Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Konferenz in Erfurt
Wer will was von den Hochschulen?

Bei einer Konferenz zur Zukunft der Hochschulen in Erfurt wies der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Horst Hippler, den Vorwurf der fehlenden Berufsnähe des Studiums zurück. Achim Dercks vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag kritisierte hingegen, dass nur knapp die Hälfte der Unternehmen mit den Bachelor zufrieden seien und forderte mehr Praxis-Bezug im Studium.

Von Henry Bernhardt | 28.04.2015
    Studenten verfolgen in Köln in der Aula Universität eine Veranstaltung.
    Die Vorstellung von Hochschule und Wirtschaft über die Zukunft des Studium gehen auseinander. ( picture alliance / dpa / Oliver Berg)
    "Im Hinblick auf die Veränderung des Bildungsverhaltens, der hohen Beteiligungsquoten und der verkürzten Haltbarkeit von Qualifikation ist das deutsche Hochschulsystem gut aufgestellt. Man darf nur nicht erwarten, dass man an Hochschulen eine Berufsausbildung bekommt. Das ist nicht der Fall."
    Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Horst Hippler, wies den Vorwurf der fehlenden Berufsnähe des Studiums zurück. Das Hochschulsystem sei extrem ausdifferenziert und Absolventen würden vom Arbeitsmarkt gern und gut aufgenommen.
    "Auf der anderen Seite kann man auch nicht erwarten, dass man in einem dreijährigen Bachelor-Studium das erreichen kann, was man vorher in einem fünfjährigen Diplom- oder Magisterstudium erreicht hat. Das bedeutet also, dass natürlich in der Wirtschaft viel mehr training on the job gefordert wird, wenn man sich in dieses System eingelassen hat."
    Hier widersprach Achim Dercks vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag sehr deutlich: Nur noch knapp die Hälfte der Unternehmen seien mit den Bachelor zufrieden, vor sieben Jahren waren es noch zwei Drittel. Jedem fünften Bachelor würde noch in der Probezeit gekündigt, bei den Master-Absolventen geschieht dies nur jedem zehnten. Mittlere und kleine Unternehmen täten sich schwer mit der beruflichen Nachqualifikation von Bachelorn. Dercks' Vorschlag: mehr Praxisbezug im Studium. Dafür könne man, wenn man nicht in einem international agierenden Unternehmen arbeiten wolle, auch gern das Auslandssemester weglassen.
    "Umso mehr junge Leute studieren und von den Hochschulen dann in die Betriebe gehen, umso kleiner wird dann der Anteil der Bedeutung der Auslandserfahrung. Denn - und darüber geht die öffentliche Diskussion ein bisschen hinweg: Die meisten Leute in Deutschland arbeiten in einem Betrieb, wo Deutsch gesprochen wird, der relativ wenig mit internationalen Dingen zu tun hat, und wo deshalb als unverzichtbar ganz andere Dinge genannt werden."
    Wirtschaft erwartet praxistaugliche Akademiker
    Die Wirtschaft erwarte Berufsabschlüsse und praxistaugliche Akademiker, so Dercks. Der Präsident der Uni Erfurt, Walter Bauer-Wabnegg, setzte das Humboldtesche Bildungsideal gegen den blanken Utilitarismus der Wirtschaft.
    "Ich würde sagen: Überhaupt dazukommen müsste eine Art Auslands ... Pflicht höre ich wieder nicht so gern - Auslandssemester. Ich verstehe ja den Hinweis in die Unternehmen hinein: 'Das ist uns nicht so wichtig.' Aber, liebe Studierende: Das soll keine Richtschnur für euch sein! Ihr studiert und ihr lernt und ihr tut und ihr macht auch für euch und für die Welt und für vieles mehr! Nicht nur für den Beruf!"
    Bauer-Wabnegg sprach sich gegen eine Überstandardisierung der Studiengänge aus, nationale Besonderheiten würden ein Studium bereichern, nicht verkomplizieren. Etwas mulmig ist es allen Teilnehmern der Konferenz angesichts der Tatsache, dass immer mehr junge Menschen studieren und der Bedarf der Wirtschaft an Facharbeitern nicht mehr gedeckt werden kann. Stefan Müller, Staatssekretär im Bundesbildungsministerium:
    "Ich würde auch erst recht nicht von Akademisierungswahn sprechen. Gleichwohl darf man die Frage stellen, ob die Balance zwischen beruflicher Bildung auf der einen Seite und akademischer Säule auf der anderen Seite so noch gewahrt ist. Jedenfalls verstehe ich es als Herausforderung für die Politik, die berufliche und akademische Bildung in eine richtige Balance zu bringen und die Gleichwertigkeit dieser erfolgreichen Bildungsbereiche sicherzustellen und für mehr Durchlässigkeit - aber in beide Richtungen - zu sorgen."
    Sprecherin der Konferenz der Thüringer Studierendenschaften forderte, Hochschule "neu zu denken"
    Als einzige Studentin sprach Mandy Gratz, Sprecherin der Konferenz der Thüringer Studierendenschaften. Sie beklagte den Zustand der deutschen Hochschulen nach Bologna: mit hoher Prüfungslast, fehlender kritischer Auseinandersetzung, zu wenigen Master-Studienplätzen, mit sozialer Selektion gerade bei Auslandsaufenthalten. Mandy Gratz träumte von einer neuen Hochschule jenseits der Interessen der Wirtschaft.
    "Sie ist unter anderem demokratisch, offen, geschlechtergerecht, sozial ökologisch, nachhaltig. Sie nimmt sich als Teil der Gesellschaft war und ist sich ihrer Verantwortung dafür bewusst. Und dann stellen wir uns die Frage: Kann das das Modell unternehmerische Hochschule überhaupt leisten? Und unsere Antwort darauf ist klar: Nein, das kann sie nicht! Lassen sie uns beginnen, gemeinsam Hochschule neu zu denken, und dabei kritisch zu reflektieren, was der Bologna-Prozess mit diesen Hochschulen getan hat."