Donnerstag, 25. April 2024

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Kompromiss bei Zuwanderung
"Der Begriff Obergrenze hat eine Überhöhung erfahren"

Der Kritik am Kompromiss zwischen CDU/CSU kann Stephan Mayer von der CSU nicht viel abgewinnen. Der Partei sei es bei der Forderung nach einer Obergrenze nicht um die Begrifflichkeit gegangen, sagte er im Dlf. Sie habe deutlich machen wollen, dass die Integrationskraft des Landes und der Gesellschaft begrenzt sei.

Stephan Mayer im Gespräch mit Martin Zagatta | 10.10.2017
    Der CSU-Innenpolitiker Stephan Mayer im Bundestag
    CSU-Innenpolitiker Stephan Mayer: "Unsere Möglichkeiten sind nicht endlos" (imago stock&people)
    Martin Zagatta: Die von der CSU so lange geforderte Obergrenze für Flüchtlinge ist vom Tisch. Stattdessen ist jetzt von einem Richtwert die Rede. So sieht sie aus, die Position, auf die sich CSU und CDU nach so langem Streit jetzt geeinigt haben. Ein Kompromiss allerdings, der nicht so einfach zu verstehen ist in seinen Einzelheiten, und der auch auf kritische Reaktionen stößt.
    Stephan Mayer ist am Telefon, CSU-Politiker, bisher innenpolitischer Sprecher der Unions-Fraktion im Bundestag und auch im neuen Parlament wieder vertreten. Guten Tag, Herr Mayer!
    Stephan Mayer: Grüß Gott, Herr Zagatta. Hallo!
    Zagatta: Herr Mayer, dass die möglichen Koalitionspartner und auch Oppositionsparteien jetzt mäkeln dahingestellt. Aber auch das Presseecho ist ja verheerend. Da ist von einem Kindergarten die Rede, von einer traurigen Komödie oder einem Lehrstück über Gesichtswahrung. So abgewatscht zu werden, ist das jetzt der Preis für das Nachgeben von Horst Seehofer?
    Mayer: Ich kann beim besten Willen jetzt dieser Kritik nicht viel abgewinnen. Ganz im Gegenteil! Es ist lang genug kritisiert worden, dass sich CDU/CSU nicht einigen konnten, insbesondere was das Thema der konkreten Bezifferung auch der Kapazitätsgrenzen unseres Landes anbelangt. Jetzt gibt es eine Einigung und jetzt ist es wieder den anderen nicht recht. Man hört von den Grünen und hört von der FDP nur Kritik an diesem Kompromiss, aber man hört leider von diesen beiden Parteien keine eigenen Vorschläge, wie sie gewährleisten wollen, dass sich eine Situation wie 2015 nicht wiederholt. Und ich glaube, man kann mit Fug und Recht behaupten, die CDU und die CSU sind die einzigen Parteien, die einen konkreten Maßnahmenkatalog vorschlagen, wie konkret gewährleistet wird, dass wir eine Situation wie 2015 nicht wieder erleben.
    "2015 darf sich nicht wiederholen"
    Zagatta: Aber, Herr Mayer, im Mittelpunkt steht jetzt erst einmal – darum hat sich ja jetzt alles gedreht, auch im Wahlkampf, vor allem aus bayerischer Sicht, wenn man das so gehört hat – dieser Begriff der Obergrenze. Da hat Horst Seehofer ja im Wahlkampf noch klipp und klar gesagt, ohne eine bezifferte Obergrenze wird er keinen Koalitionsvertrag unterzeichnen. Das ist jetzt hinfällig?
    Mayer: Nein, das ist nicht hinfällig, weil die Zahl von 200.000 ja klar im Raum steht.
    Zagatta: Als Richtwert.
    Mayer: Wir haben auch immer deutlich gemacht, dass es uns um die Begrifflichkeit nicht geht. Der Begriff der Obergrenze hat aus meiner Sicht eine Überhöhung erfahren, die diesem Begriff überhaupt nicht zukommt. Es kommt entscheidend darauf an, dass wir nicht nur die Losung ausgeben, dass sich 2015 nicht wiederholen darf, sondern dass wir dies auch ganz konkret substantiieren mit entsprechenden Maßnahmen. Und wir haben schon viel unternommen.
    Zagatta: Darf ich da nachfragen?
    Mayer: Gerne!
    Zagatta: Wenn es auf diesen Begriff gar nicht so ankommt, wie Sie jetzt sagen, wieso haben Sie sich da nicht vor der Wahl geeinigt?
