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Konferenz zur Zukunft Europas
Experiment Bürgerbeteiligung

Die Europäische Union will näher an ihre Bürgerinnen und Bürger heran. Die "Konferenz zur Zukunft Europas" soll das leisten. Wenn alles gut läuft, könnte das Symposium ein Meilenstein in der Geschichte der EU werden. Doch das Experiment könnte auch scheitern.

Von Alexander Göbel | 07.08.2021
Emmanuel Macron (M, En Marche), Staatspräsident von Frankreich, spricht während der Eröffnungsveranstaltung der Konferenz zur Zukunft Europas im Gebäude des Europäischen Parlaments während Ursula von der Leyen (l, CDU, Fraktion EVP), Präsidentin der Europäischen Kommission, und David Sassoli (r, PD, Fraktion S&D), Präsident des Europäischen Parlaments, im Vordergrund sitzen.
Es ist ein einjähriger politischer Prozess, an dessen Ende deutlich werden soll, wie die Bürgerinnen und Bürger sich die EU wünschen: Die Konferenz zur Zukunft der EU, hier die Eröffnungsveranstaltung mit Frankreichs Präsident Macron (dpa / picture alliance / Philipp von Ditfurth)
Straßburg, 9. Mai, 2021: Europatag. Mit einem Festakt, reichlich Pathos und Symbolik beginnt die Konferenz zur Zukunft Europas. Coronabedingt sind Dutzende Bürgerinnen und Bürger auf riesigen Leinwänden im Europaparlament zugeschaltet. Auf einem Podium: der Hausherr, Parlamentspräsident David Sassoli, Portugals Premierminister Antonio Costa für die damals amtierende Ratspräsidentschaft, Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen - und der französische Präsident Emmanuel Macron. Als maßgeblicher Initiator der Konferenz darf er den Ton setzen - mit einem Blick auf den alles dominierenden Kampf gegen die Pandemie.
"Wir sind in der Krise, zusammengeblieben, das Modell Europa, unser Modell, es hat funktioniert. Die EU hat sich solidarisch gezeigt, den Schutz von Menschenleben in den Mittelpunkt gestellt, finanziell geholfen, Gesundheitssysteme gestärkt. Auch die Impfkampagne haben wir erfolgreich zusammen organisiert. Die europäische Kooperation hat Leben gerettet. Darauf müssen wir stolz sein."
Gemeinsame Rettung, gemeinsame Schulden
Für Europa ist es der Moment großer Kredite: 750 Milliarden Euro sollen die Corona-Folgen abfedern und den EU-Staaten einen Modernisierungsschub bringen. Kritiker sehen auch eine Zäsur: die Vergemeinschaftung von Schulden.
Nun gelte es, nach vorn zu schauen, sagt Macron. Zu überlegen, wie die EU in zehn Jahren aussehen solle. Es gehe um die Stärkung des Modells der Werte und der Demokratie. "Die demokratische Debatte, die Kritik, der Widerspruch, der Streit, aber auch die Kontrolle durch Parlament und Justiz: Das ist es, was uns auszeichnet. Und das ist es, was uns voranbringt."

