteller-Kollegen machte er zum Vorwurf, dass sie die große amerikanische Tradition des Realismus seit Anfang der Sechzigerjahre völlig aufgegeben hätten, dass die Romane zu den wahrhaft aufwühlenden Themen der Zeit nie geschrieben wurden, weder über die Rassenkonflikte, noch die Hippie-Bewegung, nichts über die neue Linke, die sexuelle Revolution, Vietnam oder die Wall Street. "Stalking the Billion-Footed Beast", war dieses Manifest überschrieben, "Auf der Spur der millionenfüßigen Bestie". Auch die Einwanderungsgesellschaft wurde dort auf die Agenda der ganz dringlichen literarischen Themen gesetzt:

    Die vierte große Immigrationswelle bricht herein, nun aus Asien, Nordafrika, Lateinamerika und der Karibik. Innerhalb von zehn Jahren wird die politische Macht in den meisten amerikanischen Großstädten auf nicht-weiße Mehrheiten übergegangen sein. Werden diese Städte dadurch unbegreiflich, absurd und für die literarische Betrachtung bedeutungslos? Meiner Meinung nach keineswegs. Die Aufgabe des Schriftstellers wird dadurch nur schwieriger, wenn er herausfinden will, was das Herz der Menschen, gleich ob weiß oder nicht-weiß, bedrückt.

    Mit dem monumentalen New-York-Porträt "Fegefeuer der Eitelkeiten", seinem ersten Roman, der zwei Jahre zuvor erschienen war, hatte sich Tom Wolfe genau dieser literarischen Aufgabe angenommen. 1998 folgte mit "Ein ganzer Kerl" die große Saga über Atlanta, den Immobilienboom, die Banken und die allzu menschliche Komödie des Bankrottmachens. John Updike, Norman Mailer und John Irving waren nicht begeistert. Trotzdem waren das beeindruckende Romane mit einer unerschöpflichen Fülle an sozialen und menschlichen Beobachtungen. Nun in "Back to Blood" hat Wolfe das Thema der vielfach geteilten multiethnischen Gesellschaft noch einmal in aller Breite aktualisiert und durchgespielt. Nach New York und Atlanta nun also Miami, über das der kubanischstämmige Bürgermeister zum afroamerikanischen Polizeichef im Roman sagt:

    »Cy, ich möchte Ihnen ein paar Dinge über diese Stadt erzählen. ... Soweit ich weiß, ist Miami die einzige Stadt weltweit - weltweit - deren Bevölkerung zu mehr als fünfzig Prozent aus Neueinwanderern besteht... Neueinwanderern, also Einwanderern, die in den letzten fünfzig Jahren gekommen sind ... Was heißt das? Erst gestern habe ich dar¬über mit einer Frau geredet, einer Haitianerin, und die sagt zu mir, >Wenn Sie Miami wirklich verstehen wollen, müssen Sie vor allem eins begreifen. In Miami, da hasst jeder jeden.<«

    Es gibt also viel zu erzählen. Soziale Veränderungen und Verwerfungen, ihre Widersprüche und ihre Konfliktpotenziale sind Wolfes Leidenschaft, auch noch im Alter von mehr als achtzig Jahren. Darum ist er bei dem titelgebenden Befund des Rückzugs auf die ethnische Identität nicht stehen geblieben. Genauso gut könnte der Roman anstatt "Zurück zum Blut" den Titel "Voran zum Status" tragen. Wobei es aber, wie die Prologszene fulminant illustriert, eben um den Statusgewinn in fortgeschrittenen Migrationsgesellschaften geht, in denen die Frage, wer hier eigentlich die Einheimischen sind, weitgehend obsolet geworden ist.

    Magdalena, die Exfreundin des unglücklichen Polizisten Nestor Camacho, ist das Beispiel für den nach Status strebenden Aufstiegswillen. Ihre weibliche Attraktivität dient ihr dabei als Kletterhilfe, mit der sie ethnische und soziale Grenzen überwinden kann.

    In diesem Augenblick trat Norman, strahlend vor Begeis¬terung, wieder aus seinem Büro. Gott, wie gut er aussah! Ihr americano-Prinz! Blaue Augen ... welliges bräunliches Haar - in ihrer Vorstellung war es eher blond ... Ihre Freunde schäumten, zerrissen sich das Maul, hielten ihr vor, dass er genau doppelt so alt war wie sie ... aber sie hatten keine Vorstellung von Normans Elan, Kraft und Lebensfreude. Sie lebte mit dem Idealbild des americano! Ihr stand die ganze americano-Welt offen.

    Allerdings ist dieser "americano", von dem die ehrgeizige Kubanerin aus dem Einwanderergetto hier schwärmt, nicht zu verwechseln mit dem "guten Amerikaner", zu dem die Einwanderer früherer Zeiten werden wollten. Nein, das allein Entscheidende sind heute eben Status, Aufstieg, Geld und Sex. Wer davon reichlich hat, muss sich auch nicht mehr an den Blutsbanden seiner ethnischen Zugehörigkeit festhalten. Dr. Norman Lewis hat sich den Zugang zu den Reichen und Gierigen in seiner Funktion als Therapeut für Sex- und Pornografiesucht erarbeitet. So erhält er - mit seiner Sprechstundenhilfe und Geliebten Magdalena als knackiger Status-Trophäe - Zugang zu den Zirkeln mit hoher Millionärsdichte. Doch als ambitionierte und geistig regsame junge Frau durchschaut Magdalena bald, dass das Geschäft ihres Norman ein reichlich schmieriges ist. Mit untrüglichem Sinn für die höheren Werte steuert sie darum bald den russischen Oligarchen Sergej Koroljow an, dessen Reichtum noch unendlich viel größer erscheint und der sich außerdem kulturell und sozial verdient gemacht hat, indem er dem "Miami Museum of Art" Gemälde für siebzig Millionen Dollar geschenkt hat. Nur dass diese leider von einem Hinterzimmervirtuosen gefälscht sind, was der von vielen geschmähte aufrechte Polizist Nestor Camacho zusammen mit dem amerikanischen Bilderbuchreporter John Smith allerdings erst noch beweisen muss.