    Mayer: Ja, das ist eine berechtigte Frage. Ich muss ganz ehrlich sagen, ich hätte es natürlich selbst auch lieber gesehen, wenn es diesen Dissens nicht im Wahlkampf gegeben hätte. Aber sei es drum! Wichtig ist jetzt, dass wir als CDU/CSU geschlossen in Koalitionsverhandlungen oder zunächst mal in die Sondierungsgespräche eintreten und dann auch möglicherweise in Koalitionsverhandlungen. Deshalb bin ich jetzt froh, dass absolute Deckungsgleichheit besteht zwischen der CDU und der CSU, was die Flüchtlings- und Migrationspolitik anbelangt, und das ist, glaube ich, schon auch nicht nur ein Wert an sich, sondern wie gesagt, es geht neben dem Thema Obergrenze oder neben dem Thema Richtwert und 200.000 ja um ganz konkrete Maßnahmen, die wir fordern. Beispielsweise, dass die drei Maghreb-Länder als sichere Herkunftsländer eingestuft werden. Ich kann es nach wie vor nicht nachvollziehen, dass die Grünen sich hier beharrlich weigern, diese drei Länder, bei denen die Antragsteller eine Wahrscheinlichkeit der Anerkennung von unter einem Prozent haben, als sichere Herkunftsländer einzustufen.
    "Die Kapazitätsgrenzen Deutschlands sind nicht endlos"
    Zagatta: Herr Mayer, da haben Sie ja Stoff für die Koalitionsverhandlungen. Aber trotzdem noch mal ganz kurz bei dem Punkt zu bleiben, bevor wir vielleicht noch auf Einzelheiten kommen. Sie sagen jetzt, man hat sich geeinigt. Ist denn der Unmut nicht so groß? Wir haben in unserem Programm heute beispielsweise Curt Niklas gehört, ein CSU-Kreisvorsitzender in München. Wir spielen es vielleicht mal kurz ein, weil das erweckt dann doch schon ein bisschen einen anderen Eindruck.
    O-Ton Curt Niklas: "Seehofer hat große Verdienste in der Vergangenheit, aber er hat auch Fehler in dieser Bundestagswahl-Kampagne gemacht. Er hat Dinge versprochen, die er nicht halten konnte. Er trägt die Verantwortung für das Ergebnis und wir brauchen deshalb sicherlich einen personellen Neuanfang."
    Zagatta: Die Kritik ist ja jetzt nicht weg, auch in der CSU nicht weg. War das ein Fehler, war das vielleicht unglücklich, so lange auf so einem Begriff zu beharren?
    Mayer: Nein, es war kein Fehler, immer wieder deutlich zu machen, dass die Kapazitätsgrenzen Deutschlands nicht endlos sind. Das was der frühere Bundespräsident Joachim Gauck sehr trefflich formuliert hat mit dem Ausspruch, dass unsere Herzen weit sind, aber unsere Möglichkeiten nicht endlos, haben wir als CSU als einzige Partei im Wahlkampf auch sehr deutlich immer wieder den Bürgern vor Augen geführt. Deswegen war es uns ja so wichtig, dass wir mit dieser Forderung eines Richtwertes oder einer Obergrenze – wie gesagt, an dem Begriff hänge ich mich beileibe nicht auf – deutlich machen, dass die Integrationskraft und auch die Integrationsfähigkeit unseres Landes und auch unserer Gesellschaft begrenzt sind.
    Zagatta: Aber was ändert sich denn jetzt an den deutschen Grenzen, wenn Flüchtlinge kommen? Überhaupt nichts, oder sehe ich das falsch?
    Mayer: Es hat sich doch schon viel geändert. Im letzten Monat kamen 14.000 illegale Migranten nach Deutschland.
    Zagatta: Dank Ungarn, dank der Türkei und dank Libyen.
    Mayer: Nicht nur, auch dank eigener Maßnahmen. Und ich möchte auch immer wieder betonen, dass zum Beispiel das Zustandekommen des EU-Türkei-Abkommens maßgeblich auf unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel zurückzuführen ist. Es ist nicht so, dass der deutsche Beitrag hier vernachlässigenswert ist, was die Reduzierung der Zuzugszahlen in unser Land anbelangt. Das ist erst ein Erfolg, was bislang schon erreicht wurde, aber dieser Erfolg muss natürlich auch für die Zukunft gewährleistet werden und deshalb bedarf es weiterer Maßnahmen, wie beispielsweise auch der weiteren Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär schutzberechtigte Flüchtlinge.
    Zagatta: Da sagt Jürgen Trittin – das haben wir vorhin im Beitrag gehört -, das sei höchst unchristlich. Trifft Sie das nicht?
    Mayer: Nein. Das trifft mich deshalb nicht, weil man einfach sehen muss, dass wir aller Voraussicht nach Ende dieses Jahres ungefähr 300.000 subsidiär schutzberechtigte Flüchtlinge in Deutschland haben. Und wenn jeder von diesen nur einen Familienangehörigen nachziehen lässt, dann wäre dies allein in einem Jahr ein zusätzliches Nachzugspotenzial von 300.000. Und ich glaube, man übertreibt nicht, wenn man klar sagt, dies wäre nicht leistbar, dies wäre nicht verkraftbar. Vor dem Hintergrund muss man hier deutlich machen, dass insbesondere die Migranten, die nur kurzzeitig in unserem Land sein werden, weil sie beispielsweise aus einem Bürgerkrieg geflüchtet sind, dass die auch anders zu behandeln sind, was den Familiennachzug anbelangt, beispielsweise gegenüber Flüchtlingen nach der Genfer Flüchtlingskonvention.