Die EU ist zu weit weg - sie will näher ran an die Menschen

Macron schwärmt lange, weit länger als seine Redezeit es erlaubt. Vom Aufbruch, großen Träumen, den Ambitionen Europas. Vor allem für die Jugend. Diesen Faden nimmt am Europatag EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gerne auf - sie erzählt von der ersten Begegnung mit ihrer vor wenigen Monaten geborenen Enkelin:
"Wie wird ihre Welt aussehen? Wird es noch Wälder oder die Tierwelt geben, nicht nur in Büchern oder Filmen? Wie sieht ihre Karriere aus, ihre Beschäftigung, die Technik, die sie brauchen wird? Werden Ungleichheit, Ungerechtigkeit größer sein als heute? Und wie wird Europa aussehen, geeint oder gespalten? Genau deshalb beginnt genau jetzt die Zukunftskonferenz. Es lebe Europa!"
"Die Zukunft liegt in Deinen Händen!" Was EU-Abgeordnete den Bürgerinnen und Bürgern da in kurzen Videostatements zurufen, soll ganz bewusst Optimismus verbreiten und Erwartungen wecken.
Die EU ist zu weit weg - und sie will unbedingt näher ran an die rund 450 Millionen Menschen des Kontinents, von denen nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung 60 Prozent mit dem Zustand der Union nicht zufrieden sind.
Alle können, alle sollen mitreden, mitgestalten, wie das Europa der Zukunft aussehen soll. Erste digitale Gelegenheit dazu bietet die Online-Plattform Futureu.europa.eu in allen 24 offiziellen Sprachen der EU. Das hat es so noch nicht gegeben.
"Es gibt keine Garantie dafür, dass am Ende alles umgesetzt wird oder werden kann, was die Menschen sich an Veränderungen wünschen, und was dabei zum Ausdruck kommt. Aber der Mehrwert dieser Konferenz wird sein, zu erfahren, wo der größte Veränderungsbedarf gesehen wird. Und meine Vermutung ist, dass es gar nicht immer nur da sein wird, wo in den politischen Gremien derzeit am intensivsten diskutiert wird. Natürlich wissen auch die politisch Agierenden, dass es Reformen braucht. Dafür bräuchte es die Konferenz nicht, um das herauszufinden. Aber die Schwerpunktsetzung: Wollen die Menschen an manchen Stellen mehr Europa, weniger Europa, ein anderes Europa? Diese Fragestellungen sind wichtig", findet Katarina Barley, SPD, Vizepräsidentin des EU-Parlaments.
Ursula von der Leyen (CDU, Fraktion EVP), Präsidentin der Europäischen Kommission, spricht während der Eröffnungsveranstaltung der Konferenz zur Zukunft Europas im Gebäude des Europäischen Parlaments.
Reform der EU nach den Wünschen der Bürger
Die EU will bürgernäher und effizienter werden. Erarbeiten soll sie die dafür gegründete "Konferenz zur Zukunft Europas". Vorschläge, was sich ändern soll, kann jeder Bürger online einreichen. Aber das ist noch nicht alles.
Sie sagt: Natürlich schaue die europäische Öffentlichkeit genau auf die Baustellen der EU, davon gebe es schließlich mehr als genug. Es brenne den Menschen unter den Nägeln, wie es weitergehe bei den großen Themen: bei Klimaschutz, Wirtschaft, Rechtsstaatlichkeit, aber auch beim digitalen Wandel, bei Migration, Europas Rolle in der Welt – und natürlich beim Corona-Krisenmanagement.
"Die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig Europa ist, wie wenig sinnvoll nationalstaatliches Vorgehen ist. Die Pandemie hat aber auch gezeigt, dass derzeit die EU manchmal nicht die Möglichkeiten hat, manchmal nicht die Zuständigkeiten hat, manchmal nicht die Ausstattung hat, manchmal nicht die Erfahrung hat, um angemessen reagieren zu können. Diese Fragen zu klären: Wollen wir beispielsweise in so einer Pandemie ein abgestimmteres europäisches Vorgehen, weniger nationale Alleingänge – oder eben nicht? Auch dieses Ergebnis wird für die politische Handlungsebene sehr, sehr interessant sein."

Die EU macht sich auf der Suche nach Antworten

Diese erste Phase der Konferenz zur Zukunft Europas ist auch für den CDU-Parlamentarier Sven Simon von großer Bedeutung. Das Meinungsbild im Netz müsse dann aber auch in alle kommenden Debatten eingespeist werden: "Die Bürgerinnen und Bürger zu fragen, und dann zu ignorieren, was sie sagen, würde das Vertrauen in die europäischen Institutionen nachhaltig beschädigen."
Die Frage aller Fragen: Liegt die Zukunft der EU wirklich in den Händen der Menschen? Haben sie bei den Veränderungen in Europa wirklich etwas zu sagen? Die EU macht sich auf die Suche nach Antworten: auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene, bis hinein ins nächste Jahr. Sven Simon ist mit Blick etwa auf den Brexit, die Eurokrise oder die gemeinsame Beschaffung von Impfstoffen überzeugt: Die Bürgerinnen und Bürger wollen eine EU, die Probleme wirklich lösen kann. Dazu müsse diese EU dann aber auch in die Lage versetzt werden.
"Eine Aufgabe auf die europäische Ebene zu übertragen, ohne dass es handlungsfähige Entscheidungsstrukturen und ausreichende finanzielle und personelle Mittel zu deren Erfüllung gibt, führt notwendigerweise zu Enttäuschung."
Für Janis Emmanouilidis, Direktor am European Policy Center in Brüssel, ist diese Konferenz ein wichtiges Experiment. Mit ungewissem Ausgang, aber dennoch unverzichtbar.
"Wir haben massive Transformationsprozesse vor uns, was die Digitalisierung angeht, den Klimawandel und wie wir unsere Ökonomien transformieren müssen, auch die globale Transformation mit einem neuen Gleichgewicht oder Ungleichgewicht der Mächte, mit dem Aufkommen Chinas und das Zusammenspiel zwischen Washington und Peking und wie wir uns als Europa da positionieren wollen und wir haben auch – und das ist auch ein Grund, weshalb man diese Konferenz braucht – die Frage, wie wir unsere demokratischen Strukturen anpassen und wie es gelingen kann, die Bürgerinnen und Bürger stärker einzubeziehen."