    Man kann es nicht anders sagen: Es ist phänomenal, welche Fülle an Stoff, Handlungsfäden und Themen Tom Wolfe auch in diesen Roman wieder hineingepackt hat. Mehr denn je lässt er es krachen, und zwar in jeder Hinsicht: Ob es um aufs Wasser klatschende Motorboote, Männerlachen oder andere Geräusche geht, so viel Soundeffekte in comicsprachlichen Buchstabenfolgen wie hier, gab es noch nie. Die inneren Monologe der Figuren sind wie Gedankenblasen in den Erzähltext montiert. Und mit gnadenloser Zielstrebigkeit steuert die Handlung stets auf die knalligsten Wendungen oder Effekte zu. Oft ist die Darstellung des gesellschaftlichen Treibens, bevor sie beim Realismus überhaupt ankommt, schon in die Burleske, die Satire oder ins Grand Guignol umgekippt. Ein schönes Beispiel dafür bieten die Passagen, in denen das Wettkaufen der Superreichen auf der "Art Basel-Miami" als von Geltungssucht angetriebene Kunstkasperei verspottet wird. Und kurz darauf setzt Tom Wolfe, der sich schon immer gerne über moderne Kunst lustig gemacht hat, noch eins drauf, wenn er Magdalena das Wort erteilt, damit sie als große Naive die böse Wahrheit über den schwindelerregenden Geld-und-Kunsttrubel ans Licht bringe.

    Als sie auf einen bestimmten Sammler zu sprechen kommt, der von seinem Berater herumgeführt wird, stürzt sie sich blindlings in die Ge¬schichte und beschreibt die künst¬lerischen Berater als Zuhälter, die einen hohen Preis verlangen für ... Ekstase — Ekstase! — für den perfekten Kick, berühmte Spieler sein zu dürfen in einem magischen Markt, der aus nichts als heißer Luft besteht.
    Tom Wolfe trägt dick auf in diesem Roman, er legt ein atemberaubendes Tempo vor. Die Missetaten der Reichen und die der Armen, die Paläste und die Hütten, die Verzerrung der Tatsachen im Namen der politischen Korrektheit - sein Porträt von Miami ist als ganz großer Querschnitt angelegt, mit atemberaubenden Sprüngen zwischen den Schauplätzen und Figuren. Man kennt das von ihm, es ist sein Markenzeichen, und doch erstaunt es immer wieder. Unübersehbar ist aber zugleich, dass er die Themen Herkunft, Status, Sex und Geld schon kunstvoller, genauer, facettenreicher, gründlicher und analytischer behandelt hat. Hier dagegen dominiert die Ökonomie der grellen Effekte. Es überrascht nicht, dass der Großmeister der investigativen Literatur dafür viel Prügel einstecken musste, vor allem in den USA.

    Allerdings bleibt Wolfe sogar da, wo er als Schriftsteller ins Seichte gerät, eben doch ein virtuoser Showmaster seines Erzählens. Den großen, realistischen Gesellschaftsromans hat er mit "Back to Blood" nicht vorangebracht. Das große Satyrspiel der Geilheit, die Burleske der Geltungssucht, die Komödie der Raffgier - sie sind ihm jedoch, man möchte fast sagen: fulminant, gelungen. Und was er sich dabei an Vergröberungen leistet, das lässt sich mit gar nicht so schlechten Gründen, als Wiederspiegelung einer Gesellschaft deuten, in der es auf Verfeinerung immer weniger ankommt. Trotzdem gibt der Autor als kaltblütiger Beobachter nicht alles verloren, womit er seinen Romantitel ein weiteres Mal relativiert. Denn während die Mitglieder der gierigen Stände tief abstürzen, bekommt der Polizist Nestor Camacho eine neue Chance und Magdalena hat viel gelernt.

    Ich habe mich die ganze Zeit aushalten las¬sen! Es stimmt! Ich habe mich von meiner Familie, Nestor und allen anderen abgewandt, weil Norman ein Fernsehpromi war ... ein Allerweltspromi ... der sich jederzeit benutzen ließ, wenn die TV-Zuhälter irgendeinen Profilneurotiker mit me¬dizinischem Abschluss suchten, um mit heißen Nachrichten über die Pornosucht den Perversling im Zuschauer zu kit¬zeln ... Dios mío! Wie habe ich nur auf diese korrupten Widerlinge hereinfallen können?

    Das ist fast so, als würde nach der großen Orgie der Eitelkeiten und des Betrugs nun das Flämmchen der Wahrheit aufflackern. Jedenfalls bleibt schließlich kein Zweifel: "Back to Blood", "Zurück zum Blut" ist zwar der Titel des Romans, aber keinesfalls das letzte Wort. Die Kinder der Migranten bleiben weder in ihrer Herkunft noch in ihren Verirrungen gefangen. Am Ende ist die Zukunft offen.

    Tom Wolfe: Back to Blood
    Roman
    Aus dem Amerikanischen von Wolfgang Müller.
    Karl Blessing Verlag, München 2013. 768 Seiten, 24,99 Euro.