Donnerstag, 25. April 2024

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Konflikt im Südchinesischen Meer
"Von chinesischer Seite eine kontrollierte Aggression"

China wolle seine territorialen Ansprüche im Südchinesischen Meer mit allen Mitteln durchsetzen, sagte Sebastian Heilmann, Direktor des Mercator-Instituts für China-Studien, im DLF. Nach dem heutigen Schiedsspruch von Den Haag seien dazu militärische, diplomatische und wirtschaftliche Mittel möglich.

Sebastian Heilmann im Gespräch mit Peter Kapern | 12.07.2016
    Der Direktor des Mercator Instituts für China-Studien (MERICS), Sebastian Heilmann
    Sebastian Heilmann, Direktor des Mercator-Instituts für China-Studien. (dpa/picture-alliance/Marco Urban)
    Der Schiedshof in Den Haag sei der richtige Ort, um den Streit um Territorialansprüche im Südchinesischen Meer zu lösen, sagte China-Experte Heilmann. Das Verfahren müsse auf eine multilaterale, völkerrechtliche Ebene gehoben werden.
    Das für heute geplante Urteil des Schiedshofes könnten die Chinesen eigentlich nicht ignorieren, da die Entscheidung bindend sei. Dennoch könne China durch ein Spiel aus militärischen, wirtschaftlichen und diplomatischen Mitteln versuchen, das Urteil auszuhebeln. So könne China mit den Philippinen neue Verhandlungen aufnehmen und unwiderstehliche Angebote unterbreiten, wie die Finanzierung eines neuen Hafens, sagte Heilmann.
    Zugleich sei die Gefahr groß, dass der Konflikt eines Tages militärisch eskaliere. Peking habe nicht immer unter Kontrolle, was die Militärs vor Ort machten. "Zufallskonfrontationen sind jeder Zeit möglich", so Heilmann.

