Dienstag, 16. April 2024

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Konferenz zum Medienwandel
Lügenpresse, Bürgerwut, Vertrauenskrise

Von Claudia van Laak | 26.11.2015
    Norbert Lammert kann es wunderbar ironisch- selbstironisch schildern - wie Anfang des Jahres zunächst die Krise in der Ukraine zum Untergang Europas hätte führen sollen, dann Griechenland, dann der Flüchtlingsstrom. Dass sich das Politik- und Nachrichtenkarussell immer schneller dreht, beide Seiten sich gegenseitig hochjazzen. Der Bundestagspräsident und CDU-Politiker Lammert beklagt den Alarmismus, der ein Innehalten und Nachdenken fast unmöglich macht.
    "Die Neigung, Probleme nicht nur zu entdecken, sondern als die jeweils größten zu behaupten. Am liebsten mit der gleichzeitigen Bemerkung, dass sie seit Langem vorhersehbar waren, aber in einer skandalösen Weise von allen, die es hätten wissen können, nicht wahrgenommen, jedenfalls nicht aufgegriffen, schon gar nicht gelöst worden seien. Ich fürchte, das schafft kein Vertrauen."
    Das Misstrauen gegenüber den Medien wächst - einer repräsentativen Umfrage von Infratest dimap zufolge haben 6 von 10 Befragten wenig oder gar kein Vertrauen in die Medien. Die Kritikpunkte: bewusste Fehlinformation und Manipulation, Einseitigkeit und schlechte Recherche. Einer von 10 Befragten ist der Ansicht, dass Deutschlands Medien nicht unabhängig sind. Bundestagspräsident Lammert rät allen Kritikern: Fahren Sie doch mal ins Ausland, lesen Sie dort Zeitung und hören Radio.
    "Immer wenn ich von mehr oder weniger großen Auslandsaufenthalten zurückkomme, wächst meine Begeisterung für die deutsche Presse sprunghaft. Weil das, was mir hier nicht gefällt, im Vergleich zu dem, was ich zu dem, was ich im Ausland beobachten kann, um solche Längen besser, seriöser, differenzierter ist, dass ich mich schon mal bei dem Gedanken ertappt habe, ob ich nicht einen Teil meiner kritischen Äußerungen revidieren sollte."
    Macht er natürlich nicht und hat die Lacher auf seiner Seite. Was Norbert Lammert allerdings gar nicht wahrnimmt – oder zumindest redet er nicht darüber - ist eine Entwicklung, die der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen als Entstehung einer 5.Gewalt beschreibt. Die Medien als vierte Gewalt bleiben nicht alleine, sie müssen ihre Macht teilen mit den Sozialen Medien, mit Twitter, Facebook, mit Petitionen im Internet, mit Shitstorms und Candystorms.
    "Ob das jetzt gut oder schlecht ist, diese 5. Gewalt, ist die gut oder böse. Welches Gesicht hat sie? Für mich ist das Wesen der 5. Gewalt, so wie wir sie im Moment beobachten können, ihre schillernde Individualität. Alles ist gleichzeitig vorfindbar. Mal das absurde Mobbing-Spektakel, mal der berechtigte Hinweis, mal das berührende Engagement. Mal der verschwörungstheoretische Wahn."
    Vorbei die Zeiten, in denen die Journalistinnen und Journalisten vorgeben konnten, welches die wichtigen Themen sind, worüber man diskutieren und worüber man sich aufregen sollte.
    Bernhard Pörksen spricht von einer radikalen Demokratisierung der Enthüllungs- und Empörungspraxis und stellt fest:
    "Dass das Publikum zur neuen Macht geworden ist. Dass das Publikum DIE neue Macht geworden ist in der öffentlichen Arena der Gegenwart.. Das Publikum regt sich auf, das Publikum regt sich auf, das Publikum empört sich, das Publikum betreibt Meinungs- und Deutungskorrektur, speist seine Empörungsangebote in die Kreisläufe des Öffentlichen ein, ohne Gatekeeper, ohne Schleusenwärter."
    Und deshalb der Rat der Medienwissenschaftler an die Journalistinnen und Journalisten: vom hohen Deutungsross absteigen, mehr Demut bitte. Vielleicht steigt das Vertrauen in die Medien dann wieder.