Dienstag, 19. März 2024

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Konflikt am Tempelberg
"Diese Krise, die überflüssig war, ist eine Chance für Israel"

Die umstrittenen Metalldetektoren auf dem Tempelberg werden wieder abgebaut. Die Errichtung sei ein Armutszeugnis der israelischen Regierung gewesen, sagte der frühere israelische Botschafter Shimon Stein im Dlf. Dennoch könne der Umgang mit der Krise eine Chance für die Zukunft sein.

Shimon Stein im Gespräch mit Sarah Zerback | 25.07.2017
    Der frühere israelische Botschafter Shimon Stein (Archivbild 2004)
    "Es war ein Armutszeugnis, wie falsche Entscheidungen getroffen werden mussten", sagte der frühere israelische Botschafter Shimon Stein zur Situation am Tempelberg im Dlf. (dpa / picture-alliance / Mike Fröhling)
    Sarah Zerback: Metalldetektoren auf dem Tempelberg, Maßnahmen, die eigentlich gemeinhin dafür bekannt sind, die Sicherheit zu erhöhen, haben in Jerusalem dazu geführt, dass die Gewalt in den vergangenen Tagen eskaliert ist, sich auf beiden Seiten hochgeschaukelt hat. Die muslimische Welt war empört und befürchtete gar, dass Israel mit diesem Schritt die Kontrolle über die heiligen Stätten erreichen wollte. Um den Konflikt nun zu entschärfen, hat Israel in der Nacht entschieden, die umstrittenen Sicherheitsmaßnahmen abzubauen und durch eine andere Technologie zu ersetzen. Aktuelle Informationen von Benjamin Hammer:
    Tempelberg - Israel entfernt Metalldetektoren
    Nach Tagen voller Gewalt und gegenseitiger Provokationen hat Israel nun die umstrittenen Metalldetektoren entfernt. Unser Korrespondent Benjamin Hammer berichtete.
    Und darüber können wir jetzt sprechen mit Shimon Stein, ehemaliger Botschafter Israels und Senior Fellow am Institute for International Security Studies an der Universität Tel Aviv. Guten Morgen, Herr Stein!
    Shimon Stein: Guten Morgen!
    Zerback: Nun also keine Metalldetektoren mehr, wir haben es gehört. Reicht das, um die Situation zu befrieden?
    Stein: Zunächst, meine ich, schon. Wissen Sie, ich hätte gern etwas Positives über die israelische Regierungsentscheidungs-Mechanismen heute Morgen mit Ihnen teilen. Leider, glaube ich, ist das, was sich in den letzten Tagen, mehr als einer Woche abspielt, das erinnert mich an den Titel des wunderbaren Buches des lateinamerikanischen Nobelpreisträgers Marquez, "Chronik eines angekündigten Todes": in Anspielung an das, was sich abgespielt hat, eine Art Chronik einer angekündigten Krise, die überhaupt nicht hätte entstehen sollen. Es war ein Armutszeugnis, wie falsche Entscheidungen getroffen werden mussten.
    Zerback: Was glauben Sie, wie hätte diese Gewalt mit Ansage, wie Sie es ja beschreiben, wie hätte die verhindert werden können? Wären die Metalldetektoren also nicht nötig gewesen?
    Stein: Ich mache der israelischen Polizei, die ja nach dem unglücklichen Ereignis, wo zwei israelische Polizisten durch arabische Israelis getötet wurden, keine Vorwürfe. Die Vorwürfe, die ich mache, richten sich gegen die israelische Regierung, die in einem schnellen Verfahren, ohne über alle Auswirkungen einer solchen Entscheidung, eine Entscheidung getroffen hat, die ja bedauerlicherweise zu dieser unerwünschten Eskalation führen konnte. Man hätte eigentlich andere Lösungen finden, wie man sie bereits in der Vergangenheit gefunden hat. Vor allen Dingen hätte man den Status quo weiter aufrechterhalten müssen.
    Man hätte mit dieser Verwaltungskommission, die den Tempelberg verwaltet, man hätte mit den Jordaniern, die eine zentrale Verantwortung für das, was auf dem Tempelberg geschieht, sich treffen müssen. Man hätte sehr viele Dinge tun müssen, die man leider nicht getan hat. Und so hat man diese Krise eine lange Woche sich hinziehen lassen, bis man gestern Abend diese Entscheidung getroffen hat über die sogenannten fortschrittlichen technischen Mittel.
    "Metalldetektoren sind überhaupt keine logische Lösung"