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Peter Kapern: Am Telefon ist Sebastian Heilmann vom Merics, vom Mercator-Institut für China-Studien. Guten Morgen, Herr Heilmann.
    Sebastian Heilmann: Guten Morgen, Herr Kapern!
    Kapern: Erklären Sie uns doch, Herr Heilmann, zunächst einmal: Was ist eigentlich die Triebfeder dieses Konflikts? Geht es ausschließlich um Wirtschaftsinteressen, die durchscheinen, wenn es in einem Nebensatz immer heißt, das Südchinesische Meer sei eine rohstoffreiche Meeresregion?
    Heilmann: Das steht nicht im Vordergrund der chinesischen Position. China ist wirklich der Überzeugung, dass diese ganze Region im Grunde chinesisches Einflussgebiet aus historischen Gründen ist und dass China da überhaupt keine Kompromisse machen kann, was diese territoriale Zugehörigkeit angeht. Die wirtschaftlichen Erwägungen sind natürlich im Hinterkopf, aber im Vordergrund ist ganz klar, dass China hier seine territorialen Ansprüche durchsetzen will, mit allen Mitteln.
    Kapern: China sagt natürlich auch, wenn alle anderen Länder in der Region ihre Gebietsansprüche durchsetzen, zum Beispiel auch Japan im Pazifik, dann sei China quasi von den Weltmeeren abgeschnitten. Ist da was dran an der Argumentation?
    Heilmann: Das ist nicht berechtigt. Es ist schon so, dass China natürlich jede Menge Zugänge hat zu den Weltmeeren und dass natürlich kooperative Lösungen, was die Schifffahr angeht und die zivile Schifffahrt angeht, sich immer auch erzielen lassen in diesem Umfeld. Da gab es bisher nie Probleme. Aber das ist durchaus ein Ausweichmanöver, würde ich sagen, in diplomatischem Sinne.
    Kapern: Ist denn eigentlich dieser Seegerichtshof in Den Haag der richtige Ort, um zu klären, wie man die chinesischen Gebietsansprüche mit den Ansprüchen, die andere Länder in der Region nun auch mal haben, unter einen Hut zu bekommen sind?
    Seegerichtshof ist genau der richtige Ort
    Heilmann: Ich glaube, das ist genau der richtige Ort, denn China hat versucht in den letzten Jahren, auf bilateralem Wege einzelne Länder zu bearbeiten, also zu verhandeln oder auch Druck auszuüben auf einzelne Länder. Und jetzt ist das sozusagen auf eine multilaterale völkerrechtliche Ebene gehoben, dieser Konflikt, und das hilft, weil in dieser Weise jetzt klar wird, China muss die Karten auf den Tisch legen, muss sagen, halten wir uns an diese Regeln des Seerechts oder nicht, begeben wir uns auf den Weg einer im Grunde regellosen, auch rücksichtslosen Großmacht, und das ist schon jetzt sehr sichtbar und wird für alle sehr durchsichtig, was dort passiert. Insofern war dieses Schiedsverfahren genau das Richtige, um diese Situation jetzt mal auch zu klären.
    Kapern: Nun hat China ja schon angekündigt, diesen Urteilsspruch einfach ignorieren zu wollen. Was dann?
    Heilmann: Das können natürlich die Chinesen nicht, denn sie sind Teil dieser Seerechtskonvention, haben die Schiedsverfahren anerkannt. Die sind bindend, egal, ob China das mag oder nicht. Völkerrechtlich ist die Lage recht klar. Aber natürlich wird China jetzt mauern und weiterhin darauf beharren, das zu ignorieren, dieses Schiedsverfahren. Was am wichtigsten sein wird ist natürlich, was für Eskalationsschritte eventuell jetzt kommen, ob China weiter aufbaut, künstliche Inseln aufbaut, militärisch aufrüstet in der Region, ob es vielleicht sogar eine Luftraum-Überwachungszone etabliert in diesem Gebiet. Was ich ganz sicher erwarte, ist, dass China jetzt mit den Philippinen in neue Verhandlungen einsteigt und den Philippinen versuchen wird, vielleicht unwiderstehliche Angebote zu machen, um dieses Schiedsverfahren im Grunde auszuhebeln im Nachhinein. Und das ist nicht ganz unmöglich, denn die philippinische Führung, der neue Präsident ist durchaus geneigt, solche Deals mit China zu machen. Zumindest hat er das angekündigt. Und das wird jetzt der Weg sein, den wir verfolgen müssen in den nächsten Wochen: Eskaliert es militärisch, dann wird es tatsächlich riskant, weil die USA vor allem im Umfeld der Philippinen da keine Kompromisse, denke ich, mehr machen werden. Und das andere ist, dass tatsächlich die Philippinen wahrscheinlich jetzt von China bearbeitet werden, um diese Klage zu entkräften.
    Kapern: Was wären denn solche unwiderstehlichen Angebote, die die Philippinen nicht ablehnen können?
    Heilmann: China expandiert ja im Grunde mit Bautrupps und mit Investitionen und die Philippinen können das gut brauchen. Wenn China jetzt beispielsweise anbietet, großzügig den Ausbau von Häfen, von Infrastruktur auf den Philippinen zu finanzieren und auszubauen, kann das schon sein, dass dieser neue Präsident dort weiche Knie bekommt. Das halte ich nicht für ausgeschlossen.
    Kapern: Dann müssten sich ja nur noch die anderen Anrainer der Region so einer Strategie auch anschließen.
    Von chinesischer Seite eine kontrollierte Aggression
    Heilmann: Es ist so, dass das wirklich von chinesischer Seite eine kontrollierte Aggression ist, nicht einfach so, dass China da vorprescht. Sie gehen immer einen Schritt nach vorne, provozieren, und dann weichen sie auch zum Teil wieder zurück auf den Verhandlungsweg, wenn sie harten Widerstand treffen, beispielsweise im Falle Vietnams. Das ist schon ein Spiel im Grunde zwischen militärischen, diplomatischen, wirtschaftlichen Mitteln. Und am Ende wird China immer versuchen, die einzelnen Länder doch wieder auf die eigene Position zu ziehen, durch wirtschaftliche Zugeständnisse.
    Kapern: Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, dass diese ganze Sache doch eines Tages militärisch eskaliert?
    Heilmann: Ich denke, die Gefahr ist groß. Wir haben jetzt schon eine Konzentration von militärischen Mitteln wirklich in der Region, auch von amerikanischer Seite. Und die chinesische Seite hat nicht völlig unter Kontrolle, was da vor Ort immer ihre Militärs auch machen. Das heißt, Zufallskonfrontationen sind durchaus jederzeit möglich, jetzt schon, und können dann auch zu einem Eskalationsschritt führen. Das ist schon ein heißer Konflikt, würde ich sagen. Und ich hoffe, dass in den nächsten Wochen auch durch diplomatische Verhandlungen da eine gewisse Mäßigung auf allen Seiten erreicht werden kann.
    Kapern: Sind die USA Ihrer Einschätzung nach bereit, diesen Konflikt auch gegebenenfalls auf die Spitze zu treiben, oder würden sie dann doch eher zurückziehen?
    Heilmann: Da gibt es unterschiedliche Stimmungen in den USA. Natürlich wollen viele der Zivilisten eindeutig den diplomatischen Weg beschreiten und zweifeln auch an, ob diese Region wirklich so strategisch wichtig ist für amerikanische Interessen, um da eine militärische Konfrontation zu riskieren. Aber es gibt auch andere Stimmen, die sagen, das ist jetzt wirklich eine Grundsatzfrage. Wir müssen verhindern, dass China völlig regellos vorgeht, völlig rücksichtslos vorgeht in der Region. Natürlich müssen wir auch amerikanische Interessen verteidigen. Und China ist zurzeit militärisch noch nicht gewachsen den amerikanischen Potenzialen. Das sind Kalkulationen, die auf amerikanischer Seite auch im Hintergrund laufen. Deswegen ist es keinesfalls so, dass nur China diese militärischen Optionen durchrechnet. Das gibt es auch auf amerikanischer Seite.
    Kapern: ... sagt Sebastian Heilmann vom Merics, vom Mercator-Institut für China-Studien in Berlin. Herr Heilmann, danke für Ihre Expertise und danke, dass Sie heute Früh Zeit für uns hatten.
    Heilmann: Danke Ihnen.
    Kapern: Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.