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Komplizierte und willkürliche Quotenregelung

In Frankreich wacht der Conseil supérieur de l'audiovisuel - kurz CSA - über die Meinungsvielfalt in Fernseh- und Radioprogrammen. Seine Methoden sind allerdings eigenwillig: Die französische Medienaufsicht kontrolliert und begrenzt Redezeiten der Politiker in Funk und Fernsehen.

Von Margit Hillmann | 19.11.2011
    Die Pluralismus-Abteilung der französischen Medienaufsichtbehörde CSA: In einem kleinen Raum sitzt ein Dutzend Mitarbeiter mit Kopfhörern vor Computerbildschirmen. Sogenannte ‘Beobachter’. Konzentriert klicken sie sich durch Fernseh- und Radiosendungen des Vortages. Sie messen Politikerredezeiten. Abteilungsleiter Grégoire Weigel zeigt, wie das geht. - Am Beispiel der Nachrichtensendung des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders France2.

    Dort ist ein Beitrag über eine Korruptionsaffäre in Marseille gelaufen. Darin ein kurzer Ausschnitt von der Pressekonferenz eines Lokalpolitikers, der sich gegen Korruptionsvorwürfe verteidigt.

    Der CSA-Beobachter startet das Chronometer der Software, stoppt auf die Sekunde genau seine Redezeit. Dann wird der Politiker einer Partei zugeordnet, erklärt Abteilungsleiter Weigel.

    "Dieser Politiker hier ist Mitglied der Sozialistischen Partei. Wir berechnen die Zeiten sämtlicher Wortbeiträge französischer Politiker, die von den Medien ausgestrahlt werden. Auch, wenn sie nicht über Politik sprechen. Wenn zum Beispiel Premierminister François Fillon in einer Unterhaltungssendung über das Autorennen in Le Mans spricht. Weil, ein Politiker, auch wenn er über Privates spricht, beim Publikum punktet. Die sagen sich: ah, der mag Autos! Der ist wie ich, den wähle ich."

    Das Messen der Politiker-Redezeiten ist Teil eines strikten Kontrollverfahrens. Die Medienaufsicht überprüft permanent, ob sich die Sender an die vorgeschriebenen Quoten halten, vergleicht täglich ihre Ergebnisse mit den minutiösen Redezeit-Protokollen, die alle französischen Radio- und Fernsehsender bei der Behörde abliefern müssen. ‘Pluralisme de l’Information’ nennt das der CSA. Da seien die Ansprüche in Frankreich eben besonders hoch, sagt Christine Kelly, Mitglied des 9-köpfigen Gremiums, das die französische Medienaufsicht leitet.

    "Wir vergeben in Frankreich die Sendefrequenzen kostenlos. Im Gegenzug erwarten wir von den Medien, dass sie sich an die Grundregeln halten. Dazu gehört der Informationspluralismus. Wir verlangen, dass alle politischen Parteien in den Programmen zu Wort kommen müssen. Die Ausgewogenheit bei den Redezeiten für Parteien erlaubt Zuschauern und Hörern, sich einen Überblick zu verschaffen, den sie als Bürger für den Gang zur Wahlurne brauchen."

    Die Quotenrechnung ist so kompliziert wie willkürlich. So dürfen Frankreichs Regierungspolitiker und Mitglieder der Regierungspartei in den Programmen unbegrenzt zu Wort kommen. Die parlamentarischen Oppositionsparteien zusammengenommen haben nur das Recht auf die halbe Redezeit. Spricht dagegen der französische Staatschef, muss jedes Mal unterschieden werden, ob gerade der Parteipolitiker redet oder aber das Oberhaupt der Republik. Klingt er wie ein Staatsoberhaupt, wird die Redezeit nicht gemessen. In Wahlkampfzeiten zieht der CSA die Zügel noch stärker an. Dann müssen in Funk und Fernsehen zusätzlich Redezeit-Quoten für alle Präsidentschaftskandidaten einhalten werden. Auch Äußerungen sogenannter "Kandidaten-Unterstützer" gehören dann verbucht – wenn etwa prominente Künstler oder Sportler sich zu einem Präsidentschafts-Kandidaten bekennen.

    Beim öffentlich-rechtlichen France Television – vergleichbar mit der deutschen ARD - ist Haus-Juristin Anne Grand’esnom zuständig für die reibungslose Organisation der Redezeit-Kalkulation sämtlicher Programme. Sie sammelt die Daten der Redaktionen ein, hält die Programmleitungen über den Stand der Zeitkonten auf dem Laufenden. Die komplexen CSA-Regeln bereiten viel Kopfzerbrechen, auch den Journalisten, weiß sie.

    "Wir dürfen in der Frage nie locker lassen. Auch die Journalisten müssen die Redezeiten immer im Hinterkopf behalten. Aber sie wissen, dass sie sich an die Quotenregelungen halten müssen und respektieren sie auch. Selbst wenn das aufgrund der aktuellen Themenlage schwierig ist."

    Infrage gestellt wird die Redezeit-Regulierung nur selten. Frankreichs Journalisten fühlen sich weder entmündigt noch gegängelt. Auch nicht beim öffentlichrechtlichen France-Television. Anne Grand’esnom:

    "Nein, sie empfinden die Redezeit-Quoten nicht als anormal. Auf jeden Fall sagen sie das nicht. Sie respektieren die Demokratie. Und schließlich gehören die Redezeit-Quoten auch zum Journalisten-Alltag."