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Kompendium der praktischen Philosophie

"Lebenskunst ist die Kunst, wie man sich verändert, ist die Kunst der Veränderung. "

Von Annette Brüggemann | 09.06.2005
    Seit Sokrates lehren Philosophen die Kunst, ein gutes Leben zu führen. Theo Roos ist mit den "Philosophischen Vitaminen" ein aktuelles Kompendium der praktischen Philosophie gelungen, von der Antike bis zur Moderne. Philosophen und Philosophinnen werden auf undogmatische und persönliche Weise präsentiert, ihre zentralen Gedankengänge verwandelt in sprudelnde Vitamine. Ob Diotima oder Deleuze, sie alle bieten Inspirationen und praktische Tricks für den Alltag. Das Buch ist durchwoben von Songtextzeilen, die fernab von abstrakten Theorien, den Sound, die Stimme eines jeden Protagonisten hörbar machen. Da singt Albert Camus Van Morisson und Caroline Schlegel-Schelling Joni Mitchell. Wenn man dabei Nietzsches Satz "Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum" im Ohr hat, mag es nicht verwundern, dass er der Taktgeber des Projektes war.

    " Was toll ist an Nietzsche, ist, dass er ein künstlerisch begabter Philosoph war, dass er Musiker war und ich glaube, dass diese Praxis für ihn ganz wichtig war und dass er diese Praxis des Musizierens einfach mitgenommen hat in die Philosophie. "


    Wie das Klavierspielen war Philosophie für Nietzsche eine Fingerübung, etwas, das es galt, einzuverleiben, zu rhythmisieren. Die Differenz zwischen Leben und Kunst sollte in seiner "fröhlichen Wissenschaft" überwunden werden.

    " Dass hat er wirklich schön gezeigt, diese Spaltung. Dass es auf der einen Seite die Kunst gibt und dass die Künstler in diesem Bereich sehr diffizil arbeiten, bis ins kleinste Detail, die Dinge transformieren in ihrer Kunst. Dass sie aber da aufhören, wo das Leben beginnt. Und das ist ein sehr, sehr schönes Zitat von Nietzsche, wenn er sagt: Wir müssen all das nehmen, was die Künstler in ihrem Bereich sich erarbeitet haben, all diese Differenziertheit, diese Achtsamkeit im Umgang mit den Dingen und wir müssen aber nicht dann da aufhören, wo die Künstler aufhören, nämlich da wo ihre Kunst aufhört und das Leben beginnt, sondern wir sollen versuchen, Dichter des Lebens zu sein, Künstler des Lebens und im Kleinsten und Alltäglichsten zuerst. "

    Für Hannah Arendt, die 1940 in die USA emigrierte, bedeutete das vor allem Handeln. Sie hat sich einen politischen Raum gewünscht, in dem das Denken nicht abgeschlossen wird, sondern kritische Reflexion und emotionale Hingabe gleichermaßen zum Tragen kommen.

    "Mir fällt da nur diese Zeile ein von einem deutschen Rockmusiker: Beweg dein Herz zum Hirn und schick beide auf die Reise. Sowas hat sie, dass spürt man einfach bei ihr, dass beides immer anwesend ist. Also ne große Emotionalität und sein sehr, sehr klarer, brillianter Verstand. "

    Denken kann sich in unterschiedlichen Wissensmodi ereignen. Der eine ist schmückend und kennzeichnend für die Kultur einer Bildung, die nichts mehr zu tun hat, als sich weiter mit Wissen zu schmücken. Die andere Art des Wissens ist ein seinsveränderndes Wissen, das derjenige braucht, dessen Lebensziel es ist, ein Selbst zu bilden. Man muss nur sehen, wie Hannah Arendt in dem berühmten Interview mit Günter Gaus die Zigarette hält, und ihre feste, sonore Stimme hören, um sofort zu spüren, dass ihr Denken sich im Modus der Selbstbildung bewegt. Sie denkt "ethopoietisch".
    (Theo Roos: Philosophische Vitamine. Die Kunst des guten Lebens, S. 221)

    Zu einem solchen Denken gehört für Theo Roos auch:

    "Nicht mehr Richter zu sein. Diese Drübersteher-Position des Richtens, andere zu verurteilen, sich selbst zu verurteilen, das ist etwas, was es zu überleben gilt. Es macht nur schlechtes Gewissen. "

    Der fanzösische Philosoph Michel Foucault war es, der in seinen späten Schriften erneut auf das Moment der Selbstsorge hingewiesen hat. Nachdem er sich viele Jahre mit dem Verhältnis von Subjekt und Macht, den Diskursen, wie er sie nannte, auseinandergesetzt hat.

    "Ein Interviewer hat ihn gefragt: Ja, nachdem Sie jetzt über Sexualität und Wahrheit geschrieben haben, was machen Sie jetzt, Herr Foucault? Und Foucault sagt: Ich werde mich jetzt um mich selbst sorgen. Er ist ja leider dann an Aids gestorben. Was ich wirklich sehr, sehr schön fand, dass er diese Wendung vollzogen hat und nochmal den Finger darauf gelegt hat und hat gesagt: Ihr könnt noch so große Diskurskings sein, es kann sein, dass Euch diese Theorie nicht verändert. Und hier, schaut mal in die römische Antike, da gibt es ne andere Art des Philosophierens, die was mit Übung zu tun hat, die was mit dem anderen Umgang mit sich selbst zu tun hat und einem Übungen zeigt und Hinweise gibt, wie man sein Verhältnis zu sich selbst verändern kann und im Grunde genommen auch sein Leben verändern kann, dadurch. "

    Und auch der französische Theoretiker Gilles Deleuze sorgt mit seiner experimentellen Art zu philosophieren für den nötigen Stoff an Vitaminen. Er entlastet von der Last zu verstehen, fordert vielmehr dazu auf, sich das Passende aus einem Buch heraus zu holen.

    In einem Buch gibt’s nichts zu verstehen, aber viel, dessen man sich bedienen kann. Nichts zu interpretieren und zu bedeuten, aber viel, womit man experimentieren kann. Ein Buch muss mit etwas anderem "Maschine" machen, es muss ein kleines Werkzeug für ein Außen sein. Ja, nehmt was ihr wollt.
    (Gilles Deleuze / Félix Guattari: Rhizom. Berlin: Merve Verlag 1977, S. 40)

    "Zum Beispiel so ein Satz wie "Das Werden nicht stören"... Moment... "DasWerden nicht stören"... und man kommt in verschiedene Situationen, wo dieser Satz einem wieder einfällt und dann sagt man: Ja, stimmt. Und sofort ist es auch gleichzeitig ein Impuls, das Werden, in dem man jetzt ist, nicht zu stören. Wenn man die Scheu überwindet, diese Oberfläche der brillianten Gelehrsamkeit bei ihm durchbricht, wirklich unbefangen, in so ner Haltung, wie wenn man ne Cd hören würde, seine Bücher liest. Dann springen wirklich Sätze aus den Büchern und man fängt an, mit diesen Sätzen zu arbeiten. "

    Die "Philosophischen Vitamine" von Theo Roos lassen sich wie gute Songs genießen, begleitet von den sehr schönen Zeichnungen des Kölner Illustrators Nikolaus Heidelbach. Dass man Philosophie tanzen und singen kann, zeigt nicht zuletzt ein Gitarrist wie Prince.

    "Ich mein, wenn Nietzsche sagt: "Der Tanz ist der Beweis der Wahrheit" und ich schau mir so einen Erzmusiker wie Prince an, dann sieht man Prince und sagt: Ja, that’s it! "