    "Mit geschlossener Unions-Position in Sondierungsgespräche eintreten"
    Zagatta: Herr Mayer, jetzt hat die Bundeskanzlerin gesagt, auch in Zukunft werde kein Flüchtling abgewiesen, der an die deutschen Grenzen kommt und Asyl beantragen will. Wie muss man sich das jetzt in der Praxis vorstellen? Dieser Richtwert 200.000, auf den Sie sich geeinigt haben – brauchen wir jetzt eine Behörde, die die Flüchtlinge täglich zählt? Wie läuft das ab?
    Mayer: Erstens haben wir diese Behörde schon, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Wir haben auch sehr aktuelle Zahlen über den Stand der Flüchtlinge in Deutschland. Nur was mir noch weitaus wichtiger ist als diese Festlegung jetzt auf die Zahl von 200.000, dass davon natürlich auch eine klare Signalwirkung ausgeht, insbesondere auch gegenüber den anderen EU-Ländern. Es darf sich nicht wiederholen wie im letzten Jahr oder im Jahr davor, dass Deutschland allein mehr Flüchtlinge aufgenommen hat als alle anderen 27 EU-Länder zusammen. Und ich glaube, dadurch, dass jetzt auch die neue Bundesregierung sich federführend und unterstützend durch die Bundestagsfraktion der CDU/CSU klar darauf verständigt hat, dass unsere Kapazitätsmöglichkeiten begrenzt sind, wird auch gegenüber den anderen EU-Ländern noch deutlicher als bisher zum Ausdruck gebracht, dass auch sie einen stärkeren eigenen Beitrag leisten müssen bei der Aufnahme von Flüchtlingen.
    Zagatta: Da hoffen Sie in Zukunft, dass da eine völlig andere Einsicht einkehrt bei anderen Staaten, die man in die Verantwortung nehmen will. Aber was passiert denn, wenn jetzt der 200.001. Flüchtling da ist? Der wird ja auch nicht abgewiesen. Was machen Sie dann in dieser Situation? Darüber haben wir doch die ganze Zeit geredet.
    Mayer: Das war ja immer diese stereotype Frage, was passiert mit dem 200.001. Natürlich wird der nicht abgewiesen und natürlich erfährt der auch ein ordnungsgemäßes, ein ordentliches rechtsstaatliches Asylverfahren. Aber allein von dieser Festlegung, dass es das erklärte Ziel der CDU/CSU ist, dass die Zuwanderung im Bereich der humanitären Migration im Jahr nicht mehr als 200.000 umfasst, wird doch deutlich, dass wir noch mehr tun müssen als bisher, dass die illegale Zuwanderung und auch vor allem die Zuwanderung von nicht anzuerkennenden Flüchtlingen nach Deutschland begrenzt und reguliert wird. Da haben wir wie gesagt schon viel getan, aber da müssen wir mit Verlaub auch noch einiges mehr tun.
    Zagatta: Und Horst Seehofer kann damit, glauben Sie, den Parteitag überstehen als Parteichef und weiter Ministerpräsident?
    Mayer: Dieser Kompromiss vom Sonntag ist doch nicht geschlossen worden, um Horst Seehofer das weitere politische Überleben zu sichern. Dieser Kompromiss vom Sonntag war deshalb erforderlich, um jetzt auch mit einer geschlossenen Unions-Position in Sondierungsgespräche eintreten zu können. Es gibt doch daneben noch viele weitere Themen, die auch mit Sicherheit Fallstricke sein werden bei den Sondierungsgesprächen, neben der Zuwanderungs- und Migrationspolitik beispielsweise die Steuerpolitik, die Wirtschaftspolitik oder auch die Frage, …
    Zagatta: Alles klar! Wir wollten uns heute Mittag auf die Flüchtlingspolitik beschränken.
    Mayer: Na ja, aber weil Sie immer den automatischen Zusammenhang herstellen zwischen der Zuwanderungspolitik und dem politischen Überleben von Horst Seehofer.
    Zagatta: Auch deshalb nur, weil sich darauf ja die Diskussion vor allem konzentriert hat und, ich glaube, in der Steuerpolitik die Unterschiede jetzt ganz so groß in der Union nicht waren. – Stephan Mayer von der CSU. Ich bedanke mich ganz herzlich für dieses Gespräch, für Ihre Erläuterungen. Einen schönen Tag!
    Mayer: Bitte Schön. – Alles Gute! Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.