Der Europatag hätte beinahe im Fiasko geendet

Deswegen gibt es das zentrale Gremium - das sogenannte Plenum, dem über 430 Menschen angehören sollen: Darunter Politikerinnen und Politiker aus den EU-Staaten, den nationalen Parlamenten und dem Europaparlament, und auch mehr als 100 zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger.
Kommission, Parlament und Mitgliedsstaaten haben lange miteinander gestritten - allein das Kompetenzgerangel bei der Zusammensetzung des Plenums hätte die feierliche Eröffnung der Konferenz im Mai fast platzen und den Europatag zu einem Fiasko werden lassen. Manchen Beobachtern war das schon Beweis genug dafür, dass Reformen dringend nötig sind.
Mitte Juni in Straßburg: Mit der ersten Plenarsitzung der Zukunftskonferenz klappt es dann doch noch. Der Hemicycle, der runde Saal des EU-Parlaments, ist trotz Corona gut gefüllt, viele weitere Delegierte nehmen online teil.
"Was funktioniert, was muss sich ändern? Wie können wir eine Union schaffen, die fit ist für die nächsten Jahrzehnte?", fragt einer der Vorsitzenden der Konferenz, der belgische Liberale und Europaabgeordnete Guy Verhofstadt.
"Es geht darum, wie die europäischen Werte gewahrt, wie demokratische Entscheidungen beschleunigt und Vetos in der EU überwunden werden können. Darauf brauchen wir Antworten, und zwar dringend, sehr dringend!"

Gefahr: Alles könnte zerredet werden

Das ehrgeizige Ziel des Plenums ist ein Abschlussbericht. Gespeist von den Debatten in dieser Runde, aber auch von den Debatten der Bürgerforen, die in den Mitgliedsstaaten stattfinden werden. Im Frühjahr 2022 soll der Bericht fertig sein. Einer der Gründe: Die dann bevorstehende Präsidentschaftswahl in Frankreich. Amtsinhaber Emmanuel Macron steht unter großem Druck von rechts, und er hofft, mit dem Reformprozess punkten zu können.
Schließlich war er es, der diesen Prozess schon vor Jahren selbst angestoßen hat. 2017 hatte er in der Pariser Sorbonne die vielleicht weitreichendste Vision eines runderneuerten Europa formuliert, war aber unter anderem bei Bundeskanzlerin Angela Merkel abgeblitzt.
Janis Emmanouilidis vom European Policy Center in Brüssel hält es für einen Fehler, dass die Konferenz praktisch alles diskutiert. Er befürchtet, dass am Ende ein halbgares Potpourri herauskommt. Idealerweise müssten aus Ideen auch Handlungsempfehlungen werden. Nur dann, sagt der Politikberater, könnten auch Reformen aus diesem Projekt folgen.
"Und die Gefahr besteht, dass das, was diskutiert wurde von den Bürgern, dass sich das überhaupt nicht weiter im Prozess fortführt, und sich dann auch nicht widerspiegelt im finalen Ergebnis – oder das finale Ergebnis beinhaltet, sagen wir, 350 Vorschläge, aber hat keine kohärente Struktur, kein Narrativ, keinen großen Gedanken, den man auch vermitteln kann, sondern man verliert sich im Detail. Auch das wäre kein gutes Ergebnis. Oder: Wir haben ein Ergebnis im Frühjahr nächsten Jahres, dann spiegelt sich das wider in Äußerungen des Europäischen Rates, in den Schlussfolgerungen oder die Kommission wird sich darauf beziehen, aber danach passiert nicht sehr viel – dann wäre das auch ein Problem!"
Dampf steigt vom Thyssen-Krupp Stahlwerk Duisburg auf und ein Schiff fährt über den Rhein, während im Hintergrund die Uniper-Kraftwerke Gelsenkirchen zu sehen sind (Aufnahme von der Halde Rheinpreussen aus).
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Begehrlichkeiten, die Konferenz im Machtkampf der Institutionen zu nutzen, zeichnen sich jedenfalls an vielen Stellen ab. Die Abgeordneten des Europaparlaments wissen, dass der französische Präsident Macron nun Ergebnisse braucht, dass die EU liefern muss - und sie wollen dieses Momentum nutzen. Schließlich haben sie nicht vergessen, wie sie 2019 nach der Europawahl mit ihrem Spitzenkandidatenmodell ausgebremst wurden.
Also mit der Idee, dass mit Mehrheit gewählte Kandidatinnen und Kandidaten aus dem Parlament Anspruch auf den Kommissionsvorsitz haben sollten. Nach der Europawahl 2019 war das Spitzenkandidatenmodell fürs Erste gescheitert: Macron und einige Staats- und Regierungschefs der osteuropäischen Mitgliedsstaaten im Rat verhinderten Manfred Weber, den Fraktionschef der Europäischen Volkspartei, und auch den Sozialdemokraten und heutigen Kommissionsvize Frans Timmermans.

