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Konferenz in Berlin
Schnittstellen von Theater und Netz

Die digitale Revolution verändert unser Leben, doch im Theater ist davon bisher wenig zu spüren. Denn Theater ist live und braucht lebendige Schauspieler. Daran ändert sich nichts, wenn auf der Bühne Computerbildschirme auftauchen oder eine Aufführung ins Netz gestreamt wird. Eine Diskussion bei der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin zeigte aber, dass die Technik auch andere Möglichkeiten bietet.

Von Oliver Kranz | 08.05.2017
    Kay Voges, deutscher Schauspiel- und Opern-Regisseur und Intendant des Schauspiels am Theater Dortmund.
    "Wir können ja nicht so tun, als ob wir noch auf Schreibmaschinen schreiben" - Kay Voges, Intendant des Dortmunder Schauspiels (picture alliance / dpa / Roland Weihrauch)
    "In der Mitte des Pfades unseres Lebens fand ich mich in einem dunklen Wald."
    Den Video-Trailer der Inszenierung "Die Borderline-Prozession" des Schauspiels Dortmund kann man sich im Internet anschauen. Dass Theater im Netz für ihre Aufführungen werben ist lange Standard. Beim Schauspiel Dortmund können Besucher der Website das Video kommentieren oder in einem Blog mit den Theatermachern ins Gespräch kommen. Der Intendant Kay Voges betont:
    "Wir haben einen Zeitenwechsel. Die Globalisierung und die digitale Revolution verändert unser Leben. Und wenn Theater die Gegenwartskunst schlechthin ist, … dann können wir ja nicht so tun, als ob wir noch auf Schreibmaschinen schreiben."
    "Das kann man im realen Leben nicht erfassen"
    Deshalb hat Kay Voges das Kollektiv "CyberRäuber" beauftragt, eine virtuelle Version der "Borderline Prozession" zu erstellen. Entstanden ist ein völlig neues Kunstwerk, sagt Björn Lengers von den CyberRäubern.
    "Wir nehmen eine Bühne auf als Laserscan und verfremden die total und machen da etwas ganz anderes draus. Also ein Gefühl durch so eine Punktwolke zu gehen in VR, das kann man im realen Leben nicht erfassen."
    VR meint Virtuelle Realität. In der Produktion "Memories of Borderline" setzen sich die Zuschauer Datenbrillen auf und können sich dann im Bühnenbild der "Borderline-Prozession" bewegen. Man sieht die Requisiten und Schauspieler vor sich, kann aber durch sie hindurchlaufen …
    "Das zeigen wir VR-Entwicklern und das zeigen wir Technikern. Wir waren auf der CeBIT. Da habe ich gefragt: 'Wann waren Sie zum letzten Mal im Theater?' - 'Vor 25 Jahren.' Die finden aber das, was wir da machen, super."
    "Und jetzt drehen Sie mal die Kamera um"
    VR-Entwickler mögen virtuelle Theaterproduktionen, weil sie andere Möglichkeiten bieten, als die kommerziellen Anwendungen, für die sie normalerweise arbeiten. Gleichzeitig kann das Theater von der neuen Technik profitieren, weil neue Erzählweisen möglich und neue Publikumsschichten erschlossen werden können.
    Darüber wurde bei der Konferenz "Theater und Netz" in der Heinrich-Böll-Stiftung diskutiert. Gleichzeitig wurde gefragt, wie Theateraufführungen den gesellschaftlichen Wandel durch die digitale Revolution reflektieren können.
    Die Regisseurin Angela Richter berichtete über ihre Produktion "Supernerds", die vor zwei Jahren am Schauspiel Köln herauskam. Dort ließ sie Schauspieler Texte von berühmten Whistleblowern sprechen. Gleichzeitig zapften Hacker die Smartphones der Zuschauer an:
    "Da habe ich mich tatsächlich von Snowden beraten lassen. Wir haben mit den Daten, die wir von den Zuschauern hatten, die sich ein Ticket über die Kreditkarte kaufen, ganz normal, wie man im Internet einkauft, jeden Tag - also wir konnten Schufa-Informationen einholen über die, wir konnten herausfinden, was die beim Browsen machen. Dann haben wir bei einem Zuschauer sogar die Kamera aktiviert. Also die Schauspielerin stand da und hat gesagt, es sollen alle Zuschauer das Handy heben und rumwedeln. Das haben tatsächlich alle gemacht, so 600 Leute, und dann hat man auf dem Bildschirm gesehen, wie das herum wischt. 'Und jetzt drehen Sie mal die Kamera um.' Dann sah man halt ein Gesicht."
    "Eine Riesenmöglichkeit für das Theater"
    Ein Aha-Erlebnis, das das Ausmaß der möglichen Überwachung deutlich werden ließ. Doch Produktionen wie "Supernerds" gibt es eher selten. Auch deshalb hat die Heinrich-Böll-Stiftung 2013 gemeinsam mit der Internet-Zeitung "Nachtkritik.de" die Konferenz "Theater und Netz" ins Leben gerufen. Christian Roemer gehört zu den Organisatoren.
    "Ich glaube, die Digitalisierung ist eine Riesenmöglichkeit für das Theater, sich tatsächlich zu erweitern. Aber ich glaube, da ist das Theater eher konservativ. Was wir brauchen ist eine Mentalität, die überhaupt zulässt, dass wir uns mit dem Digitalen auseinandersetzen."
    Am Schauspiel Dortmund gibt es einen festangestellten Programmierer und viele Produktionen, die sich mit dem Internet auseinandersetzen. Andere Bühnen versuchen, die Entwicklung zu ignorieren. Dabei ist klar, dass die digitale Revolution längst im Gang ist. Die Frage ist nicht, ob man sich heraushalten kann, sondern ob es den Theatern gelingt, die Entwicklung mitzugestalten.