    Zerback: Entschuldigung, dass ich Sie da unterbreche, aber das interessiert mich. Wenn man also hat wissen können, dass man mit diesen Metalldetektoren nun die größte Sorge der Muslime ja schürt, eben, dass die israelische Regierung versucht, die Kontrolle über den Tempelberg zu erlangen, warum hat man das dann dennoch gemacht?
    Stein: Eine gute Frage. Die muss man dem Ministerpräsident auch stellen. Und vor allen Dingen sagen mir Experten, dass die Metalldetektoren überhaupt keine logische Lösung sind. Stellen Sie sich mal vor, wenn Sie in Jerusalem in der Nähe des Tempelbergs mal waren, es kommen 100.000 Menschen: Kann man sich vorstellen, dass es ausreicht, mit Metalldetektoren, die in einem Schnellverfahren alle Menschen schnell durchlassen? Das macht keinen Sinn. Insofern kann ich aus einer Entscheidung, die keinen Sinn macht, Sinn machen.
    Zerback: Hat Israel denn in Ihren Augen ein Interesse daran, zu deeskalieren?
    Stein: Ich hoffe, dass durch diese Entscheidung, die gestern Abend getroffen worden ist, einen Beitrag zur Deeskalation leistet, aber wir müssen uns ja immer vor Augen führen, wie sensibel Jerusalem für uns alle ist. Es gibt keinen Streit darüber, dass Jerusalem für die drei monotheistischen Religionen von großer Bedeutung ist, aber Jerusalem ist ja Religion und Politik gleichzeitig, und deshalb muss jede Entscheidung, die getroffen wird, sorgfältig betrachtet werden, müsste mit den anderen, die auch eine Rolle haben bei Entscheidungen, auch mit einbezogen werden. Ich meine, diese Krise, die ja überflüssig war, hat auch etwas Positives gehabt. Denn im Hintergrund waren Jordanien, Ägypten und Saudi-Arabien bemüht, diese Krise zu entschärfen.
    Durch diese Bemühungen kam die Arabische Liga nicht zu einer Sondersitzung und auch der Weltsicherheitsrat hat nicht getagt, weil auch die sehen, dass diese Region momentan keine zusätzliche Krise braucht. Deshalb ist das, glaube ich, eine Chance für Israel, auch etwas in einen Dialog mit diesen Staaten auch zu kommen über andere Fragen. Insofern sehe ich auch in dieser Krise eine neue Entwicklung, die uns auch eine neue Chance gibt. Aber wir müssen immer, wenn es um Jerusalem geht, mit den Palästinensern, mit Jordanien, das eine zentrale Rolle trägt, und die Israel hat, eigentlich enger kooperieren.
    "Mit Palästinensern und Jordaniern enger kooperieren"
    Zerback: Lassen Sie mich da einhaken, Herr Stein, weil das ist ja ein wichtiger Punkt. Sie haben jetzt Amman, Sie haben Jordanien mehrfach angesprochen, den Konflikt, der in der letzten Woche vor allen Dingen auch hochgeschaukelt hat. Da zeichnet sich ja jetzt Entspannung ab zwischen Israel und Jordanien. Der Botschafter ist wieder zurück. Glauben Sie, das hatte maßgeblich Einfluss darauf, dass die israelische Regierung jetzt umdenkt?
    Stein: Ich meine, das sind zweierlei Ereignisse, die an sich miteinander nicht zu tun haben. Bedauerlicherweise kam es zu diesem Unfall in Jordanien, wo ein israelischer Wachmann beteiligt worden ist. Aber wenn man diese Krise mit Jordanien zum Anlass genommen hat, zu einem generellen Arrangement zu kommen, das kann man nur begrüßen. Aber eigentlich, an sich ist das, was sich in der letzten Woche in Jerusalem abgespielt hat, und dieses unglückliche, tragische Ereignis in Amman zwei unterschiedliche Sachen.
    Dass man jetzt versucht, das miteinander zu verknüpfen, und dass es zu einer Entspannung, Entschärfung der Krise gekommen ist, durch das, was mit Jordanien erzielt worden ist und dass, was sich die israelische Regierung, das Kabinett gestern entschieden hat, das kann man nur begrüßen. Wie gesagt kann man nur hoffen, dass auch aus dieser Krise die israelische Regierung die Schlussfolgerungen zieht und beim nächsten Mal, wenn es zu einer Krise oder zu Spannungen auf dem Tempelberg kommt, in Vereinbarung mit den Palästinensern, Muslimen, Jordanien, Saudi-Arabien vernünftige Entscheidungen treffen, die ja eher zur Entspannung als zu Spannungen führen.
    Zerback: Sagt Shimon Stein. Er ist der ehemalige Botschafter Israels in Deutschland. Besten Dank für das Gespräch heute Morgen, Herr Stein.
    Stein: Nichts zu danken!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.