Abgeordneter: Nach der Konferenz fängt die Arbeit erst an

Auch aus dieser schmerzhaften Erfahrung heraus wollen viele im EU-Parlament künftig nur noch einen EU-Präsidenten - statt der getrennten Ämter von Kommissionschef und Ratspräsident. Allerdings sehen Abgeordnete wie Daniel Freund von den Grünen auch ein: Diese Zukunftskonferenz ist kein Wunschkonzert für gekränkte Politikerseelen.
"Wenn wir in nur einem Bereich einen Durchbruch haben – wenn zum Beispiel die Europawahlen reformiert werden, oder wenn wir eine Reform der Flüchtlingspolitik oder der Klimapolitik oder Mindeststeuersatz für Großunternehmen bekommen - jedes einzelne dieser Projekte wäre ein Erfolg und würde sicherlich dazu führen, dass man diesen Prozess der Konferenz nochmal wiederholen würde."
Daniel Freund betont, konkrete Ideen böten eine Chance, die Konferenz vor der befürchteten Unverbindlichkeit zu retten. Ihm ist klar: Nach der Konferenz fängt die Arbeit erst richtig an, realistischerweise lassen sich nicht alle Probleme der EU binnen eines Jahres lösen. Änderungen der EU-Verträge, wie sie in Brüssel mit Blick auf Reformen heiß diskutiert werden, sind kein Selbstzweck.

