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Komplett neuer Kontinent

Physik. - Die Supraleitung ist seit ihrer Entdeckung ein stark beachtetes Feld, denn Supraleiter lassen Strom ohne Widerstand und damit ohne Verlust passieren. Auf der Jahrestagung der Amerikanischen Physikalischen Gesellschaft in Pittsburgh sorgte jetzt der jüngste Vertreter der Klasse für Gesprächsstoff.

Von Arndt Reuning | 20.03.2009
    Im Februar 2008 hatte der Japaner Hideo Hosono vom Tokyo Institute of Technology seinen neuartigen Supraleiter der Öffentlichkeit vorgestellt. Und jetzt, auf der Physikertagung im März 2009 widmen sich über fünfzehn Sitzungen diesem Material. Damit hatte der Professor nicht gerechnet.

    "Ehrlich gesagt: das war jenseits unserer Vorstellungskraft. Rund 500 Publikationen sind bisher erschienen – in nur einem einzigen Jahr. Das hätten wir uns wirklich kaum so ausmalen können."

    Und dabei war die Entdeckung ein reiner Zufallsfund gewesen. Hosono hat gefunden, was er nicht gesucht hat.

    "Ich bin kein Experte für Supraleiter, sondern für durchsichtige Halbleiter. Als wir einen von denen näher untersucht haben, sind wir auf die eisenhaltigen Supraleiter gestoßen."

    Eisen ist das fünfte Element in der Verbindung aus Lanthan, Sauerstoff, Arsen und einer Prise Fluor. Eisen in einem Supraleiter – genau das war die Botschaft, welche in der Fachwelt so schnell für Furore gesorgt hatte. Sagt der Physiker Jeffrey Lynn vom amerikanischen "National Institute for Standards and Technology" in Gaithersburg, Maryland. Denn jedes Eisenatom ist wie ein kleiner Magnet.

    "Ein Blick in die Geschichte dieser Forschung zeigt: Eine der ersten Entdeckungen war, dass jede Art von magnetischer Verunreinigung in einem Supraleiter sofort dessen Fähigkeit vernichtet hat, Strom widerstandslos zu leiten."

    Zu den allerersten Substanzen, bei denen diese Eigenschaft zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts beobachtet worden war, zählen Metalle wie Quecksilber und beispielsweise Legierungen des Niob. Zu Supraleitern werden sie nur wenige Grad oberhalb des absoluten Nullpunkts. Dann lagern sich immer zwei Ladungsträger, zwei Elektronen, zu einem Pärchen zusammen und rauschen ohne Widerstand durch das Material. Jedes magnetische Feld, und sei es auch noch so klein, kann diesen Doppelpack aber wieder auseinander reißen. Und deshalb hatte bisher niemals jemand ernsthaft nach eisenhaltigen Supraleitern gesucht. Mittlerweile sind vier verschieden Klassen von ihnen gefunden worden. Aber bei ihnen scheint der Mechanismus hinter dem Phänomen auch ganz anders zu funktionieren. Noch wissen die Festkörperphysiker nicht genau ganz genau wie, aber erste Hinweise gibt es schon, sagt Jeffrey Lynn. Lässt man zum Beispiel aus dem Rezept von Hideo Hosono die Prise Fluor weg, ändert sich die Eigenschaft der Substanz.

    "Am Anfang weisen die einzelnen kleinen Magnete eine feste Ordnung auf. Wenn man dann aber die chemische Zusammensetzung langsam ändert, wieder Fluor hinzufügt, dann bricht diese Ordnung zusammen und die Supraleitfähigkeit entwickelt sich. Wir interpretieren das so, dass der Magnetismus in diesem Fall irgendwie für die Paarbildung der Elektronen verantwortlich ist. Vollkommen im Gegensatz zu unserem bisherigen Verständnis von den althergebrachten Supraleitern."

    Von denen unterscheiden sich die eisenhaltigen Verbindungen auch durch die Sprungtemperatur. Die höchste Temperatur, unterhalb der der elektrische Widerstand verschwindet, liegt bei den eisenhaltigen Verbindungen bei 55 Kelvin. Deutlich höher als bei den metallischen Supraleitern, aber immer noch bei knackigen -218 Grad Celsius. In diesem Bereich liegt auch noch eine andere Klasse von sogenannten Hochtemperatur-Supraleitern, die Kupfer-Sauerstoff-Verbindungen. Sie sind in den 80er Jahren entdeckt und erforscht worden. Trotzdem geben sie noch immer Rätsel auf. Lynn:

    "Wie die Kupfer-Sauerstoff-Verbindungen zu Supraleitern werden, wissen wir bisher nicht. Aber es nun so aus, als würden wir eine ganz gute Vorstellung davon bekommen, wie das bei den eisenhaltigen Substanzen geschieht. Und das könnte den Weg ebnen zu einem umfassenden Verständnis von all diesen Hochtemperatur-Supraleitern."

    Die eisenhaltigen Verbindungen lassen sich offenbar auch leichter verarbeiten als die kupferhaltigen. Aber bisher gibt es noch keine, deren Sprungtemperatur so hoch ist, dass sie mit flüssigem Stickstoff gekühlt werden könnte anstelle von teurem Helium. Ob sich das jemals ändern wird, darüber lässt sich bisher nur spekulieren, sagt der Entdecker Hideo Hosono.

    "Niemand kann das sagen, das ist ein komplett neuer Kontinent. Wir erkennen zwar, dass es da sehr viele Berge gibt. Aber ob der Mount Everest darunter ist oder der Fuji, das können wir noch nicht sagen."