Vielen Mitgliedsstaaten gehen die Pläne zu weit

Aber: Wenn ein Konvent im Nachgang der Konferenz dazu den Weg freimachen könnte, sagt Daniel Freund, dann sei das eine große Chance. Denn so könne die EU sich vom Hemmschuh der Einstimmigkeit befreien. Bislang reicht eben meistens das Nein eines einzigen Mitgliedsstaates, um am Ende alles zu blockieren und Europa an entscheidender Stelle zu lähmen.
"Und diesen grundsätzlichen Konstruktionsfehler, an den müssen wir ran, der muss behoben werden!"
Vielen Mitgliedsstaaten gehen derartige Pläne jedoch zu weit. Deutschland scheint für Vertragsänderungen offen, die meisten Staaten sind es nicht. Gleich zwölf Mitgliedsländer, darunter Dänemark, Schweden, die Niederlande, aber auch die Slowakei, Litauen und Tschechien, haben schon vor Beginn der Konferenz abgewunken. Janis Emmanouilidis, Direktor des European Policy Center:
"Das ist eine der Fragen, die seit vielen Jahren und vor allem nach dem gescheiterten Versuch der europäischen Verfassung mit dem doppelten Nein in Frankreich und den Niederlanden auf der Agenda stehen. Man weiß gleichzeitig, man braucht nicht nur die Einstimmigkeit unter den Regierenden, sondern man muss es dann auch in den einzelnen Mitgliedstaaten auch ratifizieren, wenn es um Vertragsänderungen geht. Und wir haben gesehen, wie schwierig das ist. Und wir wissen in vielen Fällen, es bedarf dann auch eines Referendums in vielen Mitgliedstaaten und dass die Chance, dass man da wieder ein Nein erlebt wie 2005, dass die relativ groß sein kann. Die handelnden Akteure, die argumentieren, wir sind für Vertragsänderungen, weil sie wissen, dass der Druck gegen Vertragsänderungen so hoch ist, dass es nicht dazu kommen wird. Und da ist es dann auch relativ einfach zu sagen, ‚Wir sind dafür bereit‘. Weil man weiß, es gibt viele, die das torpedieren oder ein Veto dagegen aussprechen werden!"
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Die Mechanismen der Macht, aber auch die vielen unterschiedlichen Interessen könnten im Zusammenspiel tragische, wenn nicht absurde Folgen für die Zukunftskonferenz haben, warnt Emmanouilidis. Natürlich seien die Verhinderer von Reformen immer das Problem - aber unter Umständen auch die Reformbereiten.
"Gewisse Regierungen werden sich das nicht aus der Hand nehmen lassen: Sie sagen: 'Wir als Regierungen sind die Herren der Verträge, wir haben zu bestimmen, wie die strategischen Leitlinien aussehen müssen auf europäischer Ebene. Der Europäische Rat hat diese Funktion und wir lassen uns das nicht aus der Hand nehmen und deshalb werden wir alles dafür tun, dass die Zukunftskonferenz nicht erfolgreich maßgeblich dazu führt, dass wir die EU reformieren.' Andere argumentieren: 'Nein, wir wollen die EU reformieren, die EU muss anders aussehen in der Zukunft, aber Vorsicht, wir dürfen nicht den Eindruck erwecken, dass die Zukunftskonferenz mit der Bürgerbeteiligung unsere zentrale Rolle als der zentrale demokratische Akteur der Europäischen Union, das einzige gewählte europäische Parlament, untergraben wird in seiner Rolle.' Es kann also dazu kommen, dass unterschiedliche Akteure aus unterschiedlicher Motivation heraus in die gleiche Richtung pushen und dazu beitragen, dass die Konferenz nicht so erfolgreich wird, wie sie hätte sein können. Diese unheiligen Allianzen, die gibt es!"

Notwendige Debatte

Der Grünen-Parlamentarier Daniel Freund will dennoch optimistisch bleiben, auch wenn ihm und vielen anderen Verfechtern der Konferenz ein kalter Gegenwind aus den europäischen Hauptstädten ins Gesicht bläst:
"Politische Veränderung braucht immer Mut. Und Leute, die die Projekte vorschlagen und dann dafür kämpfen, dass sie auch kommen. Am Ende geht es darum, für die Ideen politische Mehrheiten zu organisieren. Darum geht es in dieser Konferenz und darum, dass die Europäische Union Antworten geben kann auf die großen Zukunftsfragen."
Natürlich gebe es viel Kritik, natürlich bestehe das Risiko der Enttäuschung, sagt Daniel Freund. Aber ohne die notwendige Debatte sei diese Enttäuschung erst recht garantiert. Gerade mit Blick auf den nächsten Europawahlkampf 2024.
Entschlossenheit wünscht sich auch der CDU-Abgeordnete Sven Simon. Zum Europatag schlägt er den Bogen von der Zukunftskonferenz zurück in die Vergangenheit - zum berühmtesten aller französischen Außenminister, dessen Rede zur Montanunion am 9. Mai 1950 als Grundstein der heutigen EU gilt.
"Als Robert Schuman dem damaligen Erbfeind Deutschland über den Trümmern zweier Weltkriege die Hand gereicht hat, hat er viel riskiert. Das war innenpolitisch damals nicht populär, aber es war richtig. Und ähnlich ambitioniert sollten wir heute sein – wir sollten uns bei der Konferenz nicht von vornherein durch Machbarkeitsdebatten einschränken, sondern politisch dafür kämpfen, Erwartungen, die wir heute wecken, in Zukunft auch einzulösen."